Auch mehr als ein Jahr nach Beginn des NSA-Überwachungsskandals vergeht kein Tag, ohne das die Medien neue Enthüllungen daraus veröffentlichen. Ständig werden wir mit weiteren erschreckenden Details überrascht – wobei, eigentlich überrascht einen ja inzwischen nichts mehr, nicht einmal ein BND Mitarbeiter, der für den CIA den NSA-Untersuchungsausschuss gegen Geld ausspioniert und sich dann per Googlemail (!!!) dem russischen Geheimdienst anbietet, natürlich auch für Geld.
Fast könnte man wieder Hoffnung bekommen, bei soviel Inkompetenz in unseren Geheimdiensten. Aber das war jetzt Sarkasmus und nicht ernst gemeint. Wir können uns gar nicht genug Sorgen machen um den Zustand unserer Demokratie.
Bundestagspräsident trägt Überwachung „mit Fassung“, Bundestag applaudiert
Der NSA Untersuchungsausschuss wird aktiv von der Bundesregierung an der Aufklärung behindert, indem die Anhörung des wichtigsten Zeugen, Edward Snowden, verhindert wird. Der Bundestagspräsident Lammert trägt die vollständige Überwachung aller Bundesbürger – sich eingeschlossen – mit Fassung, eine Mehrheit im Bundestag lacht dazu und findet das witzig, klatscht auch noch Beifall, statt vor Entsetzen aufzustehen und Protestrufe zu skandieren.
Wie wenig kann eine Volksvertretung denn noch das Volk vertreten? Wie falsch kann eine Regierung die Prioritäten denn noch definieren? Wie sehr kann sie sich noch den USA anbiedern und die Interessen der eigenen Wählerinnen und Wähler verraten? Was muss noch passieren, damit das Volk zu Hunderttausenden auf die Straße geht, um die Regierung vor sich her zu treiben und endlich zum Handeln zu zwingen? Wie kommt es, dass die meisten Menschen es offenbar nicht empört, dass ihre Bundeskanzlerin in China einen Sack Reis umschubst, statt harte Regierungsarbeit zu machen und ihre Aufgabe als oberste Kontrolleurin der deutschen Geheimdienste zur Abwechslung einmal ernst zu nehmen und ganz hoch auf die politische Agenda zu setzen – da wo sie seit mehr als einem Jahr hingehört?
Es gibt kein räumliches Entrinnen mehr in einem globalen Überwachungsstaat
Um diese und noch viel mehr Fragen wird es gehen bei der Markus Lanz Sendung vom Mittwoch, 09.07.2014, Ausstrahlung um 23:45 Uhr im ZDF, zu der mein Mann Daniel und ich gemeinsam eingeladen sind. Ich bin froh über jede Plattform mit Reichweite, die man nutzen kann, um die Dinge beim Namen zu nennen, der Bundesregierung ihren heuchlerischen Schleier vom Gesicht zu ziehen und ihre wahre Fratze zu zeigen: eine Fratze, die mit Integrität wenig zu tun hat, der man ansieht, dass es letztlich nur um Machterhalt und die Möglichkeit zur Manipulation der Massen geht, für die demokratische Grundrechte und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger einfach so gar keine Rolle spielen. Diese Wahrheit wird immer noch viel zu selten benannt und von viel zu wenigen verstanden. Ich rede mir zumindest ein, dass die immer noch vorherrschende Lethargie in der Zivilgesellschaft nur am „nicht ausreichend verstanden“ liegt, denn die Alternative: „die Menschen haben das wohl verstanden, aber es juckt sie nicht sonderlich“, ist für mich zu schrecklich, um sie für wahrscheinlich zu halten. Es gäbe nicht einmal einen Ort, an den ich in einem solchen Fall auswandern wollen würde – oder könnte. Es gibt ja kein räumliches Entrinnen mehr in einem globalen Überwachungsstaat der digitalen Gesellschaft, den wir unweigerlich bekommen werden, wenn wir uns nicht gemeinschaftlich dagegen wehren.
Nein, ich bin Optimistin, ich glaube an die Aufklärung und daran, dass wir rechtzeitig und massenhaft aufstehen werden, um den Untergang der Demokratie zu verhindern. Ich glaube daran, weil ich die alternative Hoffnungslosigkeit nicht ertragen könnte und weil ich seit dem Mauerfall 1989 auch die unwahrscheinlichsten und größten gesellschaftlichen Veränderungen für möglich halte.
Ich hoffe, die Lanz Sendung ist eine gute Gelegenheit für diese Art von Aufklärung, so wie sie das früher auch schon war, als etwa mein Mann dort zu diesem Thema schon einmal zu Gast war. Ein Ausschnitt jener Lanz-Sendung vom 02.07.2013 zeigt, dass wir genau ein Jahr später immer noch die gleichen Fragen diskutieren müssen.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass die deutsche Bundesregierung dem Whistleblower Edward Snowden politisches Asyl gewähren muss.
