Terminhinweis: am 09.07.2014 – debattiere ich mit meinem Mann bei Markus Lanz zum Überwachungsskandal

Auch mehr als ein Jahr nach Beginn des NSA-Überwachungsskandals vergeht kein Tag, ohne das die Medien neue Enthüllungen daraus veröffentlichen. Ständig werden wir mit weiteren erschreckenden Details überrascht – wobei, eigentlich überrascht einen ja inzwischen nichts mehr, nicht einmal ein BND Mitarbeiter, der für den CIA den NSA-Untersuchungsausschuss gegen Geld ausspioniert und sich dann per Googlemail (!!!) dem russischen Geheimdienst anbietet, natürlich auch für Geld.

Ausschnitt aus Spiegel Online " Spionage-Affäre beim BND: Alle Spuren führen in die USA", Matthias Gebauer, 06.07.2014

Ausschnitt aus Spiegel Online “ Spionage-Affäre beim BND: Alle Spuren führen in die USA“, Matthias Gebauer, 06.07.2014


Fast könnte man wieder Hoffnung bekommen, bei soviel Inkompetenz in unseren Geheimdiensten. Aber das war jetzt Sarkasmus und  nicht ernst gemeint. Wir können uns gar nicht genug Sorgen machen um den Zustand unserer Demokratie.
Bundestagspräsident trägt Überwachung „mit Fassung“, Bundestag applaudiert
Der NSA Untersuchungsausschuss wird aktiv von der Bundesregierung an der Aufklärung behindert, indem die Anhörung des wichtigsten Zeugen, Edward Snowden, verhindert wird. Der Bundestagspräsident Lammert trägt die vollständige Überwachung aller Bundesbürger – sich eingeschlossen – mit Fassung, eine Mehrheit im Bundestag lacht dazu und findet das witzig, klatscht auch noch Beifall, statt vor Entsetzen aufzustehen und Protestrufe zu skandieren.
YouTube: Schlagabtausch Gysi - Lammert am 25.06.2014 im Bundestag

YouTube: Schlagabtausch Gysi – Lammert am 25.06.2014 im Bundestag


Wie wenig kann eine Volksvertretung denn noch das Volk vertreten? Wie falsch kann eine Regierung die Prioritäten denn noch definieren? Wie sehr kann sie sich noch den USA anbiedern und die Interessen der eigenen Wählerinnen und Wähler verraten? Was muss noch passieren, damit das Volk zu Hunderttausenden auf die Straße geht, um die Regierung vor sich her zu treiben und endlich zum Handeln zu zwingen? Wie kommt es, dass die meisten Menschen es offenbar nicht empört, dass ihre Bundeskanzlerin in China einen Sack Reis umschubst, statt harte Regierungsarbeit zu machen und ihre Aufgabe als oberste Kontrolleurin der deutschen Geheimdienste zur Abwechslung einmal ernst zu nehmen und ganz hoch auf die politische Agenda zu setzen – da wo sie seit mehr als einem Jahr hingehört?
Es gibt kein räumliches Entrinnen mehr in einem globalen Überwachungsstaat

Markus Lanz - Logo Um diese und noch viel mehr Fragen wird es gehen bei der Markus Lanz Sendung vom Mittwoch, 09.07.2014, Ausstrahlung um 23:45 Uhr im ZDF, zu der mein Mann Daniel und ich gemeinsam eingeladen sind. Ich bin froh über jede Plattform mit Reichweite, die man nutzen kann, um die Dinge beim Namen zu nennen, der Bundesregierung ihren heuchlerischen Schleier vom Gesicht zu ziehen und ihre wahre Fratze zu zeigen: eine Fratze, die mit Integrität wenig zu tun hat, der man ansieht, dass es letztlich nur um Machterhalt und die Möglichkeit zur Manipulation der Massen geht, für die demokratische Grundrechte und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger einfach so gar keine Rolle spielen. Diese Wahrheit wird immer noch viel zu selten benannt und von viel zu wenigen verstanden. Ich rede mir zumindest ein, dass die immer noch vorherrschende Lethargie in der Zivilgesellschaft nur am „nicht ausreichend verstanden“ liegt, denn die Alternative: „die Menschen haben das wohl verstanden, aber es juckt sie nicht sonderlich“, ist für mich zu schrecklich, um sie für wahrscheinlich zu halten. Es gäbe nicht einmal einen Ort, an den ich in einem solchen Fall auswandern wollen würde – oder könnte. Es gibt ja kein räumliches Entrinnen mehr in einem globalen Überwachungsstaat der digitalen Gesellschaft, den wir unweigerlich bekommen werden, wenn wir uns nicht gemeinschaftlich dagegen wehren.
Nein, ich bin Optimistin, ich glaube an die Aufklärung und daran, dass wir rechtzeitig und massenhaft aufstehen werden, um den Untergang der Demokratie zu verhindern. Ich glaube daran, weil ich die alternative Hoffnungslosigkeit nicht ertragen könnte und weil ich seit dem Mauerfall 1989 auch die unwahrscheinlichsten und größten gesellschaftlichen Veränderungen für möglich halte.
Ich hoffe, die Lanz Sendung ist eine gute Gelegenheit für diese Art von Aufklärung, so wie sie das früher auch schon war, als etwa mein Mann dort zu diesem Thema schon einmal zu Gast war. Ein Ausschnitt jener Lanz-Sendung vom 02.07.2013 zeigt, dass wir genau ein Jahr später immer noch die gleichen Fragen diskutieren müssen.
Daniel Domscheit-Berg bei Markus Lanz am 02.07.2013 zur Massenüberwachung (Ausschnitt)

Daniel Domscheit-Berg bei Markus Lanz am 02.07.2013 zur Massenüberwachung (Ausschnitt)


Im übrigen bin ich der Meinung, dass die deutsche Bundesregierung dem Whistleblower Edward Snowden politisches Asyl gewähren muss.
UPDATE (17.07.2014):
Im Rumfunk Kanal auf YouTube gibt es einen 16Min Zusammenschnitt der Lanz-Sendung mit Fokus auf das Überwachungsthema (es gab auch Fußball, Schönheits-OPs und Biographisches von Schauspielerinnen). Hier kann man ihn sich anschauen:
Zusammenschnitt Lanz-Sendung vom 9.7.2014 von Rumfunk - auf YouTube

Zusammenschnitt Lanz-Sendung vom 9.7.2014 von Rumfunk – auf YouTube


 Und noch ein Nachtrag: die Sendung wurde offenbar viel länger aufgezeichnet, als es Sendezeit gab. Ich habe das gar nicht bemerkt. Aber beim Anschauen der Sendung viel mir auf, wie viele Dinge herausgeschnitten wurden, die ich besonders wichtig fand. Es fehlen ca. 20 Minuten.
Am bedauerlichsten fand ich den Wegfall von zwei Themen:

  1. Wie Daniel den Mißbrauch von „Big Data“ im Dritten Reich beschrieb und die Beiträge, die IT Unternehmen wie IBM – Hollerith dazu leisteten, denn deren Technologie machte die verhängnisvolle Nutzung der Volkszählungsdaten für die Jugenverfolgung erst möglich. Wir könnten nicht nur, wir müssen auch aus der Geschichte lernen – tun wir aber bisher nicht.
  2. Wie ich das Argument „Überwachung ist wichtig, weil sie uns vor Terrorismus schützt“ widerlege und als Ammenmärchen der Regierungen entlarve. Wie Sascha Lobo so treffend beschrieb, handelt es sich bei Geheimdiensten und deren Regierungen um Überwachungsfanatiker, mithin selbst um Extremisten und um Sicherheitsesotheriker. Deren Lieblingsausrede (Terrorbekämpfung) ist hinreichend und wissenschaftlich ad absurdum geführt worden. Schade, dass diese Beiträge dem Schnitt zum Opfer fielen.

