"Auch Du wirst überwacht" – Eine Aktion zu #Merkelphone am Kanzleramt

Am 24.10.2013 haben mein Mann und ich dem Kanzleramt einen Besuch abgestattet. Mein Mann hatte dort ein Geschenk für die Kanzlerin abzugeben. Die Geschichte dahinter steht hier im Blogpost. Alle Bilder stammen von der Aktion.

Piratenwahlplakat der Bundestagswahl 2013 - upcycled für die Kanzlerin, mit Widmung von Daniel Domscheit-Berg

Piratenwahlplakat der Bundestagswahl 2013 – upcycled für die Kanzlerin, mit Widmung von Daniel Domscheit-Berg


Endlich regt sich unsere Kanzlerin auf über den NSA Überwachungsskandal. Hat ja auch lange gedauert. 80 Millionen überwachte Staatsbürger*innen haben dazu nicht gereicht – jedenfalls nicht, so lange Kanzlerin Merkel seltsamerweise davon ausging, nicht Teil dieser 80 Millionen zu sein. Aber nun ist es raus, auch ihr Handy wurde von amerikanischen Geheimdiensten überwacht. SKANDAL! Weltweit sollen mindestens 35 Staatsmänner und -frauen betroffen sein, warum also sollte die „mächtigste Frau Europas“ davon ausgenommen sein?
Ach so, die Antwort kennen wir ja schon. Weil Freund Barack seiner Freundin Angela ja versichert hatte, dass sie natürlich nicht auspioniert wird und weil doch Freunde einander die Wahrheit sagen. So oder so ähnlich hat Frau Merkel wohl gedacht, also sie auf sein charmantes Lächeln hereinfiel – oder auf die Beteuerungen ihres großartigen Innenministers Friedrich („7, ähm, 5, ähm 2, ähm 0 Terroranschläge wurden verhindert“) oder des Kanzleramtssprechers Pofalla („Millionenfache Überwachung? Gibts nicht, alles geklärt, ich beende daher diese vermeintliche Affaire“).
Ankunft am Hauptbahnhof Berlin - unterwegs zum Kanzleramt

Ankunft am Hauptbahnhof Berlin – unterwegs zum Kanzleramt


An Naivität und Gutgläubigkeit ist das kaum noch zu überbieten. Ich würde so gern unsere Kanzlerin einmal fragen, warum in Gottes Namen sie ausgerechnet einer Regierung glaubt, deren Repräsentanten nachweislich in dieser Angelegenheit lügen und nationales sowie internationales Recht gebrochen haben? Das US Parlament wurde angelogen von NSA Vertretern. UN Diplomaten wurden völkerrechtswidrig bespitzelt, EU Einrichtungen verwanzt und damit ganz offiziell Spionage betrieben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht? Das soll für alle Grundschulkinder gelten aber offenbar nicht für Regierungen, die Atomwaffen besitzen, Kriege auf Basis erfundener Behauptungen führen, Kinder und Zivilisten neben sogenannten „Targets“ mit ferngesteuerten Drohnen ermorden – ohne, dass irgendjemand irgendeine Chance hat, einen Rechtsweg zu beschreiten, seine oder ihre Unschuld zu beweisen. Ich nenne das Mord. Mit Rechtsstaat hat das nicht mehr viel zu tun. Und so einer Regierung glaubt Angela Merkel? Wegen dem Friedensnobelpreis vielleicht?
Bahnhofsvorplatz - das Kanzleramt ist schon in Sicht

Bahnhofsvorplatz – das Kanzleramt ist schon in Sicht


Angela Merkel hat neben einem fahrlässig hohen Grad an Naivität offenbar die längste Leitung dieser Welt und neigt zum Vergessen offensichtlicher Tatsachen. Aus diesem Grund haben wir, mein Mann und ich, beschlossen, ein wenig Unterstützung von Piratenseite zu leisten. Die Idee kam von Pirat Raimond aus dem Havelland am Mittwoch – 23.10.2013 – dem ersten Abend der Merkelphone-Affaire als er ein paar ausgemusterte Wahlplakate abholen wollte. Aus der Idee wurde in einer nächtlichen Aktion ein konkreter Plan.
Unterwegs zum Kanzleramt - die Brücke vor dem Hauptbahnhof

Unterwegs zum Kanzleramt – die Brücke vor dem Hauptbahnhof


Bei uns stehen noch viele Wahlplakate von der Bundestagswahl herum, darunter welche mit dem passenden Slogan „Auch Du wirst überwacht“ und dem Konterfei meines Mannes Daniel. Neben dem Parteilogo stand darunter „Piraten wählen“ – das paßt zwar immer, denn nach der Wahl ist vor der Wahl – aber wir änderten es für Frau Merkel in „Piraten zuhören“. Auf den freien Hintergrund schrieb Daniel eine persönliche Widmung:

Bitte nicht nochmal vergessen! Daniel“

Dazu schrieb er noch einen persönlichen Brief. Ich nutzte so um Mitternacht Twitter, um per DM das Interesse von ARD und ZDF über unsere für den nächsten Tag geplante Aktion zu wecken und war begeistert, dass das klappte.

Wir sind angekommen :-)

Wir sind angekommen 🙂


Am folgenden Donnerstag morgen machten wir uns nach kurzer Nacht auf den Weg zum Kanzleramt, um unsere großen „gelben Merkzettel“ an Frau Merkel zu übergeben. Natürlich war uns klar, dass Merkel selbst natürlich keine Zeit und Lust haben wird, unser Geschenk entgegenzunehmen. Aber abgeben – das geht natürlich. Vorher beantwortete Daniel den Sendern noch ein paar Fragen zur Aktion und zur Merkelphone-Affaire mit dem Kanzleramt als imposanter Kulisse, dann ging es zum Pförtnerhäuschen.
Erster Kontakt: Der Pförtner vom Kanzleramt

