PRISM und der Überwachungsstaat – mein Wunsch an Kanzlerin Merkel zum Obama Besuch

Nach Bradley Manning hat Anfang Juni erneut ein Whistleblower aus den USA Schlagzeilen in der ganzen Welt gemacht: Edward Snowden, ehemaliger Mitarbeiter des höchstgeheimen Auslandsgeheimdienstes NSA (National Security Agency). Die von ihm u.a. an den Guardian geleakten Unterlagen weisen nach, dass der NSA in unvorstellbarem Ausmaß Kommunikation von US Bürgern und Ausländern überwacht. Er legte Informationen offen zu einem Programm, das sich PRISM nennt (deutsche Wikipedia: PRISM), und durch das Daten von Menschen gesammelt und ausgewertet werden, die z.B. bei der Nutzung von Microsoft, Facebook, Yahoo, Google oder von Produkten weiterer Dienstleister anfallen. Das betrifft auch Telefonate über Skype oder Chats auf Facebook… Das Programm soll einen direkten Zugriff auf die Daten ermöglichen, auch in Realzeit. US Behörden behaupten, es wären nur Ausländer betroffen – aber zum einen ist diese Behauptung inzwischen widerlegt, zum anderen sind wir alle Ausländer aus Sicht der USA und der größte Teil unseres Internetdatenverkehrs passiert US-amerikanisches Territorium. Damit hat die NSA freie Hand, uns alle auszuspionieren, erst recht, wenn wir Dienste von US Firmen nutzen, die Vertragspartner bei PRISM sind.
Über PRISM und seine Auswirkungen ist schon viel geschrieben worden, z.B. bei ZEIT Online, von Richard Gutjahr, von Daniel Ellsberg (englisch) oder von Cory Doctorow (englisch). Bei netzpolitik.org gibt es eine ganze Reihe Beiträge. In diesem Blogpost möchte ich daher auf einen speziellen Aspekt hinweisen:
US Präsident Barack Obama trat an, die transparenteste Regierung aller Zeiten und der ganzen Welt aufzubauen. Das ist ein paar Jahre her und wir stellen leider jetzt alle fest, dass er dabei ist, stattdessen die transparentesten Bürger aller Zeiten und in der ganzen Welt zu schaffen. Das wird ein Überwachungsstaat – auch jenseits der US-amerikanischen Grenzen. Das macht mir Angst.
In keinem anderen europäischen Land werden soviele Daten von der NSA abgezogen und ausgewertet, wie über Deutschland. Das ist an der ebenfalls geleakten Karte über die Überwachungsintensität gut zu erkennen – wir sind der gelbe Fleck in Europa. Wir sollten uns Sorgen machen.
Graphik PRISM Aktivitäten in der Welt
Präsident Obama ist jedoch am 18. und 19.6.2013 wieder einmal in Deutschland zu Besuch. Diesmal spricht er nicht vor mehreren Hunderttausend Begeisterten am Großen Stern in Berlin, diesmal fürchtet er die Nähe zum Volk, weil ihm wohl klar ist, dass die Begeisterung der Deutschen, sich von seinen Geheimdiensten überwachen zu lassen, begrenzt ist. Nur wenige Tausend Menschen – vorher handverlesen – werden durch die weiträumigen Absperrungen vorgelassen, wenn er am 19.06.2013 am Pariser Platz eine Rede halten wird. Wir, als ganz normale Bürgerinnen und Bürger, haben also kaum eine Chance, ihm zu zeigen, was wir davon halten.
Petition change.org/prismAber wir haben eine Regierung gewählt und an deren Spitze steht unsere Kanzlerin Angela Merkel. Kanzlerin Merkel wird mit Barack Obama sprechen. Deshalb habe ich auf Change.org eine Petition gestartet, in der ich Angela Merkel auffordere, am Brandenburger Tor Barack Obama öffentlich zu sagen, was die Deutsche Regierung von dem Überwachungsprogramm PRISM hält: nämlich gar nichts. Außerdem fordere ich sie in der Petition auf, sich dafür einzusetzen, dass Edward Snowden als Whistleblower geschützt wird vor Strafverfolgung. Er hat der Weltgemeinschaft einen großen Dienst erwiesen, unter maximalen persönlichen Risiken. Ohne Whistleblower hat die Demokratie jedoch kein Korrektiv. Wir brauchen Menschen wie ihn. In den ersten 24 Stunden haben mehr als 1.300 Menschen diese Petition unterschrieben. Ich wünsche mir noch viel mehr Unterzeichnende, damit wir Kanzlerin Merkel ein deutliches Signal für den Obama Besuch mitgeben.
ePETITION: Bitte unterschreibt zahlreich, verbreitet diese Petition auf allen Wegen!
In einem Interview mit dem Guardian  äußerte sich Edward Snowden zu seinen Motiven für diesen Leak übrigens so:

I don’t want to live in a society that does these sort of things … I do not want to live in a world where everything I do and say is recorded.