Terminhinweis: Debatte mit meinem Mann und mir in Wien am 12.6.14 zu "Widerstand im digitalen Zeitalter"

Das Bruno Kreisky Forum lädt am 12.6.2014 in Wien zu einer Debatte ein, die aktueller nicht in die heutige Zeit passen könnte. Es geht um die Frage des Widerstands im digitalen Zeitalter, um Transparenz und mehr Mitbestimmung für Bürgerinnen und Bürger, darum, wie wir uns etwa gegen unkontrollierte und ausufernde Massenüberwachung durch Geheimdienste im In- und Ausland wehren können.
Wann: 12.06.2014, 19:00 Uhr
Wo: Bruno Kreisky Forum für internationalen Dialog, Armbrustergasse 15, 1190 Wien, Österreich
Wer: Anke und Daniel Domscheit-Berg als Debattengäste, Moderation: Isolde Charim, Autorin und Philosophin
Anmeldung: Ist erwünscht. Details dazu finden sich in der Einladung (pdf)
Logo Kreisky ForumIch freue mich auf die Debatte, gerade weil ich sie gemeinsam mit meinem Mann führen kann. Das ist zwar nicht unser erster Auftritt als Experten-Paar, aber es ist mir jedes mal ein besonderes Vergnügen. Wir führen ja tatsächlich ähnliche Debatten auch zuhause bei Tisch und auch das ist spannend, aber mit Publikum, das mit diskutiert, ist es noch einmal etwas Anderes. Wir freuen uns auf eine lebendige Diskussion in Wien und hoffentlich ein paar bekannte Gesichter! Kommt zahlreich 🙂
 

Quer durch die Republik: Open Government, Guerillastricken, Debatten, Lesung – so bunt ist Wahlkampf

Man kommt ganz schön herum, so beim Wahlkämpfen, die Bahncard macht es leicht(er). Die letzten Tage führten mich nach Bielefeld und Kassel, nach Berlin und Brandenburg, nach Regensburg und Nürnberg.

42 - die Antwort auf alle Fragen... (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)

42 – die Antwort auf alle Fragen… (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)


In Bielefeld war ich am 09.04.2014. Im historischen Saal der Alten Spinnerei habe ich einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Veranstaltung war gut besucht, die anschließende Debatte war lebendig. Ringsherum hatten die Lokalpiraten Wahlplakate aufgehängt, die ich z.T. noch nie gesehen hatte. Auf dem lustigsten stand einfach nur „42“. Die Bielefelder Piraten haben dazu was gebloggt, im Text verlinkt ist eine Videoaufzeichnung von Vortrag und Debatte, Bilder gibts dort auch.
ADB-Bielefeld-klein

Guerillastricken am „Siggi“ in Bielefeld


 
In Bielefeld wurde die Idee geboren, an „meinen“ Wahlkampforten überall orangenes Guerillastricken zu hinterlassen – als kleine Markierung, Geschenk mit Verschönerungswirkung an den Ort und seine Einwohner*innen, als originelles und unaufdringliches Wahlplakat. Am nächsten Tag wollte ich nach Kassel, zur Whistleblowerpreisverleihung, bei der das „Kasseler Nebelhorn“ zum ersten Mal verliehen wurde. Aber das war erst am Nachmittag, ich hatte den Vormittag in Bielefeld noch Zeit. Perfekte Gelegenheit, zum Stadt bestricken. In der Bahn und am Abend hatte ich vorgestrickt und dann gings los. Erst waren wir am „Siggi“,  ich glaube richtig heißt er Siegfriedsplatz, wo wir vor einem Gemeindezentrum ein Geländer geflauscht haben.
Ja - sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!

Ja – sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!


Danach wurde ein Hundetütenspender in der Innenstadt in einer Einkaufsstrasse verschönt. Zum Schluss kam immer ein kleiner Piratenparteibutton dran, schließlich ist das eine Art Wahlplakat :-).
Übergabe "Kasseler Nebelhorn" an Whistleblowerin Cornelia Harig

Übergabe „Kasseler Nebelhorn“ an Whistleblowerin Cornelia Harig


Die nächste Station war Kassel, wo einer ehemaligen städtischen Angestellten, Cornelia Harig, das erste Kasseler Nebelhorn, ein Preis für Whistleblower und Zivilcourage, verliehen wurde. Mein Mann Daniel sprach eine Laudatio, eine Musikerteam begleitete die Zeremonie auf der großen Treppe des Kasseler Rathauses mit schöner Musik, und dort – neben der Musik – habe ich am Geländer der Rathaustreppe auch ein klitzebißchen was gestrickt. Mein orangener Fußabdruck, sozusagen. Untenstehend ist ein Video von der Preisverleihung verlinkt (Klick auf das Bild oder HIER), auf dem man mein kleines Strickstück auch bewundern kann :-).

YouTube Video zur Preisverleihung des Kasseler Nebelhorns an Cornelia Harig


Nur einen Tag darauf – am 11.04.2014 – hatte ich gleich zwei Termine, beide liefen gänzlich ohne Stricken ab. Immerhin mußte ich nicht weit reisen. Die European Initiative hatte in der Stadt Brandenburg zu einer Kandidatendebatte geladen, die erst recht normal verlief aber bei Öffnung für das Auditorium schon – sagen wir überdurchschnittlich – lebendig wurde, vor allem immer dann, wenn der anwesende Henryk M. Broder ins Wüten kam.
v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)

v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)


Kaum eine Zahl, die ein Kandidat erwähnte, die nicht von ihm lautstark korrigiert wurde, natürlich nicht ohne den Vorwurf, dass man als MdEP doch diese Zahlen alle ganz genau wissen müßte. Das EU Parlament ist für ihn sowieso nur eine „Schmierenkomödie“, er wetterte und fuchtelte mit den Armen, prangerte mal dies und mal jenes an. Leider fiel ihm keine einzige konstruktive Idee ein, so war das zwar reichlich unterhaltsam aber eben doch sinnlos. Gerade in Brandenburg, wo die Wahlbeteiligung bei den letzten Europa-Wahlen bei erschütternden 23 Prozent lag, ist ein Lamento darüber, wie blöd die EU und wie albern seine Institutionen sind, doch eher wenig hilfreich. Denn selbst wenn man an der Art und Weise, wie in der EU Politik gemacht wird, etwas ändern möchte (und das habe ich ja zum Beispiel vor), kann man das vor allem von innen heraus tun – oder von außen, in dem man wählen geht und anders wählt als bisher. Wer sich die Argumente eines H.M.Broder zu eigen macht, dürfte jedenfalls wenig Verlockungen spüren, am 25.5. auch wählen zu gehen. Damit schaden solche einseitigen Tiraden der Demokratie, weil sie demokratische Beteiligung verringern. Die übrige Debatte war in jedem Fall spannend. Eine Rolle spielte dabei TTIP, das transatlantische Handelsabkommen aber auch die Asyl- und Migrationspolitik der EU, die Bürger vor Ort als genauso unmenschlich empfanden wie ich. Der RBB berichtete, leider ist deren Beitrag wie üblich schon nach wenigen Tagen aus der Mediathek verschwunden. Einen Artikel in der Märkischen Allgemeine Zeitung gab es auch, darin steht dieses schöne Zitat:

Anke Domscheit-Berg (Piraten), bekommt mit ihrer Kritik am Transatlantischen Freihandelsabkommen(TTIP), das sie als Hinterzimmerpolitik bezeichnet und ihrer patriotischen Rede über ihren Glauben ans Mauerneinreißen und Weltverändern den ersten spontanen Beifall von den bis dahin still lauschenden Gästen.

Von Brandenburg ging es auf schnellstem Wege nach Berlin, wo ich beim Tazsalon u.a. mit Marina Weisband, Julia Reda (unsere Spitzenkandidatin), der Kunst-und Performancegruppe Bitnik aus der Schweiz, dem politischen Aktionserfinder @Jeangleur, Markus Beckedahl von Netzpolitik, Anne Roth, Jan Josef Liefers (der Pathologe vom Münster-Tatort 🙂 ) rund um das Überwachungsthema debattierte, bei Käse, leckerem Brot und Rotwein.