Erster Kontakt: Der Pförtner vom Kanzleramt


Der Pförtner bat Daniel zu warten. Wenigen Minuten später erschien eine Dame von der Sicherheit, die mit einem lustigen Gerät Brief und Plakat auf verdächtige Spuren scannte, nichts fand und wieder verschwand.
Zweiter Kontakt: Untersuchung von Brief und Plakat auf Gefährliches

Zweiter Kontakt: Untersuchung von Brief und Plakat auf Gefährliches


Wir warten noch ein paar Minuten. Ein Herr, zur Abwechslung ohne Uniform, tauchte auf und stellte sich als Vertreter der Poststelle vor. Auch er unterhielt sich mit Daniel, der ihm erzählte, warum er der Kanzlerin diese Gedächtnisstütze als praktische Erinnerung an den Umstand, dass wir ALLE überwacht werden, schenken möchte. Die Wahlplakate seien ja bei uns übrig und die Piraten hätten diese Erkenntnis ja auch schon lange und daher die Erinnerung daran auch nicht mehr so nötig, wie die Kanzlerin.
Dritter Kontakt: Die Übergabe an den Vertreter der Poststelle

Dritter Kontakt: Die Übergabe an den Vertreter der Poststelle


Der Mann von der Poststelle konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Neben ARD und ZDF, die das alles zwar mit Ton und Bild aufgezeichnet aber meines Wissens nicht veröffentlicht hatten, hat auch Piratin Cornelia Otto mit dem Smartphone die Übergabe gefilmt, die Technik gab leider unter diesen Rahmenbedingungen keine Audioaufzeichnung her – aber es gibt ja noch Fotos :-).

Screenshot YT Tikkachu Video Merkelphone Plakatübergabe

Den kleinen Film von Cornelia – auf Twitter als @Tikkachu bekannt – gibt es auch HIER. Der Mensch von der Poststelle ließ uns alle etwas rätselnd zurück, denn er ging nicht nach links in Richtung Kanzleramt sondern nach rechts in Richtung einer Art Tiefgarage.

Der Mann von der Poststelle - unterwegs - ja, wohin?

Der Mann von der Poststelle – unterwegs – ja, wohin?


Wir spekulierten alle miteinander, ob es denkbar wäre, dass er das Plakat samt Brief für die Kanzlerin einfach in einen Müllcontainer stopft… Wenn jemand weiß, was sich in den Katakomben rechts vom Pförtnerhäuschen des Kanzleramtes befindet, laßt es mich wissen. Ich bin immer noch neugierig.
...kurz danach biegt er nach rechts statt nach links ab. Wohin ging der Postmann von Merkel?

…kurz danach biegt er nach rechts statt nach links ab. Wohin ging der Postmann von Merkel?


Etliche Bürger*innen haben das ganze interessiert verfolgt und uns schon im Vorfeld Fragen dazu gestellt. Jeder schien verwundert über das seltsam späte und bigotte Aufwachen unserer Kanzlerin. Etwas enttäuscht bin ich von den Medien, die uns begleitet haben – was eine großartige Sache war, gerade wegen der extremen Kurzfristigkeit – aber keines hat davon etwas verwendet (oder ich habe es einfach nicht mitbekommen, her mit einem Hinweis, wenn ich falsch liege!). Von allen möglichen Parteien wurden Statements veröffentlicht – wenigstens online, aber nicht von der Piratenpartei. Verstehen kann ich das nicht, denn das ist und war schon immer UNSER Thema, es war unser Schwerpunkt im Bundestagswahlkampf, der ja erst ultrakurz zurückliegt. Falls jemand den Piraten mal wieder vorwerfen möchte, wir machten politisch oder in der Öffentlichkeitsarbeit nichts daraus, der sollte sich stattdessen fragen, was wir noch machen sollen, um es in die Medien hinein zu schaffen mit unseren Positionen.
Interviews mit ARD und ZDF vor dem Kanzleramt

Interviews mit ARD und ZDF vor dem Kanzleramt


Also machen wir weiter das mit der Medienarbeit von unten – hier gibts die Geschichte und hier gibts die Bilder und immerhin ein Video, wenn auch ohne Ton. Vielleicht schaffen es ja die Öffentlich-Rechtlichen doch noch, das Material online und damit zur Verfügung zu stellen. Ich würde mich sehr darüber freuen.
Daniel beantwortet Fragen zum Überwachungsskandal rund um Merkels Telefon.

Daniel beantwortet Fragen zum Überwachungsskandal rund um Merkels Telefon.


Um fair zu sein – Aufmerksamkeit in den Medien gibt es natürlich trotzdem, so wurde ich kurz vor Beginn der Aktion am Kanzleramt von der Redaktion Maybrit Illner angerufen und für die thematisch neu geplante Sendung für den gleichen Abend eingeladen. Wer eine Stunde Zeit hat, kann sich die vollständige Debatte bei Illner HIER ansehen (der US Amerikaner ist erschütternd makaber in seinen Äußerungen, SPD Oppermann windet sich in der Frage der Vorratsdatenspeicherung – seine Aussagen darf man getrost interpretieren als „ja klar, wir die SPD tragen die VDS in einer Rot-Schwarz-Koalition mit, Hauptsache, es wird – wie vom Bundesverfassungsgericht eh vorgeschrieben –  eine Art Lightversion“ – die natürlich ebenso gefährlich wie überflüssig ist).
Screenshot Illner Zusammenschnitt

Kurzfassung (7Min) der Illner Runde zu #Merkelphone (Danke an @Bananenrepublik!)