Das sehe ich genauso.  Das Gefühl permanenter Überwachung, das ich aus DDR Zeiten noch gut kenne, möchte ich nicht wieder haben. Wenn Ihr das auch nicht möchtet, dann sagt das laut und überall. Protestiert gegen den Überwachungsstaat – und zwar egal, ob wir von ausländischen Geheimdiensten oder von unseren eigenen Geheimdiensten überwacht werden. Der Staat ist für uns da, nicht wir für den Staat. Wir müssen einmal errungene Grundrechte immer wieder neu verteidigen. Bei aller Aufregung über die USA dürfen wir nämlich nicht vergessen, dass die deutsche Politik seit Jahren an einer Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten für mehr Überwachung der Bevölkerung arbeitet – auch wenn das Bundesverfassungsgericht hin und wieder eines dieser Gesetze kassiert, wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung. Über diese Themen werde ich sicher künftig noch öfter schreiben – leider werden sie immer relevanter. Der BND hat zum Beispiel gerade erst verkündet, 100 Millionen Euro in den Ausbau der Internetüberwachung investieren zu wollen. Das klingt für mich nach „PRISM, Made In Germany“. Dabei hat der BND schon heute weitreichende Befugnisse, die beunruhigend sein sollten.
Zum Schluss gute Satire
Ein (wie immer) sehr unterhaltsames aber dennoch inhaltlich gehaltvolles, satirisches Video gibt es zum Thema PRISM/Snowden bei Juice Rap News (leider nur auf englisch).

Juice Rap News PRISM

Und noch mal eine kleine Erinnerung: HIER könnt Ihr die Petition an Angela Merkel dazu unterschreiben
Und ganz zum Schluss ein Terminhinweis: Am Dienstag, 18.06.2013, werde ich gemeinsam mit meinem Mann, Daniel Domscheit-Berg, bei SAT1 in der Sendung „Eins gegen Eins“ zum Thema PRISM – Freiheit versus Überwachung diskutieren. Die Sendung ist dann ausnahmsweise ein „Zwei gegen Zwei“, einer unserer Gesprächsgegner wird Rainer Wendt sein, Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, der PRISM super findet. Im Terminhinweis dazu finden sich mehr Informationen (kommt in Kürze).
UPDATE 17.06.2013:

Und das TOLLSTE:
Die Petition hat am 17.6. abends bereits 23.000 Unterzeichner gewonnen! Laßt es uns noch mehr werden bis zum Obama Besuch!
Update 07.07.2013

  • Die Petition hatte insgesamt über 43.000 Unterzeichner gewonnen! Ich habe sie jedoch beendet, da der Obama Besuch Geschichte ist und Danke allen, die mitgemacht haben! <3
  • Ich habe vor einigen Tagen eine neue Petition an das EU Parlament und die EU Kommission gestartet, die aktuell 23.000 Mitzeichnende hat – mein Ziel ist aber mindestens 100.000 Unterschriften zu gewinnen, damit es auch Gewicht hat in der EU. HIER kann man die neue Petition unterschreiben!  Ich habe auch einen eigenen Blogtext dazu geschrieben.

One thought on “PRISM und der Überwachungsstaat – mein Wunsch an Kanzlerin Merkel zum Obama Besuch

  1. Hallo Frau Domscheit-Berg,
    ich habe soeben ihre Petition auf Change.org unterschrieben.
    lassen sie mich darauf hinweisen das es schon seit Beginn der 90 er Jahre immer wieder Gerüchte gibt, dass in Deutschland der E-Mail verkehr großflächig überwacht wird. So gab es eine Firma aus Norddeutschland, die ihre neu entwickelten Windradkomponenten per Mail zum Patent angemeldet hat. Die Anmeldung in Deutschland verzögerte sich und so wurde eine beinahe zeitgleich in den USA eingegebene Patentschrift des gleichen Inhalts als Ersteinreicher Patentinhaber. Ganz neu ist das was E. Snowden veröffentlicht, nicht, sondern eher übliche Praxis. Dies soll natürlich nicht seine Mut und seine Entschlossenheit schmälern. Was mich doch sehr wundert ist dass ein Polizeigewerkschafter für eine Überwachungsstaat plädiert. Sollte die Polizei nicht dem Schutz des Bürgers dienen? Unter Schutz verstehe ich aber nicht die Durchforstung seiner Privatsphäre. Ich glaube eher dass die Polizei eine Rechtfertigung für ihre Aufrüstung braucht. Kein normaler Mensch kann versteh dass es immer mehr Polizei gibt, die offensichtlich immer weniger den Bürger schützt, sondern ihn zunehmend unter Generalverdacht stellt und bespitzelt.
    gegen das, was hier aufgebaut wird, klingt die Stasi wie ein Haufen verschrobener Buchhalter. Ist d´es doch nicht nur die Aushorchung des Bürgers, sondern seine Dauerüberwachung aus der Luft und die Bereitstellung der Verteidigungsarmee Bundeswehr zum Einsatz gegen die eigenen Bürger. Und egal ob eher rechts oder links, keiner hier in Deutschland sollte es gut finden, dass er und seine Mitbürger von auswärts bespitzelt werden. Was für eine Art Polizist ist das? Klingt nach einem abgehobenen Technokraten und nicht nach einem Verantwortungsvollen Beamten.

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