Der Käsetisch - nach dem Essen...vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens

Der Käsetisch – nach dem Essen…vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens


Das Konzept des Tazsalon ging auf, jeder Gast bringt einen Käse mit. Brot und den ganzen Rest stellt Martin Kaul, taz Journalist und Gastgeber. Man sitzt in der Küche seiner WG, die auf diese Weise zu einer Art „Hinterzimmer“ wurde. Passend zum Thema wurde nicht nur entschieden, Vertrauliches in diesem Raum zu lassen sondern sicherheitshaltber auch alle Smartphones in den Kühlschrank einzusperren. Die Mischung der Gäste und das entspannte Setting sind schon fast ein Garant für sehr spannende Diskussionen. Diesmal vor allem zur Frage, ob wir mehr digitalen Widerstand brauchen, welche Arten zivilen Ungehorsams vielleicht zielführender wären, als die x-te Demonstration gegen die NSA und inländische Massenüberwachung. Es ging um digitale Anarchie, die Legitimation und Notwendigkeit vielfältiger Widerstandsformen. Ideen wurden getauscht und geboren, wie man dem Thema mehr Aufmerksamkeit in der Breite und mehr Gewicht in der politischen Landschaft verschaffen kann. Wie zur Hölle man mehr Menschen vermitteln kann, dass diese Art digitaler Überwachung das Ende von Meinungsfreiheit und Freiheit im Großen und Ganzen in der digitalen Gesellschaft (also unserer Gesellschaft) bedeutet und mithin das Ende der Demokratie einläuten kann. Dabei gab es jede Menge Inspirationen, aber natürlich gelten die Regeln des Abends 🙂 deshalb steht hier jetzt nicht mehr dazu. Dass der Abend eine halbe Nacht wurde, war jedenfalls kein Zufall. Es war spannend verbrachte Zeit.
Am nächsten Tag moderierte unser Gastgeber des Abends, Martin Kaul, gleich drei Panels zum digitalen Widerstand beim tazlab, dem Jahreskongress der Tageszeitung im Haus der Kulturen der Welt. Fast alle Gäste des Abends waren auch Debattengäste auf dem tazlab. „Mein“ Panel drehte sich um die Möglichkeiten und die Pflicht zur (Selbst-) Verteidigung gegen Überwachung. Im Tazblog und im Hauptstadtblog konnte man darüber lesen.
kurz vor der Lesung aus "Mauern einreißen" in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski

kurz vor der Lesung aus „Mauern einreißen“ in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski


Meine nächsten Stationen lagen im tiefsten Süden. Am 14.04.2014 fuhr ich nach Regensburg, wo ich am Abend auf Einladung der Piratenpartei-Stadträtin Tina Lorenz aus „Mauern einreißen“ vorlas. Es waren zwar nicht sehr viele Gäste da, aber die waren alle so bei der Sache, dass wir nach einer Stunde Lesung und Anderthalb Stunden angeregter Debatte doch abbrechen mußten, da der Buchhändler verständlicherweise auch mal Feierabend machen wollte. Wie bei jeder Lesung habe ich viele spannende Geschichten von meinen Gästen gehört. Eine der Debattantinnen war in der DDR Lehrerin, u.a. für Geschichte. Sie erzählte, wie durcheinander es an den Schulen zuging in der Wendezeit, als viele Lehrer nicht mehr wußten, welchen Stoff sie vermitteln sollen und auf welche Weise. Das war natürlich bei ideologisch geprägten Fächern besonders der Fall, dazu gehörte auch Geschichte. Ich hatte erst kurz zuvor mit großer Begeisterung das Buch „Eisenkinder“ von Sabine Rennefanz gelesen, die zur Wendezeit als Schülerin eine Erweiterte Oberschule in Eisenhüttenstadt besuchte, und in deren Buch das Durcheinander an den Schulen aus Schülersicht lebendig beschrieben ist. (Ein Buchauszug der „Eisenkinder“ findet sich in der ZEIT.)
Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten - beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg

Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten – beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg


Der nächste Vormittag stand wieder im Zeichen des Guerillastrickens. Mit Tina Lorenz schaute ich mir die wunderschöne Altstadt von Regensburg an (Weltkulturerbe!) und an zwei Orten haben wir flauschige Marken hinterlassen.
Zuerst waren wir am Alten Rathaus, wo ich ein Geländer ummantelt habe – sorgfältig an den senkrechten Streben oben und unten befestigt, damit die Wolle nicht rutscht, wenn jemand sich daran festhält. Das Ambiente war einfach wunderschön. Die Treppe wirkt sehr majestätisch, das Portal rund um die uralte Tür natürlich erst recht. Man fühlt sich etwas klein auf dieser Treppe, aber in ehrwürdiger Umgebung.
Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg

Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg


Vom Alten Rathaus zogen wir zum Haidplatz, ebenfalls in der Altstadt gelegen, wo ein Halteverbotsschild eine Hülle aus schöner, bunter Wolle erhielt – und natürlich den obligatorischen Piratenbutton, denn es soll ja ein flauschiges Wahlplakat sein.
Haidplatz in Regensburg - verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014

Haidplatz in Regensburg – verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014


Lokale Medien berichteten über diese Aktion, so z.B. die Mittelbayerische Zeitung mit der Überschrift „Mehr Farbe mit den Piraten“. Der Artikel zeigt, wie man durch kreative und unkonventionelle Ideen Aufmerksamkeit auch für politische Themen erzeugen kann.
Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014

Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014


Von Regensburg ging es dann mittags nach Nürnberg, wo ich mich zuerst mit einer Autorin traf, die gerade ein Buch über die Wende schreibt. Ich erzählte Ihr meine Erlebnisse und sie mir ihre. Wenn im Herbst ihr Buch erscheint, werde ich hier im Blog rechtzeitig darauf hinweisen. In der Wolleabteilung eines Kaufhauses trafen mich dann die ortsansässigen Piraten beim Kaufen von Nachschub für das Guerillastricken.
Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg

Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg


Aber bevor Nürnberg geflauscht wurde, hatte ich noch einen Pressetermin bei der Nürnberger Zeitung. Der Artikel bezog sich vor allem auf meinen Vortrag am Abend zum Thema Open Government und wies freundlicherweise darauf hin, dass durch den Wegfall der Dreiprozenthürde keine Wählerstimmen mehr verloren gehen. Bei der Bundestagswahl betraf das immerhin 16% aller gültigen Stimmen, die wegen der Fünfprozenthürde faktisch verloren waren.
Ein „wolliges Wahlplakat“ haben wir dann an einem Halteverbotsschild an der Nonnengasse angebracht – an einem Platz mit Blick auf eine schöne Kirche, deren Namen ich dort leider nicht erfragt habe. Auch hier fehlt der Piratenbutton natürlich nicht, ohne den es sich ja kaum um ein Wahlplakat handeln würde ;-).
unser "wolliges Wahlplakat" der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse

unser „wolliges Wahlplakat“ der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse


Es war lausekalt an diesen Tagen, selbst beim kurzen Annähen der Stricksachen froren einem schier die Finger ab. Da war es nicht unangenehm, mal wieder drinnen zu sein. Im „Archiv“, einem linken Buch- und Dokumentenarchiv in einem Arbeiterstadtviertel Nürnbergs, habe ich am Abend in einem maximal vollbesetzten Raum einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Jungen Piraten hatten das maßgeblich organisiert, und das auch noch kurzfristig. Sie haben einen großartigen Job gemacht! Auch nach diesem Vortrag gab es eine längere Debatte mit dem Publikum.
StrickutensilienDanach war ich platt wie eine Flunder. Ein Bier mit den Lokalpiraten in einem irischen Pub mußte trotzdem noch sein, aber alt wurde ich dabei nicht und war froh, irgendwann in das Gästebett eines Piraten zu fallen. Bei der Heimfahrt am nächsten Tag habe ich wieder fleißig gestrickt, denn mein Ehrgeiz ist geweckt: ich möchte, wie in Bielefeld beschlossen, an jedem Ort, an dem ich Wahlkampf mache, etwas mit Guerillastricken verschönern. Mal sehen, ob mir das gelingt. Seit Bielefeld habe ich es nur in Brandenburg nicht geschafft. Okay, Berlin auch nicht gleich – aber das habe ich ein paar Tage später nachgeholt. Beim Text zum Zombiewalk kann man im demnächst mehr dazu lesen.