Wer nur ein paar Minuten hat, hier gibts einen Zusammenschnitt, eine Art Trailer von 7 Minuten (Danke @bananenrepublik!). Es gab auch viele Radiointerviews zum Thema für meinen Mann und mich, und einige Fernsehgeschichten sind auch noch geplant, u.a. werde ich mich vorr. am 29.10.13 auf nTV in der Sendung „Das Duell“ mit einem Vertreter der CDU zum Thema Überwachung auseinandersetzen. Auch im britischen Guardian wurde ich mit einem Statement zitiert (HIER). Lesenswert ist auch ein Interview mit Daniel im Handelsblatt, in dem es neben dem Film InsideWikiLeaks auch um die Merkelphone-Affaire geht.
Aus gegebenem Anlaß verlinke ich hier noch einmal ein Fragenkatalog des parlamentarischen Kontrollgremiums aus dem Sommer an die Bundesregierung – es sind 18 Seiten voll brennender Fragen. Wenn jemand den Antwortkatalog dazu kennt – her damit. Meines Wissens sind die meisten dieser Fragen immer noch offen. Aber auch der Umstand, dass es offene Fragen in der Sache gibt, ist ja Angela Merkel erst jetzt wieder eingefallen. Wem spricht sie wohl zuerst ihr nächstes vollstes Vertrauen aus? Pofalla oder Friedrich? Und schade eigentlich, dass diese Superpower des „vollsten Vertrauens“ nicht auch über den Atlantik hinweg funktioniert. Und schade auch, dass die Bundesregierung nach wie vor nicht verstehen kann, dass man Freunde nicht nur über den Ozean hinweg nicht überwacht sondern schon gar nicht im eigenen Land. Tut man das doch, wie die 25 Überwachungs- und Sicherheitsgesetze zeigen, die mit Merkel als Kanzlerin verabschiedet worden sind, dann betrachtet man wohl sämtliche 80 Mio Einwohner pauschal als Feinde, Verbrecher und Terroristen. Willkommen im Boot, Frau Merkel.

The Fifth Estate – das komische Gefühl, sich in einem Hollywoodfilm wieder zu finden

Cover Inside WikiLeaksEs ist kein Geheimnis, dass ich mit Daniel Domscheit-Berg verheiratet bin und auch nicht, dass er drei Jahre lang als Nummer zwei von WikiLeaks gemeinsam mit Julian Assange WikiLeaks aufgebaut hat. Über diese Zeit schrieb mein Mann sich das Buch „Inside WikiLeaks“ von der Seele und eben jenes Buch floss (neben etlichen anderen Quellen) in das Drehbuch für einen Film von Dreamworks ein. Der Film heißt im Original „The Fifth Estate“, in Deutschland kommt er mit dem Titel „Inside WikiLeaks – die Fünfte Gewalt“ über Constantin Film in die Kinos. Er thematisiert am Beispiel der frühen Geschichte von WikiLeaks die Macht des Internets, als neue Kraft neben Legislative, Exekutive und Judikative sowie den Medien als der vierten Gewalt. (Wikipediaeintrag zum Film).

mein Guerillaknitting beim 28C3 Kongress in Berlin - fast an der gleichen Stelle, wie am Filmset :-)

mein Guerillaknitting beim 28C3 Kongress in Berlin – fast an der gleichen Stelle, wie am Filmset 🙂


In diesem Film wird mein Mann von Daniel Brühl, einem meiner Lieblingsschauspieler gespielt, gerade läuft mit ihm in der Hauptrolle als Niki Lauda auch der Film Rush in den Kinos. Julian Assange wird dargestellt durch Benedict Cumberbatch, bekannt u.a. als Sherlock. Ich war schon bei den Dreharbeiten in Berlin beeindruckt, wie authentisch er erschien – in Gestik, Mimik und Dialekt – bis hin zum Aussehen (man muss den Film daher eigentlich unbedingt in der Originalfassung sehen!). Als Statistin habe ich in Berlin an drei Drehtagen mitgespielt als Kongressteilnehmerin der CCC Kongresse von 2008 und 2009, übriggeblieben ist eine halbe Sekunde im Film, wo ich im Auditorium des großen Saales im BCC sitze (mal sehen, wer mich entdeckt ;-)). Es war faszinierend, mal so einen Dreh mitzuerleben, das ganze lief hochprofessionell ab, die Kulisse fand ich nah dran an den „richtigen“ CCC Kongressen. Ich hab sogar ein wenig Guerillaknitting in das Set geschmuggelt, das ist auch authentisch, denn die gleichen Strickstücke waren schon auf richtigen CCC Kongressen im Einsatz (siehe Bild).

Im Film kommt aber auch eine Figur vor, die meinen Namen trägt und von Alicia Vikander gespielt wird. Leider hatte sie in Berlin keinen Auftritt, ich bin ihr also nicht begegnet, mein Schauspieler Alter-Ego hätte ich schon gern kennengelernt.

Screenshot Alicia Vikander YT onset Intervidw

onset Interview Alicia Vikander beim The Fifth Estate Dreh (YouTube)

Ich fand es extrem schräg, eine fremde, super junge und bildschöne Frau mich darstellen zu sehen. Sie trug meinen eigenen Schmuck (den hat meine Schwester eine begnadete Goldschmiedin mit Werkstatt in Kiel geschaffen) und rote Strumpfhosen, so wie ich oft. Bei den Dreharbeiten bekam ich extra ein Verbot, rote oder orangene Sachen zu tragen, damit ich als kleine Statistin nicht den Farbcode von Alicia Vikander dopple. Die Ansage war: „You can wear whatever you want, as long as it does not look like typical you“ – das ist gar nicht so einfach… Alicia hat in einem on set Interview ein paar Fragen zum Film beantwortet. Erst dort ist mir aufgefallen, dass sie sogar meinen Zickzackscheitel trägt :-). HIER kann man es nachhören (oder Klick auf das Bild oben).