UPDATE (17.07.2014):
Im Rumfunk Kanal auf YouTube gibt es einen 16Min Zusammenschnitt der Lanz-Sendung mit Fokus auf das Überwachungsthema (es gab auch Fußball, Schönheits-OPs und Biographisches von Schauspielerinnen). Hier kann man ihn sich anschauen:
Und noch ein Nachtrag: die Sendung wurde offenbar viel länger aufgezeichnet, als es Sendezeit gab. Ich habe das gar nicht bemerkt. Aber beim Anschauen der Sendung viel mir auf, wie viele Dinge herausgeschnitten wurden, die ich besonders wichtig fand. Es fehlen ca. 20 Minuten.
Am bedauerlichsten fand ich den Wegfall von zwei Themen:
- Wie Daniel den Mißbrauch von „Big Data“ im Dritten Reich beschrieb und die Beiträge, die IT Unternehmen wie IBM – Hollerith dazu leisteten, denn deren Technologie machte die verhängnisvolle Nutzung der Volkszählungsdaten für die Jugenverfolgung erst möglich. Wir könnten nicht nur, wir müssen auch aus der Geschichte lernen – tun wir aber bisher nicht.
- Wie ich das Argument „Überwachung ist wichtig, weil sie uns vor Terrorismus schützt“ widerlege und als Ammenmärchen der Regierungen entlarve. Wie Sascha Lobo so treffend beschrieb, handelt es sich bei Geheimdiensten und deren Regierungen um Überwachungsfanatiker, mithin selbst um Extremisten und um Sicherheitsesotheriker. Deren Lieblingsausrede (Terrorbekämpfung) ist hinreichend und wissenschaftlich ad absurdum geführt worden. Schade, dass diese Beiträge dem Schnitt zum Opfer fielen.
Sehr gut, wenn wir Piraten es schaffen uns wieder mehr mit der Außendarstellung von konkreten Themen zu beschäftigen dann kommen wir denke ich auch wieder voran.
Gerade über die Außendarstellung lassen sich Tatsachen setzen und so auch Parteiintern Einfluss ausüben. Wir haben die parteiinternen Spinner und Bremser schon zu lange mit zu viel Aufmerksamkeit bedacht und uns daran zerrieben, Teflonmäßiges Ignorieren (ala Merkel) scheint mir hier sinvoller als uns von denen einen Diskurs aufzwingen zu lassen der uns nur runterzieht.
Zeit wieder mit Sinvollen Dingen in der Öffentlichkeit in Erscheinung zu treten und so wieder den Kurs nach Vorne zu setzen. Dazu brauchen wie Leute wie dich die gute Öffentlichkeitsarbeit leisten können und hervorragendes Fachwissen in vielen Themen haben.
Also, Danke Anke und weiter so 😉
Die Realität ist leider noch viel extremer. Die neuen Enthüllungen sind immer nur die Spitze neuer Eisberge. Ich denke, die Menschen haben es im Unterbewußtsein schon begriffen, aber die Individualisierung in dieser Gesellschaft oder auch Entsolidarisierung, gefördert durch die Mächtigen, verhindert eine Veränderung des Status Quo. Jede/r Einzelne ist mit der eigenen Person und Perspektive beschäftigt (Familie, Haus, Auto, Reise). Der Konsum ist die größte Seuche seit der Pest im Mittelalter.
Ich freue mich aber trotzdem, dass ihr weiterhin wenigstens versucht auf die Problematik immer wieder hinzuweisen. An ein Umdenken in der Gesellschaft glaube ich leider nicht mehr. Ich bin Baujahr 1960 und in der DDR geboren. Ich habe in meinem Leben nur 1 Jahr Freiheit und Demokratie kennengelernt, vom 9. November 1989 bis zum 3. Oktober 1990.
Liebe Anke Domscheit-Berg,
ich konnte Herrn Lammerts Fassung auch nur mit großer Fassungslosigkeit zur Kenntnis nehmen. Danke für den guten Artikel. Ich finde es auch sinnvoll, eine große Reichweite zu suchen, wobei ich Lanz etwas grenzwertig finde (was Ihr sicherlich auch nicht zum ersten Mal hört 🙂 Ich wünsche viel Glück!
Pingback: Anke Domscheit Berg – Terminhinweis: Heute abend bei Maybrit Illner – Spion im eigenen Land – können wir den USA noch trauen?
Pingback: Heute bei Lanz: Anke und Daniel Domscheit-Berg zum Überwachungsskandal › Piratenpartei Deutschland