I spoke in the name of Peter Sunde and Daniel Domscheit-Berg at PPEU Foundation

At the evening event before the formal foundation of the European Pirateparty (PPEU) at 20th March 2014, in the EU Parliament in Brussels, various keynotes have been held, one of them was meant to come from Daniel Domscheit-Berg, my husband. However, he fell ill that same day so that I ended up holding his keynote in his name – which included a greeting message, sent by Peter Sunde. I added some personal remarks.
Please find below all parts of this „matrjoshka“ style speech 🙂
Peter Sunde Greeting to the PPEU

pic of Peter Sunde, with free and open Kopimi License

pic of Peter Sunde, with free and open Kopimi License


„Dear friends,
Many of you know me as one of the founders of The Pirate Bay. I’ve been working closely with a lot of the people in this audience for over a decade. I was hoping to be able to come to this meeting, but I can’t.
The reasons are at the core of the things we need to fight. Because of the skewed and broken legal system, I’m sentenced to prison for a crime that is not supposed to be a crime. A crime that in it’s pure essence boils down to challenging authority. Challenging the big corporations over their power and influence, giving back the power of information to the people.
When we started The Pirate Bay we had no idea what it would lead to. We were young and we didn’t agree with anyone, not even eachother. The internet was not as regulated as today and there were none caring about the politics of the nets.  Today the world looks different. The internet is the new oil industry where the wells is the information about normal people, being collected for profits. The tools that we once built in good faith for sharing have become weapons against our own freedom and privacy. The regulations are coming and they are not for the peoples benefit. The politics of the net is now the politics of the world.
All the people in this audience understand this. You all know the problems we have. You’re all eager to change things, so that we can build a society for the people, not against them. Our mission has broadened from being just about the internets and our freedom to share, to saving democracy.  Within The Pirate Bay we were never really friends and we actually hated each other quite a lot sometimes. But our goals made us focus on the important tasks and put our own quarrels aside. We had other arenas for those. The more influence we got, the more important it was to stick to our goals. I feel it’s important to send a message to you all that cooperation and focus is the only way to change things.
The European Pirates is a great step at finding a common ground for this cooperation. Just as the green movement, our political goals are global and can’t be defined by borders.  Politics is a long-term commitment. It’s going to take time to reach the results we want. But just look at the people in the audience. Look at the results you’ve already achieved, in such a small time frame for being politics.  Today I wish I could be there with you guys to celebrate, because it’s well deserved for all of us!“
Keynote of Daniel Domscheit-Berg
Pic by SHAREconference, Daniel Domscheit-Berg at ShareConference, Belgrad, 2012, License: cc-by-sa-2.0

Pic by SHAREconference, Daniel Domscheit-Berg at ShareConference, Belgrad, 2012, License: cc-by-sa-2.0


„hi Everyone,
its quite an honor for me to speak at this very historic moment of pirate history. There are plenty of things i would like to say given the troubled times we live in, in the real world, but unfortunately also in our party. Back at WikiLeaks we had a credo, that history is the only guidebook civilization has. I think, whenever it is unclear where something is headed, it makes sense to look back where it came from. To remember what unites us, so we can move forward together and in unity.  So I would like to share a short story.
In the latish 90s a young and innocent unix enthusiast became part of a circle of people referred to as the warez scene. The scene was a group of people that had started to use the means of the internet quite early and had developed an ecosystem for the distribution of content: mainly music, movies, at some stage books and magazines.  That scene was a first incarnation of an alternative ecosystem in a purely digital sphere. It was a first effort to reorganize the distribution of and access to content, to overcome societal and technical limitations imposed by the existing regime.
Unfortunately, that scene looked much like the existing world. It was top-down, vertically organized as one could imagine, highly competitive and highly professionalized. Just as our real world, it was made for an 31337 („Elite“), this time just spelled in numbers. This hierarchy was no coincidence, but a mere consequence of the scarcity of resources, fast lines and bandwidth, fast servers and most importantly, storage.
Around the year 2000, something in the game started to change.  In time for the new millennium the broadband future had arrived in Sweden. Broadband as in 10 megabits, 100 megabits at home. Svenne Svensson in his Swedish home got fiber, and more importantly, upstream to the network via an an open access infrastructure that removed the bandwidth limitations. The limitations in how much he could share with Anna Svensdotter, John Doe, Erika Musterfrau, and the rest of the world, were effectively removed.
Within a really short amount of time, substantial parts of the warez ecosystem moved to Sweden. Suddenly a world rid of physical scarcity and full of intellectual and cultural abundance had arrived — accessible not only to an 31337 anymore, but increasingly to everybody.
Because the broadband future happened in the middle of a highly social society it is no coincidence that Piratbyran and The Pirate Bay happened in Sweden. They are nothing short of a natural consequence of the dynamics set in motion with the arrival of the digital age, and some fundamental questions this put on the table. Questions about the means of distribution and property in a digital environment. Questions from the early days of piracy.  So what does this all mean?  Our unix sailor in the summer of 2005 steered a shipful of SOUR drum and bass releases to The Bay for the very first time. When strolling among all those colorful sails that had set anchor, he realized that the digital era was a world in which the exclusivity he had been looking for did not make sense anymore. He realized that his exclusive world was a lonely one. It was unjust, unfair and no longer fitting the times. He realized that the digital age could be the end of all exclusive regimes, and the beginning of an inclusive paradigm.  That day, another sailor joined the pirate fleet.
In the internet we are equals among equals. This is the basic implication of the Internet Protocol in a net-neutral environment. This world is a world of inclusion, in which everyone, independent of color, sex, sexual orientation, location on the planet or social status is welcome to participate and in which there is no room for discrimination — be it on packet level in a network or status in society. It is an inclusive world, and what unifies us all is that we fight for this inclusive world on all levels of society. The whole idea of this European movement is one of an inclusive regime. The fact that we are creating a European Pirate Party is yet another proof for the potential for a more inclusive world. We as Europeans have understood that we are peers among peers not just in a technical sense.
What we are talking about here are fundamental challenges to the existing system of the world. As this movement has grown into a proper political one over the last years, with parties all over world, we have discovered those challenges and have embraced them. We have developed strong , intelligent and sustainable positions towards topics that have an influence on all facets of humanity.  We understand that technologies like 3D printing will change the distribution of the means of production; that in a world thriving on creativity and innovation the old concepts of intellectual property protection don’t make sense anymore. We also understand the imminent dangers of the mass surveillance of the global population through an exclusive group of people and the threat this poses to democracy and the possibilities for positive change towards a more inclusive society.
Our strength is this movements  holistic approach with answers on all these topics. It is the fact that we have understood and embraced the digital era in full like no other political movement so far. Again, this is not coincidence but consequence. We carry a unique responsibility. From where I stand, no parliament to enter is as important right now as the European Parliament.
We have to remember, that what is crucially important is that we live in a time that requires us to take urgent action. We have a limited window of opportunity in which we can have a positive influence in how this new digital era is shaped. We must not lose time on anything that is smaller than this vision, that is less important. We must not be distracted by anything that is irrelevant in persuing this vision for society. We are here for a reason and we must never forget that. We carry a responsibility for the rest of the world because we are only few who understand what is coming.“
YouTube Screenshot von der Keynote am 20.03.2014 im EU Parlament in Brüssel

YouTube Screenshot von der Keynote am 20.03.2014 im EU Parlament in Brüssel


My own remarks which I gave at the end of delivering the speeches of Peter and Daniel:

Let me add some final remarks from my perspective as a German candidate for the upcoming EU elections: I am giving all my energy and dedication for our campaign but no candidate can win elections on her own. It takes the energy and dedication of the entire pirateparty community to take this barrier down, to get more feet into the European door, to get more power and impact in shaping our future.
Now is the time, where I ask for you to get onto your feet, go out into the streets and spread word about our visions. Because NOW this is all that matters and only in unity we are strong enough to win this fight. Thank you.

There is a YouTube version online, you find it HERE.
 