Der Film ist an vielen Stellen nah an den wahren Begebenheiten dran, aber er erfindet auch Sachen, läßt andere weg, stellt Vieles vereinfacht dar oder anders als es war. Das betrifft die Rahmenhandlung und konkrete Aktivitäten einzelner Protagonisten, Schauplätze des Geschehens oder auch Zeiträume, in denen etwas passierte. Ich kann und will keine Liste aller Details erstellen, in denen sich der Spielfilm von der Realität entfernt hat. Aber ein paar Punkte, die mich selbst betreffen, will ich doch erwähnen, das erspart mir vielleicht ein paar Fragen danach, ob irgendein Umstand denn nun wirklich so war.
Meine Position zu den Grenzen der Transparenz: Richtig ist, dass ich die Veröffentlichung der privaten Mitgliederadressen einer britischen Rechtsradikalenpartei nicht in Ordnung fand, weil ich der Meinung war (und bin), dass damit Menschen gefährdet werden, auch Unbeteiligte wie Familienangehörige und Kinder. Bei aller Ablehnung von rechtsradikalem Gedankengut, die ich uneingeschränkt teile, diese Art der Veröffentlichung ist in meinen Augen einfach keine geeignete Maßnahme, um dagegen vorzugehen. Ich vertrat aus gleichem Grund früh die Meinung, dass Transparenz nicht um ihrer selbst Willen einen Wert hat und nicht in jedem Fall mehr Transparenz grundsätzlich besser ist. Es gibt diesen schmalen Grat zwischen notwendiger Transparenz aus öffentlichem Interesse auf der einen Seite und Verletzung der Privatsphäre einzelner – bishin zu ihrer persönlichen Gefährdung auf der anderen. Diese Linie ist nicht einfach zu ziehen, aber sie muss gezogen werden. Assange sprach zwar von schadensbegrenzenden Maßnahmen, faktisch fanden aber so gut wie nie welche statt. WikiLeaks stand und steht immer noch für radikale Vollveröffentlichung – um jeden Preis. Ich halte das für verantwortungslos – unabhängig davon, dass ich Whistleblowing und Leaking für unabdingbar halte – als Korrektive in Demokratien, die keineswegs immun gegen extreme Fehlentwicklungen sind, Fehlentwicklungen, die die Demokratie sogar selbst im Kern erschüttern können. Am NSA Skandal haben wir genau das erlebt. Wir können aber gerade an der Art und Weise der Veröffentlichung der NSA Leaks auch sehen, wie Edward Snowden bewußt diese Grenze ziehen wollte und eben nicht einfach alles veröffentlichte, was er auf seiner Festplatte hatte.
Mein Verhältnis zu Julian: Nein, Julian hat uns nie bei einem intimen Beisammensein gestört. Genau genommen, ist mir Julian nie begegnet. Ich habe Daniel erst später kennengelernt, im Februar 2010, kurz vor der Veröffentlichung des Collateral Murder Videos durch WikiLeaks. Was stimmt: Auch wenn der Tweettext im Wortlaut anders war (sehr viel wortreicher) ich entdecke den Tweet, in dem Assange mich mit dem CIA und meinen Mann mit dem FBI assoziierte und war ganz im realen Leben entrüstet. Ich habe unzählige Male hinter meinem Mann gestanden und die Chats der beiden verfolgt, in denen Assange meinem Mann die wüstesten Unterstellungen schrieb. Nein, ich war kein Fan des Kommunikationsstils von Assange. Seine permanenten Unterstellungen, mich und meinen Mann betreffend, Drohungen diverser Art, immer wieder falsche Behauptungen – das nervt auf die Dauer, vor allem, wenn Dritte diese Dinge weiterverbreiten, ohne sie zu hinterfragen. Das ganze hat zum Glück abgenommen, es gibt doch nicht mehr so viele, die alles für bare Münze nehmen, was Julian kommuniziert. Es hat sich inzwischen wohl zu oft wiederholt, dass er Mitstreiter diskreditiert, die es wagen, Kritik zu äußern. Zuletzt hatten das Unterstützer der WikiLeaks Partei in Australien ja erleben dürfen, die nach großen innerparteilichen Defiziten in Transparenz und demokratischen Grundprinzipien die Partei verließen.
Meine Rolle als Freundin von Daniel: ich bin 20 Jahre älter als mein schauspielendes Alter Ego – eine Frau, die 10 Jahre älter ist, paßte wohl nicht in Hollywood Clichés, sie mußte daher 10 Jahre jünger sein als mein Mann. Offenbar nicht so schlimm, denn beim Getogether nach der deutschen Premiere hielt mich ein Journalist für Alicia Vikander :-). Apropos Stereotype – Immerhin wurde eine frühere Drehbuchfassung noch einmal geändert, denn da hätte ich in Frauenzeitschriften blätternd neben einem erkaltenden Candlelightdinner mit Kaminfeuer stundenlang auf Daniel gewartet – die typische Heimchenfrau. Jeder, der mich auch nur ansatzweise kennt, hätte sich darüber totgelacht. Im tatsächlichen Film warte ich zwar immer noch und das Essen wurde tatsächlich kalt, aber die Kerzen und das Kaminfeuer sind wenigstens verschwunden und die Frauenzeitschriften durch einen Laptop ersetzt (mit Piratenparteiaufkleber!). Immerhin. Im realen Leben habe ich damals gar keine Braten gekocht, wir holten uns öfter Nudeln vom Lieblingsitaliener und die wurden nie kalt. Im realen Leben hat sich damals Daniel aber tatsächlich kaum von seinem Laptop entfernt. Einen Tag-Nacht-Rhytmus gab es nicht. Oft schlief ich ein während Daniel im Bett neben mir saß, den Laptop auf dem Schoß und noch mit WikiLeaks beschäftigt war – die halbe Nacht. Ich fand seine Arbeit wichtig, also war das auch okay.

2. Gov20 Barcamp (2010), credit: Henning Schacht

Open Government Keynote beim 2. Gov20 Barcamp (2010), credit: Henning Schacht


Als Berufstätige und Aktivistin: ich habe nie bei EDS gearbeitet, war also auch nie Arbeitskollegin von Daniel. Ich habe allerdings bei ähnlichen Firmen gearbeitet, u.a. 9 Jahre bei Accenture, einem EDS Wettbewerber. Etwa zu der Zeit, als Daniel erstmalig zu WikiLeaks stieß – also mehr als 2 Jahre bevor wir uns trafen, begann ich, mich intensiv mit demokratischen Fragen und der Transparenz von Verwaltung zu befassen. Als ich Daniel kennenlernte, war ich schon lange selbst zu Open Government aktiv, hatte das Government 2.0 Netzwerk Deutschland mitgegründet, das Open Government Barcamp in Deutschland initiiert u.a.. Alles das kommt im Film nicht vor. Es ging dort allerdings auch nicht um meine Person sondern um WikiLeaks, also ist das schon okay. Aber es ist für einen selbst trotzdem seltsam sich in einer Rolle gespielt zu sehen, die fast nichts von dem hat, von dem man denkt, dass es einen besonders ausmacht.
Das sind so die Sachen, die mir jetzt noch einfallen. Man könnte sich darüber aufregen, ebenso wie über andere Abweichungen vom realen Leben, aber das wäre unpassend, denn dieser Film ist kein Dokumentarfilm sondern ein Hollywoodspielfilm (zum Beispiel glaubt hoffentlich kein Mensch, das WikiLeaks Team hätte JEMALS Skype verwendet…).
Da waren sie noch ein Team: Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg, by Jacob Appelbaum