"Auch Du wirst überwacht" – Eine Aktion zu #Merkelphone am Kanzleramt

Am 24.10.2013 haben mein Mann und ich dem Kanzleramt einen Besuch abgestattet. Mein Mann hatte dort ein Geschenk für die Kanzlerin abzugeben. Die Geschichte dahinter steht hier im Blogpost. Alle Bilder stammen von der Aktion.

Piratenwahlplakat der Bundestagswahl 2013 - upcycled für die Kanzlerin, mit Widmung von Daniel Domscheit-Berg

Piratenwahlplakat der Bundestagswahl 2013 – upcycled für die Kanzlerin, mit Widmung von Daniel Domscheit-Berg


Endlich regt sich unsere Kanzlerin auf über den NSA Überwachungsskandal. Hat ja auch lange gedauert. 80 Millionen überwachte Staatsbürger*innen haben dazu nicht gereicht – jedenfalls nicht, so lange Kanzlerin Merkel seltsamerweise davon ausging, nicht Teil dieser 80 Millionen zu sein. Aber nun ist es raus, auch ihr Handy wurde von amerikanischen Geheimdiensten überwacht. SKANDAL! Weltweit sollen mindestens 35 Staatsmänner und -frauen betroffen sein, warum also sollte die „mächtigste Frau Europas“ davon ausgenommen sein?
Ach so, die Antwort kennen wir ja schon. Weil Freund Barack seiner Freundin Angela ja versichert hatte, dass sie natürlich nicht auspioniert wird und weil doch Freunde einander die Wahrheit sagen. So oder so ähnlich hat Frau Merkel wohl gedacht, also sie auf sein charmantes Lächeln hereinfiel – oder auf die Beteuerungen ihres großartigen Innenministers Friedrich („7, ähm, 5, ähm 2, ähm 0 Terroranschläge wurden verhindert“) oder des Kanzleramtssprechers Pofalla („Millionenfache Überwachung? Gibts nicht, alles geklärt, ich beende daher diese vermeintliche Affaire“).
Ankunft am Hauptbahnhof Berlin - unterwegs zum Kanzleramt

Ankunft am Hauptbahnhof Berlin – unterwegs zum Kanzleramt


An Naivität und Gutgläubigkeit ist das kaum noch zu überbieten. Ich würde so gern unsere Kanzlerin einmal fragen, warum in Gottes Namen sie ausgerechnet einer Regierung glaubt, deren Repräsentanten nachweislich in dieser Angelegenheit lügen und nationales sowie internationales Recht gebrochen haben? Das US Parlament wurde angelogen von NSA Vertretern. UN Diplomaten wurden völkerrechtswidrig bespitzelt, EU Einrichtungen verwanzt und damit ganz offiziell Spionage betrieben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht? Das soll für alle Grundschulkinder gelten aber offenbar nicht für Regierungen, die Atomwaffen besitzen, Kriege auf Basis erfundener Behauptungen führen, Kinder und Zivilisten neben sogenannten „Targets“ mit ferngesteuerten Drohnen ermorden – ohne, dass irgendjemand irgendeine Chance hat, einen Rechtsweg zu beschreiten, seine oder ihre Unschuld zu beweisen. Ich nenne das Mord. Mit Rechtsstaat hat das nicht mehr viel zu tun. Und so einer Regierung glaubt Angela Merkel? Wegen dem Friedensnobelpreis vielleicht?
Bahnhofsvorplatz - das Kanzleramt ist schon in Sicht

Bahnhofsvorplatz – das Kanzleramt ist schon in Sicht


Angela Merkel hat neben einem fahrlässig hohen Grad an Naivität offenbar die längste Leitung dieser Welt und neigt zum Vergessen offensichtlicher Tatsachen. Aus diesem Grund haben wir, mein Mann und ich, beschlossen, ein wenig Unterstützung von Piratenseite zu leisten. Die Idee kam von Pirat Raimond aus dem Havelland am Mittwoch – 23.10.2013 – dem ersten Abend der Merkelphone-Affaire als er ein paar ausgemusterte Wahlplakate abholen wollte. Aus der Idee wurde in einer nächtlichen Aktion ein konkreter Plan.
Unterwegs zum Kanzleramt - die Brücke vor dem Hauptbahnhof

Unterwegs zum Kanzleramt – die Brücke vor dem Hauptbahnhof


Bei uns stehen noch viele Wahlplakate von der Bundestagswahl herum, darunter welche mit dem passenden Slogan „Auch Du wirst überwacht“ und dem Konterfei meines Mannes Daniel. Neben dem Parteilogo stand darunter „Piraten wählen“ – das paßt zwar immer, denn nach der Wahl ist vor der Wahl – aber wir änderten es für Frau Merkel in „Piraten zuhören“. Auf den freien Hintergrund schrieb Daniel eine persönliche Widmung:

Bitte nicht nochmal vergessen! Daniel“

Dazu schrieb er noch einen persönlichen Brief. Ich nutzte so um Mitternacht Twitter, um per DM das Interesse von ARD und ZDF über unsere für den nächsten Tag geplante Aktion zu wecken und war begeistert, dass das klappte.

Wir sind angekommen :-)

Wir sind angekommen 🙂


Am folgenden Donnerstag morgen machten wir uns nach kurzer Nacht auf den Weg zum Kanzleramt, um unsere großen „gelben Merkzettel“ an Frau Merkel zu übergeben. Natürlich war uns klar, dass Merkel selbst natürlich keine Zeit und Lust haben wird, unser Geschenk entgegenzunehmen. Aber abgeben – das geht natürlich. Vorher beantwortete Daniel den Sendern noch ein paar Fragen zur Aktion und zur Merkelphone-Affaire mit dem Kanzleramt als imposanter Kulisse, dann ging es zum Pförtnerhäuschen.
Erster Kontakt: Der Pförtner vom Kanzleramt

Erster Kontakt: Der Pförtner vom Kanzleramt


Der Pförtner bat Daniel zu warten. Wenigen Minuten später erschien eine Dame von der Sicherheit, die mit einem lustigen Gerät Brief und Plakat auf verdächtige Spuren scannte, nichts fand und wieder verschwand.
Zweiter Kontakt: Untersuchung von Brief und Plakat auf Gefährliches

Zweiter Kontakt: Untersuchung von Brief und Plakat auf Gefährliches


Wir warten noch ein paar Minuten. Ein Herr, zur Abwechslung ohne Uniform, tauchte auf und stellte sich als Vertreter der Poststelle vor. Auch er unterhielt sich mit Daniel, der ihm erzählte, warum er der Kanzlerin diese Gedächtnisstütze als praktische Erinnerung an den Umstand, dass wir ALLE überwacht werden, schenken möchte. Die Wahlplakate seien ja bei uns übrig und die Piraten hätten diese Erkenntnis ja auch schon lange und daher die Erinnerung daran auch nicht mehr so nötig, wie die Kanzlerin.
Dritter Kontakt: Die Übergabe an den Vertreter der Poststelle

Dritter Kontakt: Die Übergabe an den Vertreter der Poststelle


Der Mann von der Poststelle konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Neben ARD und ZDF, die das alles zwar mit Ton und Bild aufgezeichnet aber meines Wissens nicht veröffentlicht hatten, hat auch Piratin Cornelia Otto mit dem Smartphone die Übergabe gefilmt, die Technik gab leider unter diesen Rahmenbedingungen keine Audioaufzeichnung her – aber es gibt ja noch Fotos :-).

Screenshot YT Tikkachu Video Merkelphone Plakatübergabe

Den kleinen Film von Cornelia – auf Twitter als @Tikkachu bekannt – gibt es auch HIER. Der Mensch von der Poststelle ließ uns alle etwas rätselnd zurück, denn er ging nicht nach links in Richtung Kanzleramt sondern nach rechts in Richtung einer Art Tiefgarage.

Der Mann von der Poststelle - unterwegs - ja, wohin?

Der Mann von der Poststelle – unterwegs – ja, wohin?


Wir spekulierten alle miteinander, ob es denkbar wäre, dass er das Plakat samt Brief für die Kanzlerin einfach in einen Müllcontainer stopft… Wenn jemand weiß, was sich in den Katakomben rechts vom Pförtnerhäuschen des Kanzleramtes befindet, laßt es mich wissen. Ich bin immer noch neugierig.
...kurz danach biegt er nach rechts statt nach links ab. Wohin ging der Postmann von Merkel?

…kurz danach biegt er nach rechts statt nach links ab. Wohin ging der Postmann von Merkel?


Etliche Bürger*innen haben das ganze interessiert verfolgt und uns schon im Vorfeld Fragen dazu gestellt. Jeder schien verwundert über das seltsam späte und bigotte Aufwachen unserer Kanzlerin. Etwas enttäuscht bin ich von den Medien, die uns begleitet haben – was eine großartige Sache war, gerade wegen der extremen Kurzfristigkeit – aber keines hat davon etwas verwendet (oder ich habe es einfach nicht mitbekommen, her mit einem Hinweis, wenn ich falsch liege!). Von allen möglichen Parteien wurden Statements veröffentlicht – wenigstens online, aber nicht von der Piratenpartei. Verstehen kann ich das nicht, denn das ist und war schon immer UNSER Thema, es war unser Schwerpunkt im Bundestagswahlkampf, der ja erst ultrakurz zurückliegt. Falls jemand den Piraten mal wieder vorwerfen möchte, wir machten politisch oder in der Öffentlichkeitsarbeit nichts daraus, der sollte sich stattdessen fragen, was wir noch machen sollen, um es in die Medien hinein zu schaffen mit unseren Positionen.
Interviews mit ARD und ZDF vor dem Kanzleramt

Interviews mit ARD und ZDF vor dem Kanzleramt


Also machen wir weiter das mit der Medienarbeit von unten – hier gibts die Geschichte und hier gibts die Bilder und immerhin ein Video, wenn auch ohne Ton. Vielleicht schaffen es ja die Öffentlich-Rechtlichen doch noch, das Material online und damit zur Verfügung zu stellen. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Daniel beantwortet Fragen zum Überwachungsskandal rund um Merkels Telefon.

Daniel beantwortet Fragen zum Überwachungsskandal rund um Merkels Telefon.


Um fair zu sein – Aufmerksamkeit in den Medien gibt es natürlich trotzdem, so wurde ich kurz vor Beginn der Aktion am Kanzleramt von der Redaktion Maybrit Illner angerufen und für die thematisch neu geplante Sendung für den gleichen Abend eingeladen. Wer eine Stunde Zeit hat, kann sich die vollständige Debatte bei Illner HIER ansehen (der US Amerikaner ist erschütternd makaber in seinen Äußerungen, SPD Oppermann windet sich in der Frage der Vorratsdatenspeicherung – seine Aussagen darf man getrost interpretieren als „ja klar, wir die SPD tragen die VDS in einer Rot-Schwarz-Koalition mit, Hauptsache, es wird – wie vom Bundesverfassungsgericht eh vorgeschrieben –  eine Art Lightversion“ – die natürlich ebenso gefährlich wie überflüssig ist).
Screenshot Illner Zusammenschnitt

Kurzfassung (7Min) der Illner Runde zu #Merkelphone (Danke an @Bananenrepublik!)


Wer nur ein paar Minuten hat, hier gibts einen Zusammenschnitt, eine Art Trailer von 7 Minuten (Danke @bananenrepublik!). Es gab auch viele Radiointerviews zum Thema für meinen Mann und mich, und einige Fernsehgeschichten sind auch noch geplant, u.a. werde ich mich vorr. am 29.10.13 auf nTV in der Sendung „Das Duell“ mit einem Vertreter der CDU zum Thema Überwachung auseinandersetzen. Auch im britischen Guardian wurde ich mit einem Statement zitiert (HIER). Lesenswert ist auch ein Interview mit Daniel im Handelsblatt, in dem es neben dem Film InsideWikiLeaks auch um die Merkelphone-Affaire geht.
Aus gegebenem Anlaß verlinke ich hier noch einmal ein Fragenkatalog des parlamentarischen Kontrollgremiums aus dem Sommer an die Bundesregierung – es sind 18 Seiten voll brennender Fragen. Wenn jemand den Antwortkatalog dazu kennt – her damit. Meines Wissens sind die meisten dieser Fragen immer noch offen. Aber auch der Umstand, dass es offene Fragen in der Sache gibt, ist ja Angela Merkel erst jetzt wieder eingefallen. Wem spricht sie wohl zuerst ihr nächstes vollstes Vertrauen aus? Pofalla oder Friedrich? Und schade eigentlich, dass diese Superpower des „vollsten Vertrauens“ nicht auch über den Atlantik hinweg funktioniert. Und schade auch, dass die Bundesregierung nach wie vor nicht verstehen kann, dass man Freunde nicht nur über den Ozean hinweg nicht überwacht sondern schon gar nicht im eigenen Land. Tut man das doch, wie die 25 Überwachungs- und Sicherheitsgesetze zeigen, die mit Merkel als Kanzlerin verabschiedet worden sind, dann betrachtet man wohl sämtliche 80 Mio Einwohner pauschal als Feinde, Verbrecher und Terroristen. Willkommen im Boot, Frau Merkel.

The Fifth Estate – das komische Gefühl, sich in einem Hollywoodfilm wieder zu finden

Cover Inside WikiLeaksEs ist kein Geheimnis, dass ich mit Daniel Domscheit-Berg verheiratet bin und auch nicht, dass er drei Jahre lang als Nummer zwei von WikiLeaks gemeinsam mit Julian Assange WikiLeaks aufgebaut hat. Über diese Zeit schrieb mein Mann sich das Buch „Inside WikiLeaks“ von der Seele und eben jenes Buch floss (neben etlichen anderen Quellen) in das Drehbuch für einen Film von Dreamworks ein. Der Film heißt im Original „The Fifth Estate“, in Deutschland kommt er mit dem Titel „Inside WikiLeaks – die Fünfte Gewalt“ über Constantin Film in die Kinos. Er thematisiert am Beispiel der frühen Geschichte von WikiLeaks die Macht des Internets, als neue Kraft neben Legislative, Exekutive und Judikative sowie den Medien als der vierten Gewalt. (Wikipediaeintrag zum Film).

mein Guerillaknitting beim 28C3 Kongress in Berlin - fast an der gleichen Stelle, wie am Filmset :-)

mein Guerillaknitting beim 28C3 Kongress in Berlin – fast an der gleichen Stelle, wie am Filmset 🙂


In diesem Film wird mein Mann von Daniel Brühl, einem meiner Lieblingsschauspieler gespielt, gerade läuft mit ihm in der Hauptrolle als Niki Lauda auch der Film Rush in den Kinos. Julian Assange wird dargestellt durch Benedict Cumberbatch, bekannt u.a. als Sherlock. Ich war schon bei den Dreharbeiten in Berlin beeindruckt, wie authentisch er erschien – in Gestik, Mimik und Dialekt – bis hin zum Aussehen (man muss den Film daher eigentlich unbedingt in der Originalfassung sehen!). Als Statistin habe ich in Berlin an drei Drehtagen mitgespielt als Kongressteilnehmerin der CCC Kongresse von 2008 und 2009, übriggeblieben ist eine halbe Sekunde im Film, wo ich im Auditorium des großen Saales im BCC sitze (mal sehen, wer mich entdeckt ;-)). Es war faszinierend, mal so einen Dreh mitzuerleben, das ganze lief hochprofessionell ab, die Kulisse fand ich nah dran an den „richtigen“ CCC Kongressen. Ich hab sogar ein wenig Guerillaknitting in das Set geschmuggelt, das ist auch authentisch, denn die gleichen Strickstücke waren schon auf richtigen CCC Kongressen im Einsatz (siehe Bild).

Im Film kommt aber auch eine Figur vor, die meinen Namen trägt und von Alicia Vikander gespielt wird. Leider hatte sie in Berlin keinen Auftritt, ich bin ihr also nicht begegnet, mein Schauspieler Alter-Ego hätte ich schon gern kennengelernt.