Da waren sie noch ein Team: Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg, by Jacob Appelbaum


Der Film hatte die fast unmögliche Aufgabe zu bewältigen, das komplexe Spannungsfeld von Weltpolitik, Untergrund und zwischenmenschlichen Konflikten widerzuspiegeln, in dem sich mein Mann, Julian Assange und andere Beteiligte befanden, darunter der anonym gebliebene „Architekt“. Im Film heißt er „Markus“ und wird hervorragend gespielt von Moritz Bleibtreu. „Markus“ hatte die Software für die neue Submission Plattform programmiert und beim Weggang von WikiLeaks an sich genommen, weil er das von ihm geschaffene Werkzeug Julian nicht länger überlassen wollte. Das ist auch einer der Momente, der im Film ganz anders rüberkommt, da sieht es so aus, als würde mein Mann die Submission Plattform zerstören. Nun ja.
Birgitta JonsdottirAuch Birgitta Jonsdottir spielt im Film eine Rolle, sie ist Aktivistin und Parlamentarierin in Island, Vorkämpferin für IMMI – die Icelandic Modern Media Initiative und jetzt Vorsitzende der Piratenpartei in Island. In 2011 habe ich sie für das Government 2.0 Barcamp interviewed – wer das lesen will: HIER. Birgitta ist ein großartiger Mensch und personifiziert die gesellschaftlichen Veränderungsmöglichkeiten durch ein einzelnes Individuum. Sie hat in Island vieles verändern können und ist immer noch dabei.
Die Geschichte von WikiLeaks ist nicht einfach erzählt, es gibt kein schwarz-weiß dabei, obwohl so viele diese Interpretation gern versuchen. Kann ein Hollywoodfilm es schaffen, diese Komplexität fair und differenzierend abzubilden? Ich habe auch nach zweimaligem Ansehen des Films keine abschließende Antwort darauf, aber ich teile die Bewertung einiger, es sei ein Anti-Assange Film, überhaupt nicht. Ich finde, dass der Film nichts beschönigt aber er wertet auch nichts von den großartigen Beiträgen sowohl der Person Julian Assange als auch der Organisation WikiLeaks ab. Leaking ist erst durch WikiLeaks zu einer Art „Kulturtechnik“ der digitalen Gesellschaft geworden, ein Akt der Selbstverteidigung, wenn grundlegende Werte und Rechte verletzt werden.
Durch den Film werden nun hoffentlich viele wichtige Leaks bekannter, die in unseren Medien eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielten (Steuerschiebereien der Superreichen, staatliche Korruption in Kenia, Scientology Machenschaften, u.v.a.). Es ist ja nicht wahr, dass WikiLeaks sich vor allem auf US Leaks fokussiert hat – jedenfalls für die ersten Jahre stimmt das nicht. Aber auch die großen Leaks zu US-militärischen Einsätzen in Afghanistan und Irak haben Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in bis dahin unbekannten Maßstäben erkennbar gemacht. Alles das zeigt der Film und diese Botschaften sind wichtig. Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass Macht und Publicity korrumpierbar machen und Menschen Gefahr laufen, ihren eigenen Werten zuwider zu handeln. Das zu verhindern, braucht es gute Strukturen, die auf Transparenz und demokratischen Prinzipien auch im Inneren der Organisation aufbauen. Was passiert, wenn zu schneller und vielleicht auch zu großer Erfolg einer einst sehr kleinen Plattform in Kombination mit der Dominanz ihres Gründers das Entstehen solcher Strukturen verhindert, kann man an WikiLeaks sehen. Diese Botschaft ist eine Warnung an NGOs und Initiativen, die sich ähnlichen Herausforderungen ausgesetzt sehen, man kann sehr viel daraus lernen.
Ein breiteres Publikum als je zuvor kann sich durch den Film mit diesen wichtigen Themen der Gegenwart auseinandersetzen – der Rolle von Whistleblowing, Transparenz und Journalismus. Aber auch der Verantwortung jedes Menschen, der Wind bekommt von miesen Machenschaften und in dessen Hand es liegt, etwas zur Beseitigung dieses Mißstandes zu unternehmen. Das betrifft uns alle und unsere eigene Rolle als potenzielle Veränderer in einer digitalen Gesellschaft, in der wir alle viel mehr Macht haben (können) als das je zuvor möglich war.
Seine Weltpremiere hatte der Film als Auftakt beim Filmfestival in Toronto Anfang September, in Deutschland war gestern, am 21.10.13 Premiere in Berlin, ab 31. Oktober kommt er in unsere Kinos. Der Trailer ist schon zu sehen, Insider werden das Tacheles und einige andere Orte in Berlin erkennen (Video abspielen durch Klick auf das Bild). Ich hoffe, Zuschauer nehmen den Film als das was er ist – ein spannender Hollywood Film rund um ein hochaktuelles Thema, der auf Tatsachen aufbaut aber KEIN Dokumentarfilm oder Tatsachenbericht ist. Vor allem aber sollte er ein Appell sein an uns alle, uns für die Verteidigung demokratischer Grundrechte und gegen alle Arten Mißstände auch ganz persönlich einzusetzen.
Im Trailer spricht Julian Assange zum Schluss:

„Du willst die Wahrheit wissen? Finde sie selbst heraus. Davor haben sie Angst. Vor DIR.“ –

Du bist die Fünfte Gewalt. Das ist für mich die wichtigste Botschaft des Films. Deshalb sollten ihn viele Menschen sehen, um genau das zu verstehen und um es nie mehr zu vergessen.
Screenshot Trailer The Fifth Estate
Noch ein Wort zur Premiere:
Ich fand es großartig, Familie und so viele gute Freunde und Wegbegleiter dort zu sehen – Ihr habt uns den Abend leichter gemacht! Dieser ganze Kram mit Rotem Teppich, Blitzlichtgewitter, Interviewmarathon und dem Gefühl, auf dem Silbertablett serviertes Freiwild für jeden zu sein, der schon immer mal eine wie auch immer geartete Meinung über einen äußern wollte, das war alles schwer zu ertragen. Was die nächsten Wochen für uns bringen, wissen wir nicht. Aber wir wissen Euch an unserer Seite und das hilft 🙂 Danke!

Red Carpet - Inside WikiLeaks Premiere Berlin

Vorn von links nach rechts: Bruno Kramm, ich, Cornelia Otto, Christiane Schinkel – und ganz rechts im Bild mein Vater :-), in der zweiten Reihe Daniel


 
Update 1: 
Fast drei Jahre nach Erscheinen des Buches „Inside WikiLeaks“ – das eine der Grundlagen für das Drehbuch zum Film wurde – kam eine interessante Hintergrundgeschichte ans Licht. Offensichtlich hatte Julian Assange im Januar 2011 David House, einen Unterstützer aus dem engsten Kreis von Chelsea Manning, nach Berlin in unsere Wohnung geschickt, um dort das Manuskript des Buches zu stehlen. David House selbst hat dem US Magazin Wired diese Geschichte erzählt. Im Januar 2011 stand er tatsächlich unangemeldet vor unserer Tür, kam rein und unterhielt sich eine ganze Weile beim Tee mit uns. Er verhielt sich damals beunruhigend merkwürdig. So fing er an, ungefragt und schnell in unserer Wohnung von Raum zu Raum zu wandern, während mein Mann kurz auf Toilette war. Als er auch das Arbeitszimmer meines Mannes betreten wollte, habe ich mich ihm in den Weg gestellt und die Tür geschlossen. Schließlich kannte ich ihn überhaupt nicht persönlich und zu Führungen in der Wohnung möchte ich immer noch selbst einladen. David H. stellte auch komische Fragen, z.B. ob wir einen Hund hätten und solche Sachen. Das alles hatte mich sehr irritiert, aber irgendwann denkt man nicht weiter dran. Bis man dann die Geschichte im Wired liest – drei Jahre später und sich keine weiteren Fragen mehr stellt…
Update 2: Ein paar Berichte zum Film verlinkt:

Internet überwindet 28 Jahre und 7.200km – eine wahre Geschichte (1985 DDR – 2013 Internet)

ArshaAm 18. August 2013 erhielt ich auf Facebook eine seltsame Nachricht:

„Hi… My father Shaji Z. had a penfriend named Anke Domscheit from Germany 25 years back.. I saw the letters few days back, got interested about it and just searched fb and saw your profile… I would like to know whether it was you…. She was 18 in the year 1985-86 when they were writing letters.. Kindly give me a reply…..“

Ja, es stimmte. Ich hatte einen indischen Brieffreund, damals, vor über einem Vierteljahrhundert. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir uns schrieben, vielleicht ein Jahr. Seit diesem 18. August schreibe ich mich mit der Tochter meines damaligen Brieffreundes, einer Studentin der Bauingenieurswissenschaften, Arsha Shaji. Ich bin immer noch völlig fasziniert davon, wie soziale Netze heute Raum und Zeit überwinden und Kontakte ermöglichen, die früher undenkbar waren. Ich möchte die Geschichte aber von vorn erzählen.
Im Oktober 1985 hatte ich gerade die 12. Klasse begonnen, ich war 18 Jahre alt und besuchte die Erweiterte Oberschule hinter dem eisernen Vorhang in Strausberg, östlich von Berlin. Ich liebte Fremdsprachen und Kontakte zu Menschen aus anderen Kulturen. Für einen Ossi war das kein einfaches Hobby, denn Reisen waren nur eingeschränkt möglich und damit auch Kontakte ins Ausland. Aber ich war kreativ und stöberte auf dem jährlichen Solidaritätsbasar der DDR-Medien auf dem Alexanderplatz in den dort für Briefmarkensammler angebotenen Leserbriefumschlägen aus aller Welt. Ich ignorierte die Briefmarken und suchte die spannendsten Absender. Solche Umschläge erstand ich und schrieb dann Briefe an mir völlig unbekannte Menschen, irgendwo auf der Welt. Einer dieser Adressaten war ein 24jähriger junger Mann aus Kerala in Indien, Shaji Z., der Vater von Arsha. Und er antwortete mir!

Arsha hat mir einen Scan von meinem ersten Brief gemailt.

Arsha hat mir einen Scan von meinem ersten Brief gemailt.


Die Erinnerung an diese Brieffreundschaft aus längst vergangenen Zeiten kam zurück. Ich antwortete Arsha bald:

Hi, this is a really funny story! Yes this was me and I do remember. What a wonder that he did not throw those letters away. Its so long ago! The internet can do magic in finding remote people, remote in a geographical sense but also remote in terms of time. This seems like from another life… I was still caught behind the iron curtain, locked into a country. Only 3 years later the Berlin Wall fell forever and I could travel around. I was also in India, in 2010, visiting Bunker Roy in the barefoot college in Tilonia, not too far from Jaipur. My best regards for your father. It seems he got a happy life! I got lucky too, with the best husband in the world and a great son, who is 13 years old. best wishes from Germany! Anke

Arsha schrieb mir, dass ihr Vater 1992 heiratete. Sie ist die ältere von zwei Töchtern und 20 Jahre alt, ihre kleine Schwester ist genauso alt wie mein Sohn. In einem Jahr wird sie ihr Studium als Bauingenieurin abgeschlossen haben. Ihr Vater hatte zwar öfter davon erzählt, dass er früher eine deutsche Brieffreundin hatte, aber es hieß immer für die Kinder, diese Briefe existieren nicht mehr. Erst in diesem Sommer hat er den Töchtern den Inhalt einer alten Kiste gezeigt – darin waren meine Briefe.

2. Brief von mir, Seite 1

2. Brief von mir, Seite 1


Arsha hatte gleich die Idee, auf Facebook nach mir zu suchen. Ihr Vater hielt das für eine zweifelhaftes Unterfangen, es ist ja so lange her und bestimmt hätte ich einen anderen Namen. Aber mein Name ist noch der gleiche und Arsha fand mich in ein paar Minuten 🙂
der 2. Brief von mir, Seite 2

der 2. Brief von mir, Seite 2


Ich war sehr neugierig, was ich denn so vor 28 Jahren schrieb und bat Arsha, mit doch mal einen Brief von damals einzuscannen. So erhielt ich meine ersten beiden Briefe per email. Was für eine Reise in die eigene Vergangenheit! Was für ein lustiges Englisch habe ich damals nur geschrieben! Und was für naive Inhalte…
mein 2. Brief - Seite 3

mein 2. Brief – Seite 3


mein 2. Brief, Seite 4

mein 2. Brief, Seite 4


Mit Arsha schreibe ich heute über andere Dinge als damals mit ihrem Vater. Wir tauschen uns aus zum Thema Geschlechtergerechtigkeit auf der Welt – in Indien und bei uns in Deutschland, über Politik und unser Leben. Ich schrieb ihr, wie es seit damals weiter ging, dass ich tatsächlich Textilkunst studierte aber auch wie der Fall der Mauer alles veränderte, wie mein berufliches Leben ein paar Zick-Zacks erfuhr und wie ich heute so lebe und arbeite. Arsha übersetzte sich meine Blogtexte (hoffentlich hat Google Translate sie nicht allzu sehr verunstaltet) und erfuhr etwas über den Wahlkampf der Piratenpartei in Deutschland :-). Zur Zeit ist Arsha im Prüfungsstress und ich drücke ihr die Daumen. Ich hoffe sehr, wir lernen uns einmal persönlich kennen. Vielleicht kann sie ja sogar in Deutschland einen Masters machen (Tipps v.a. für englischsprachige Studiengänge, die irgendwie mit Civil Engineering zu tun haben, gern an mich!).
Arsha-with-Friends

Arsha mit ihren Freundinnen


Ich habe Arsha natürlich gefragt, ob ich alles das schreiben kann, auch mit ihrem Namen und Fotos – sie war einverstanden. Mir bedeutet diese kleine Geschichte sehr viel. Sie ist für mich exemplarisch für die Grenzenlosigkeit des Internets und wie sich Menschen, die sich nie begegnet sind, einander näher kommen können. Sie zeigt, über welche Ecken wir alle mit anderen Verbindungen haben oder haben könn(t)en. Wie klein die Welt ist und wie wichtig es daher ist, sich nicht so stark an Nationalismen zu orientieren. Das Internet kennt solche Grenzen einfach nicht. Es zeigt uns im Gegenteil, wie einfach sich selbst Barrieren wie Jahrzehnte Zeit und Tausende von Kilometern überwinden lassen und wie solche Bindungen – oder Abkömmlinge dieser Bindungen – selbst den Untergang eines Gesellschaftssystems überleben können. Ich bin immer noch fasziniert und danke Arsha sehr dafür, dass sie mich einfach so kontaktierte. Ich bin so um eine Freundschaft reicher geworden.
Berlin-Kerala 7.200 km Luftlinie

Berlin-Kerala 7.200 km Luftlinie


 
 
 

Und was kommt nach den Wahlen? – erst mal ein Buch…, dann wieder Wahlen ;-)

Falls sich jemand wunderte, warum ich nicht gleich nach der Bundestagswahl etwas Neues geschrieben habe, hier ist die Antwort: ich war viel zu erschöpft dafür und hatte auch nach der Wahl einfach keine Zeit. Mein letztes Wahlkampfhighlight war ein Nachmittag auf der Wilmersdorferstrasse, mitten im Samstagsgewühl einkaufender und in der Sonne spazierender Menschen, wo wir das gläserne Mobil aufgebaut hatten und mit vielen Leuten ins Gespräch kamen – die anlasslose Massenüberwachung war dabei immer noch ein Schwerpunkt aber es ging auch stark um soziale Fragen.

Regiowahlkampf mit Manfred Liedtke u.a.

Okay, dieses Bild ist nicht von der Wilmersdorfer Strasse in Berlin sondern von der Regionalwahlkampftour, Station Bad Belzig – aber die Luftballonsäbel waren auch dort heiß begehrt!


Ich habe nebenbei auch wieder an gefühlt tausend Kinder orangene Luftballon-Säbel verschenkt und von einem Mädchen gelernt, wie man aus den Modellierballons auch kleine Hunde macht – die Nachfrage war groß.
Wahlzettel-BTW13Aber trotz Sonne war es kalt, die Erkältung steckte schon in mir drin und als ich am Abend nach Hause kam, war es vorbei mit der Kraft. Am Sonntag konnte ich mich noch einmal aufraffen, um natürlich selbst wählen zu gehen (siehe Beweisfotos dafür, dass ich richtig gewählt habe 🙂 ) und dann am Abend nach Berlin zur Wahlparty zu fahren und am Abend noch dem BBC World News TV ein Live Interview am Pariser Platz zu geben. Da waren dann die deprimierenden Hochrechnungen schon raus und das sinkende Adrenalinlevel ließ den Viren freien Lauf – ich war erst mal krank ein paar Tage.
Wahl-BTW13-FbgSo richtig krank machen war aber leider nicht möglich, denn mein Buchmanuskript war inzwischen fertig, eine Lektorin hatte es durchgesehen und mir mit einer ganzen Reihe Änderungsvorschlägen zurückgegeben. Vor allem mußte mächtig gekürzt werden, denn einer von drei Buchteilen befaßte sich mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit und da gingen die Finger mit mir durch und haben drei mal so viel geschrieben, wie sie sollten.
Ursprünglich wollte ich das Manuskript ja vor der heißen Wahlkampfphase vom Tisch haben, aber so ist das mit dem Verhältnis von Plan und Wirklichkeit – ich hab es einfach nicht rechtzeitig geschafft. Daran ist natürlich nur die NSA schuld, denn ohne die unzähligen Termine rund um den Überwachungsstaat hätte ich viel mehr Zeit zum Schreiben gehabt. So fiel die Fertigstellung des Manuskriptes genau in die allerheißeste Wahlkampfphase, zur Nachahmung kann ich das nicht empfehlen. Nach der Wahl war daher statt kranksein dürfen Buch lektorieren angesagt. Ein Durchgang, ein zweiter Durchgang, ein dritter Durchgang. Nebenbei habe ich einen Ganztagsworkshop für Nachwuchsführungskräfte des Familienservices vorbereitet und auch durchgeführt – im Sitzen und mit viel heißem Tee ging es trotz Krankheit. Zum Blogschreiben war da einfach keine Zeit.
Cover Mauern einreißenDas erste Nachwahlwochenende war dann auch nicht frei, denn die Piraten trafen sich zur Marina Kassel in – ja, wo wohl  – in Kassel. In einer Jugendherberge haben wir zwei ganze Tage lang den Wahlkampf ausgewertet, gute Ideen aus den Landesverbänden gesammelt und uns einfach mal wieder von Angesicht zu Angesicht gesehen, das kann kein Twitter der Welt ersetzen. Aber kaputt war ich immer noch, krank, müde, ausgelaugt und am Montag nach der Marina Kassel sollte ich die letzte Durchsicht des Manuskriptes abgeben.
Die 350 Seiten Text hatte ich am Freitag abend erst erhalten, nein, Montag habe ich es nicht geschafft. Aber immerhin am Mittwoch – am 2.10.2013 um 23:40 Uhr ging  das Manuskript mit meinen letzten Änderungen an meine Lektorin. ENDLICH eine Pause! Da paßte es gut, dass der 3.10. ein Feiertag und mein Sohn zuhause war. Wir haben lange geschlafen, gemütlich gefrühstückt und uns im Garten verlustiert (Rasen mähen und so Sachen…). Gleichzeitig wurde in der Landesgeschäftsstelle der Piraten Brandenburg in Potsdam der 5. Geburtstag des Landesverbandes gefeiert. Ich habe ihn geschwänzt – diesen Tag brauchte ich einfach für mich und meine Familie. Nach so vielen Monaten Wahlkampf mußte das sein.
Rote DalieDas Buch hat nun ein paar Wochen finale Bearbeitung auf Seiten Verlag und Druckhaus vor sich – damit habe ich nicht mehr viel zu tun. Aber ich ahne, dass die Zeit bis zum Erscheinen Ende Januar viel zu schnell vergehen wird.
Zum Wahlausgang selbst will ich eigentlich gar nicht viel schreiben – das haben inzwischen schon so viele getan, da braucht es meinen Senf nicht mehr. Ein paar Fragen habe ich der dpa dazu beantwortet, die finden sich HIER in der MOZ. Wer will, kann ja da mal nachlesen. Ich habe mich auch zur Frage geäußert, ob ich für den Bundesvorstand kandidieren möchte – es sind ja Neuwahlen Anfang Dezember in Bremen beim Bundesparteitag und ich werde immer wieder vorgeschlagen… aber ich sehe keinen Sinn darin, mich erst zur Landesvorsitzenden der Piraten Brandenburg wählen zu lassen, nur um ein paar Wochen später für den BuVo zu kandidieren. Es gibt großartige Kandidat*innen für den Bundesvorstand und in Brandenburg haben wir jede Menge Aufgaben vor uns – in 2014 stehen drei Wahlen an, Europa- und Kommunalwahlen im Mai und die Landtagswahlen im September.
Riesen-MangoldWir werden einen Teufel tun und einen Depri fahren und den Kopf in den Sand stecken, denn alle Gründe, aus denen 2006 die Piratenpartei gegründet wurde, sind immer noch relevant. Sie werden es täglich mehr als weniger, Stichwort Datenschutz und Überwachung. Es gibt auch immer noch keine andere Partei, die die großen Veränderungen der digitalen Gesellschaft erfaßt hat und programmatisch angeht. Das machen bisher nur die Piraten. Wir brauchen einen langen Atem und den werden wir haben. In diesem Sinne – nach der Wahl ist vor der Wahl.
Tagesernte im Garten Okt. 2013
Aber vorher gibts noch Zeit für herbstliche Gartenarbeiten, da blühen die Dalien noch sehr schön und der Mangold steht wie eine Eins – leider kann diese Menge kein Mensch mehr essen. Die Peperoni werden getrocknet und die Tomaten verschwinden schnell, ich bin Tomaten-Junkie. Nur für die vielen Bohnen muss ich mir noch was ausdenken, vielleicht friere ich mal welche ein, so viele ernte ich alle 3 Tage, es sind drei verschiedene Sorten mit so lustigen Namen wie „Mombacher Speck“ und „Berner Landfrauen“ – das sind die bunten). Die Fotoqualität ist meinem alterschwachen Smartphone geschuldet, zu oft runtergefallen, zu viele Spiderman-Apps installiert (Ihr wißt schon, diese dekorativen Glassprungmuster auf dem Display). Sicher bekommt man trotzdem eine Ahnung davon, dass es schön im Garten ist und großartig, dafür jetzt wieder mehr Zeit zu haben :-). So ein Gemüsegarten hält einen auch im Herbst noch gut auf Trapp – hier habt Ihr mal einen Text vom Blog Neulichimgarten.de, inklusive kleinem Video, wo man mal sieht, was noch so alles geerntet werden kann. Davon habe ich mir auch ein paar Tipps für das nächste Jahr gemerkt.