Screenshot Alicia Vikander YT onset Intervidw

onset Interview Alicia Vikander beim The Fifth Estate Dreh (YouTube)

Ich fand es extrem schräg, eine fremde, super junge und bildschöne Frau mich darstellen zu sehen. Sie trug meinen eigenen Schmuck (den hat meine Schwester eine begnadete Goldschmiedin mit Werkstatt in Kiel geschaffen) und rote Strumpfhosen, so wie ich oft. Bei den Dreharbeiten bekam ich extra ein Verbot, rote oder orangene Sachen zu tragen, damit ich als kleine Statistin nicht den Farbcode von Alicia Vikander dopple. Die Ansage war: „You can wear whatever you want, as long as it does not look like typical you“ – das ist gar nicht so einfach… Alicia hat in einem on set Interview ein paar Fragen zum Film beantwortet. Erst dort ist mir aufgefallen, dass sie sogar meinen Zickzackscheitel trägt :-). HIER kann man es nachhören (oder Klick auf das Bild oben).

Der Film ist an vielen Stellen nah an den wahren Begebenheiten dran, aber er erfindet auch Sachen, läßt andere weg, stellt Vieles vereinfacht dar oder anders als es war. Das betrifft die Rahmenhandlung und konkrete Aktivitäten einzelner Protagonisten, Schauplätze des Geschehens oder auch Zeiträume, in denen etwas passierte. Ich kann und will keine Liste aller Details erstellen, in denen sich der Spielfilm von der Realität entfernt hat. Aber ein paar Punkte, die mich selbst betreffen, will ich doch erwähnen, das erspart mir vielleicht ein paar Fragen danach, ob irgendein Umstand denn nun wirklich so war.
Meine Position zu den Grenzen der Transparenz: Richtig ist, dass ich die Veröffentlichung der privaten Mitgliederadressen einer britischen Rechtsradikalenpartei nicht in Ordnung fand, weil ich der Meinung war (und bin), dass damit Menschen gefährdet werden, auch Unbeteiligte wie Familienangehörige und Kinder. Bei aller Ablehnung von rechtsradikalem Gedankengut, die ich uneingeschränkt teile, diese Art der Veröffentlichung ist in meinen Augen einfach keine geeignete Maßnahme, um dagegen vorzugehen. Ich vertrat aus gleichem Grund früh die Meinung, dass Transparenz nicht um ihrer selbst Willen einen Wert hat und nicht in jedem Fall mehr Transparenz grundsätzlich besser ist. Es gibt diesen schmalen Grat zwischen notwendiger Transparenz aus öffentlichem Interesse auf der einen Seite und Verletzung der Privatsphäre einzelner – bishin zu ihrer persönlichen Gefährdung auf der anderen. Diese Linie ist nicht einfach zu ziehen, aber sie muss gezogen werden. Assange sprach zwar von schadensbegrenzenden Maßnahmen, faktisch fanden aber so gut wie nie welche statt. WikiLeaks stand und steht immer noch für radikale Vollveröffentlichung – um jeden Preis. Ich halte das für verantwortungslos – unabhängig davon, dass ich Whistleblowing und Leaking für unabdingbar halte – als Korrektive in Demokratien, die keineswegs immun gegen extreme Fehlentwicklungen sind, Fehlentwicklungen, die die Demokratie sogar selbst im Kern erschüttern können. Am NSA Skandal haben wir genau das erlebt. Wir können aber gerade an der Art und Weise der Veröffentlichung der NSA Leaks auch sehen, wie Edward Snowden bewußt diese Grenze ziehen wollte und eben nicht einfach alles veröffentlichte, was er auf seiner Festplatte hatte.
Mein Verhältnis zu Julian: Nein, Julian hat uns nie bei einem intimen Beisammensein gestört. Genau genommen, ist mir Julian nie begegnet. Ich habe Daniel erst später kennengelernt, im Februar 2010, kurz vor der Veröffentlichung des Collateral Murder Videos durch WikiLeaks. Was stimmt: Auch wenn der Tweettext im Wortlaut anders war (sehr viel wortreicher) ich entdecke den Tweet, in dem Assange mich mit dem CIA und meinen Mann mit dem FBI assoziierte und war ganz im realen Leben entrüstet. Ich habe unzählige Male hinter meinem Mann gestanden und die Chats der beiden verfolgt, in denen Assange meinem Mann die wüstesten Unterstellungen schrieb. Nein, ich war kein Fan des Kommunikationsstils von Assange. Seine permanenten Unterstellungen, mich und meinen Mann betreffend, Drohungen diverser Art, immer wieder falsche Behauptungen – das nervt auf die Dauer, vor allem, wenn Dritte diese Dinge weiterverbreiten, ohne sie zu hinterfragen. Das ganze hat zum Glück abgenommen, es gibt doch nicht mehr so viele, die alles für bare Münze nehmen, was Julian kommuniziert. Es hat sich inzwischen wohl zu oft wiederholt, dass er Mitstreiter diskreditiert, die es wagen, Kritik zu äußern. Zuletzt hatten das Unterstützer der WikiLeaks Partei in Australien ja erleben dürfen, die nach großen innerparteilichen Defiziten in Transparenz und demokratischen Grundprinzipien die Partei verließen.
Meine Rolle als Freundin von Daniel: ich bin 20 Jahre älter als mein schauspielendes Alter Ego – eine Frau, die 10 Jahre älter ist, paßte wohl nicht in Hollywood Clichés, sie mußte daher 10 Jahre jünger sein als mein Mann. Offenbar nicht so schlimm, denn beim Getogether nach der deutschen Premiere hielt mich ein Journalist für Alicia Vikander :-). Apropos Stereotype – Immerhin wurde eine frühere Drehbuchfassung noch einmal geändert, denn da hätte ich in Frauenzeitschriften blätternd neben einem erkaltenden Candlelightdinner mit Kaminfeuer stundenlang auf Daniel gewartet – die typische Heimchenfrau. Jeder, der mich auch nur ansatzweise kennt, hätte sich darüber totgelacht. Im tatsächlichen Film warte ich zwar immer noch und das Essen wurde tatsächlich kalt, aber die Kerzen und das Kaminfeuer sind wenigstens verschwunden und die Frauenzeitschriften durch einen Laptop ersetzt (mit Piratenparteiaufkleber!). Immerhin. Im realen Leben habe ich damals gar keine Braten gekocht, wir holten uns öfter Nudeln vom Lieblingsitaliener und die wurden nie kalt. Im realen Leben hat sich damals Daniel aber tatsächlich kaum von seinem Laptop entfernt. Einen Tag-Nacht-Rhytmus gab es nicht. Oft schlief ich ein während Daniel im Bett neben mir saß, den Laptop auf dem Schoß und noch mit WikiLeaks beschäftigt war – die halbe Nacht. Ich fand seine Arbeit wichtig, also war das auch okay.

2. Gov20 Barcamp (2010), credit: Henning Schacht

Open Government Keynote beim 2. Gov20 Barcamp (2010), credit: Henning Schacht


Als Berufstätige und Aktivistin: ich habe nie bei EDS gearbeitet, war also auch nie Arbeitskollegin von Daniel. Ich habe allerdings bei ähnlichen Firmen gearbeitet, u.a. 9 Jahre bei Accenture, einem EDS Wettbewerber. Etwa zu der Zeit, als Daniel erstmalig zu WikiLeaks stieß – also mehr als 2 Jahre bevor wir uns trafen, begann ich, mich intensiv mit demokratischen Fragen und der Transparenz von Verwaltung zu befassen. Als ich Daniel kennenlernte, war ich schon lange selbst zu Open Government aktiv, hatte das Government 2.0 Netzwerk Deutschland mitgegründet, das Open Government Barcamp in Deutschland initiiert u.a.. Alles das kommt im Film nicht vor. Es ging dort allerdings auch nicht um meine Person sondern um WikiLeaks, also ist das schon okay. Aber es ist für einen selbst trotzdem seltsam sich in einer Rolle gespielt zu sehen, die fast nichts von dem hat, von dem man denkt, dass es einen besonders ausmacht.
Das sind so die Sachen, die mir jetzt noch einfallen. Man könnte sich darüber aufregen, ebenso wie über andere Abweichungen vom realen Leben, aber das wäre unpassend, denn dieser Film ist kein Dokumentarfilm sondern ein Hollywoodspielfilm (zum Beispiel glaubt hoffentlich kein Mensch, das WikiLeaks Team hätte JEMALS Skype verwendet…).
Da waren sie noch ein Team: Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg, by Jacob Appelbaum

Da waren sie noch ein Team: Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg, by Jacob Appelbaum


Der Film hatte die fast unmögliche Aufgabe zu bewältigen, das komplexe Spannungsfeld von Weltpolitik, Untergrund und zwischenmenschlichen Konflikten widerzuspiegeln, in dem sich mein Mann, Julian Assange und andere Beteiligte befanden, darunter der anonym gebliebene „Architekt“. Im Film heißt er „Markus“ und wird hervorragend gespielt von Moritz Bleibtreu. „Markus“ hatte die Software für die neue Submission Plattform programmiert und beim Weggang von WikiLeaks an sich genommen, weil er das von ihm geschaffene Werkzeug Julian nicht länger überlassen wollte. Das ist auch einer der Momente, der im Film ganz anders rüberkommt, da sieht es so aus, als würde mein Mann die Submission Plattform zerstören. Nun ja.
Birgitta JonsdottirAuch Birgitta Jonsdottir spielt im Film eine Rolle, sie ist Aktivistin und Parlamentarierin in Island, Vorkämpferin für IMMI – die Icelandic Modern Media Initiative und jetzt Vorsitzende der Piratenpartei in Island. In 2011 habe ich sie für das Government 2.0 Barcamp interviewed – wer das lesen will: HIER. Birgitta ist ein großartiger Mensch und personifiziert die gesellschaftlichen Veränderungsmöglichkeiten durch ein einzelnes Individuum. Sie hat in Island vieles verändern können und ist immer noch dabei.
Die Geschichte von WikiLeaks ist nicht einfach erzählt, es gibt kein schwarz-weiß dabei, obwohl so viele diese Interpretation gern versuchen. Kann ein Hollywoodfilm es schaffen, diese Komplexität fair und differenzierend abzubilden? Ich habe auch nach zweimaligem Ansehen des Films keine abschließende Antwort darauf, aber ich teile die Bewertung einiger, es sei ein Anti-Assange Film, überhaupt nicht. Ich finde, dass der Film nichts beschönigt aber er wertet auch nichts von den großartigen Beiträgen sowohl der Person Julian Assange als auch der Organisation WikiLeaks ab. Leaking ist erst durch WikiLeaks zu einer Art „Kulturtechnik“ der digitalen Gesellschaft geworden, ein Akt der Selbstverteidigung, wenn grundlegende Werte und Rechte verletzt werden.
Durch den Film werden nun hoffentlich viele wichtige Leaks bekannter, die in unseren Medien eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielten (Steuerschiebereien der Superreichen, staatliche Korruption in Kenia, Scientology Machenschaften, u.v.a.). Es ist ja nicht wahr, dass WikiLeaks sich vor allem auf US Leaks fokussiert hat – jedenfalls für die ersten Jahre stimmt das nicht. Aber auch die großen Leaks zu US-militärischen Einsätzen in Afghanistan und Irak haben Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in bis dahin unbekannten Maßstäben erkennbar gemacht. Alles das zeigt der Film und diese Botschaften sind wichtig. Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass Macht und Publicity korrumpierbar machen und Menschen Gefahr laufen, ihren eigenen Werten zuwider zu handeln. Das zu verhindern, braucht es gute Strukturen, die auf Transparenz und demokratischen Prinzipien auch im Inneren der Organisation aufbauen. Was passiert, wenn zu schneller und vielleicht auch zu großer Erfolg einer einst sehr kleinen Plattform in Kombination mit der Dominanz ihres Gründers das Entstehen solcher Strukturen verhindert, kann man an WikiLeaks sehen. Diese Botschaft ist eine Warnung an NGOs und Initiativen, die sich ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt sehen, man kann sehr viel daraus lernen.
Ein breiteres Publikum als je zuvor kann sich durch den Film mit diesen wichtigen Themen der Gegenwart auseinandersetzen – der Rolle von Whistleblowing, Transparenz und Journalismus. Aber auch der Verantwortung jedes Menschen, der Wind bekommt von miesen Machenschaften und in dessen Hand es liegt, etwas zur Beseitigung dieses Mißstandes zu unternehmen. Das betrifft uns alle und unsere eigene Rolle als potenzielle Veränderer in einer digitalen Gesellschaft, in der wir alle viel mehr Macht haben (können) als das je zuvor möglich war.
Seine Weltpremiere hatte der Film als Auftakt beim Filmfestival in Toronto Anfang September, in Deutschland war gestern, am 21.10.13 Premiere in Berlin, ab 31. Oktober kommt er in unsere Kinos. Der Trailer ist schon zu sehen, Insider werden das Tacheles und einige andere Orte in Berlin erkennen (Video abspielen durch Klick auf das Bild). Ich hoffe, Zuschauer nehmen den Film als das was er ist – ein spannender Hollywood Film rund um ein hochaktuelles Thema, der auf Tatsachen aufbaut aber KEIN Dokumentarfilm oder Tatsachenbericht ist. Vor allem aber sollte er ein Appell sein an uns alle, uns für die Verteidigung demokratischer Grundrechte und gegen alle Arten Mißstände auch ganz persönlich einzusetzen.
Im Trailer spricht Julian Assange zum Schluss:

„Du willst die Wahrheit wissen? Finde sie selbst heraus. Davor haben sie Angst. Vor DIR.“ –

Du bist die Fünfte Gewalt. Das ist für mich die wichtigste Botschaft des Films. Deshalb sollten ihn viele Menschen sehen, um genau das zu verstehen und um es nie mehr zu vergessen.
Screenshot Trailer The Fifth Estate
Noch ein Wort zur Premiere:
Ich fand es großartig, Familie und so viele gute Freunde und Wegbegleiter dort zu sehen – Ihr habt uns den Abend leichter gemacht! Dieser ganze Kram mit Rotem Teppich, Blitzlichtgewitter, Interviewmarathon und dem Gefühl, auf dem Silbertablett serviertes Freiwild für jeden zu sein, der schon immer mal eine wie auch immer geartete Meinung über einen äußern wollte, das war alles schwer zu ertragen. Was die nächsten Wochen für uns bringen, wissen wir nicht. Aber wir wissen Euch an unserer Seite und das hilft 🙂 Danke!

Red Carpet - Inside WikiLeaks Premiere Berlin

Vorn von links nach rechts: Bruno Kramm, ich, Cornelia Otto, Christiane Schinkel – und ganz rechts im Bild mein Vater :-), in der zweiten Reihe Daniel


 
Update 1: 
Fast drei Jahre nach Erscheinen des Buches „Inside WikiLeaks“ – das eine der Grundlagen für das Drehbuch zum Film wurde – kam eine interessante Hintergrundgeschichte ans Licht. Offensichtlich hatte Julian Assange im Januar 2011 David House, einen Unterstützer aus dem engsten Kreis von Chelsea Manning, nach Berlin in unsere Wohnung geschickt, um dort das Manuskript des Buches zu stehlen. David House selbst hat dem US Magazin Wired diese Geschichte erzählt. Im Januar 2011 stand er tatsächlich unangemeldet vor unserer Tür, kam rein und unterhielt sich eine ganze Weile beim Tee mit uns. Er verhielt sich damals beunruhigend merkwürdig. So fing er an, ungefragt und schnell in unserer Wohnung von Raum zu Raum zu wandern, während mein Mann kurz auf Toilette war. Als er auch das Arbeitszimmer meines Mannes betreten wollte, habe ich mich ihm in den Weg gestellt und die Tür geschlossen. Schließlich kannte ich ihn überhaupt nicht persönlich und zu Führungen in der Wohnung möchte ich immer noch selbst einladen. David H. stellte auch komische Fragen, z.B. ob wir einen Hund hätten und solche Sachen. Das alles hatte mich sehr irritiert, aber irgendwann denkt man nicht weiter dran. Bis man dann die Geschichte im Wired liest – drei Jahre später und sich keine weiteren Fragen mehr stellt…
Update 2: Ein paar Berichte zum Film verlinkt: