Der letzte Tropfen war zu viel. Tschüss, Piratenpartei.

Vor 2,5 Jahren wurde ich Mitglied der Piratenpartei, weil ich glaubte, innerhalb der Partei effektiver für meine Überzeugungen kämpfen zu können. Ich trete nun aus, weil ich glaube, dass inzwischen das Gegenteil der Fall ist.
Ich bin es leid, wichtige Themen als sekundär zu erleben, weil das drölfzigste Gate wichtiger ist. Mitten im EU-Wahlkampf mit #keinHandschlag konfrontiert zu werden, war vor allem ein Schlag ins Gesicht unserer politischen Anliegen. Der Mißbrauch der technischen Infrastruktur der Partei durch den #orgastreik, um den ehemaligen Bundesvorstand unter Druck zu setzen, war für mich vorsätzliche Behinderung politischer Arbeit. Wenn dann unerwünschte Personen abgeschossen sind und ein Buvo nach sozialliberaler Fasson installiert ist, sind plötzlich #1000Hände bereit. Da waren die EU Wahlen aber leider schon vorbei.
Wo ist das Visionäre, Progressive, Mutige, das Neue und das Andere geblieben? Was ist das für eine „Netzpartei“, die einen vom Parteitag beschlossenen BEO (Basisentscheid ONLINE) als Briefwahl umsetzt? Das konnten SPD und Grüne schon viel früher. Wo sind unsere Antworten auf die Fragen, die die digitale Revolution aufwirft? Wo sind unsere originellen Wahlkampfaktionen? Wo sprengen wir den Parlamentsbetrieb durch disruptives Verhalten, das das System auch mal von innen in Frage stellt? Openantrag.de ist eine großartige und innovative Sache. Aber sie reicht mir nicht. Die visionärsten Pirat*innen waren sogenannte progressive, sie verlassen gerade reihenweise die Partei, sind schon längst weg oder werden nach wie vor von Parteiführung und sozialliberal-Flügel angegriffen. Es gibt Piraten, die halten Naziblockaden schon für Gewalt, sie reden von „freiheitlich-demokratischer Grundordnung“ (#FDGO), wenn sie eigentlich Angst vor Veränderung haben. Obrigkeitshörige, buchstaben-gesetzestreue Angsthasen, während in Schweden ein Peter Sunde im Gefängnis sitzt. Mit denen hätte man in der DDR keine Mauer eingerissen. Ich nehme den sozialliberalen Flügel als Flügel der Verhinderung wahr, als konservativ, vergangenheitsgerichtet, ängstlich und spaltend. Wenn mich jemand nach einem sozialliberalen Mitglied fragt, das was innovatives oder mutiges geschafft hat, fällt mir einfach niemand ein.
Ich habe nichts mehr verloren in einer Partei, deren „sozialliberale“ Mitglieder mehrheitlich die Zusammenhänge in einer digitalen Gesellschaft nicht verstanden haben und glauben, eine Konzentration auf 1, 2 Netzthemen sei ausreichend. Es gibt so viele Verbindungen zwischen all den Themen im Parteiprogramm – BGE und Asylrecht explizit eingeschlossen – und es tut mir weh zu sehen, dass das kein Konsens (mehr) zu sein scheint. Mit #reclaimyournetzpartei kann ich nichts anfangen. Ein Verein kann das tun, eine Partei braucht breitere Positionen und den großen Blick für Zusammenhänge und genau das wäre die Verantwortung dieser Partei gewesen.
Ich kann nicht mehr ertragen, dass rechte Gefahren verharmlost und linke herbeigeredet werden. Wenn selbst nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch Piraten der Meinung sind, Linksextremismus ist eine Bedrohung in Deutschland oder Piraten waren doch leider nur zu links und sollte man nicht bei der AfD ein paar Erfolgsrezepte abgucken? – ja, dann fällt mir dazu nichts mehr ein.
Ich bin es überdrüssig, als Feministin angegriffen und beleidigt zu werden, oder solche Angriffe gegen andere mitzuerleben. Ich habe keine Lust mehr, #feminazi, #genderistin und #karrieregeil genannt und für den Niedergang der Partei verantwortlich gemacht zu werden. Das immer wieder kehrende Störfeuer, ich würde mich sogar an der Partei bereichern, ist absurd lächerlich, da offenbar diejenigen, die so reden keine Ahnung davon haben, wieviel eigene Zeit und privates Geld wir eingesetzt haben. Ich finde es jedes Mal unfassbar, dass es immer wieder Piraten gibt, die den Begriff „Piratin“ als satzungswidrig bezeichnen, die von #postgender reden, Diskriminierung leugnen und eine erschütternde Toleranz gegenüber Sexismus an den Tag legen.
Eine Partei, in der neuerdings Ordnungsmaßnahmen vom Buvo eingesetzt werden (sollen), um Flügelgegner auszuschalten, oder wo sie ausbleiben, weil sich Aggressionen offenbar „nur“ gegen den unliebsamen Flügel richten (#zusecrew) wo gejubelt wird, weil ein Flügelgegner die Partei verläßt oder von einer Kandidatur zurücktritt oder der halbe Saal laut buht, wenn aus dem „falschen“ Flügel eine kritische Wortmeldung erfolgt (#aBPT), hat ein Problem mit innerparteilicher Demokratie. Ich habe mich dazu auf eben jenem aBPT im Juni mit einer Rede geäußert, das kann man HIER nachhören. Damals hatte ich noch einen Rest Hoffnung. Nun nicht mehr.
Die gute Nachricht: an meinen Überzeugungen hat sich vor, während und nach meiner Mitgliedschaft nichts geändert. Ich werde weiterhin dafür kämpfen, die Welt zu verbessern – als kleines Zahnrad in einem großen Getriebe, weil ich immer noch glaube, dass auch kleine Zahnräder dazu beitragen können. Ich bin immer noch links, feministisch, antifaschistisch, progressiv und immer noch Kämpferin für Freiheit in einer digitalen Gesellschaft. Ich bin dankbar für die vielen großartigen Menschen, die ich durch die Piratenpartei kennenlernen durfte. Unsere Wege werden sich weiter kreuzen.
PS: Früher hat es mir noch viel ausgemacht, mitzuerleben, wer (und wie) jubelt, wenn bestimmte Menschen die Piratenpartei verlassen. Es ist mir inzwischen egal, wer bei meinem Austritt Sektkorken knallen läßt oder Wetten gewinnt.

 

Mein Versprechen bei wepromise.eu – Digitale Rechte möchte ich im Europa-Parlament verteidigen!

Die Initiative wepromise hat einen 10 Punkte Forderungskatalog für digitale Rechte (siehe unten) aufgestellt und Kandidat*innen für die Wahl zum Europa-Parlament aufgefordert, sich zur Umsetzung dieser Forderungen zu verpflichten. Das habe ich bei meinem Besuch in Brüssel im Europa-Parlament getan (siehe hier meine Berichte Teil 1, Teil 2 und Teil 3 zu dieser Reise).
In einem 2 Min Videostatement, zu dem es auch englische und französische Untertitel gibt, habe ich erklärt,

  • warum ich mich dazu verpflichte,
  • wofür ich mich in Brüssel besonders einsetzen würde und
  • warum es wichtig ist, wählen zu gehen.

HIER oder bei Klick auf das Bild könnt Ihr das Video auf YouTube sehen:
YT - Selbstverpflichtung zu Wepromise
Die 10 Forderungen von wepromise sind die folgenden (Details gibts bei Klick auf die einzelnen Forderungen):

  1. Ich werde mich für Transparenz, Zugang zu Dokumenten und Bürgerbeteiligung einsetzen.

  2. Ich werde Gesetze zur Stärkung von Datenschutz und Privatsphäre unterstützen.

  3. Ich werde mich für uneingeschränkten Zugang zum Internet und Internetdiensten einsetzen.

  4. Ich werde die Modernisierung des Urheberrechts unterstützen.

  5. Ich setze mich gegen flächendeckende, unkontrollierte Überwachungsmaßnahmen ein.

  6. Ich werde Anonymität und Verschlüsselung im Internet unterstützen.

  7. Ich werde Maßnahmen zur privatisierten Rechtsdurchsetzung außerhalb der Rechtsstaatlichkeit ablehnen.

  8. Ich werde mich für Exportkontrollen von Zensur- und Überwachungstechnologien  einsetzen.

  9. Ich werde mich für das Multistakeholder- und Mitbestimmungsprinzip einsetzen.

  10. Ich werde die Nutzung von Freier Software unterstützen (Open Source Software).

Auch Wählerinnen und Wähler bittet wepromise.eu, eine Verpflichtung abzugeben, nämlich, dass sie ihre Stimmabgabe bei den Wahlen zum Europa-Parlament an die Abgabe der Selbstverpflichtung durch wählbare Kandidat*innen binden werden.
 

Quer durch die Republik: Open Government, Guerillastricken, Debatten, Lesung – so bunt ist Wahlkampf

Man kommt ganz schön herum, so beim Wahlkämpfen, die Bahncard macht es leicht(er). Die letzten Tage führten mich nach Bielefeld und Kassel, nach Berlin und Brandenburg, nach Regensburg und Nürnberg.

42 - die Antwort auf alle Fragen... (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)

42 – die Antwort auf alle Fragen… (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)


In Bielefeld war ich am 09.04.2014. Im historischen Saal der Alten Spinnerei habe ich einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Veranstaltung war gut besucht, die anschließende Debatte war lebendig. Ringsherum hatten die Lokalpiraten Wahlplakate aufgehängt, die ich z.T. noch nie gesehen hatte. Auf dem lustigsten stand einfach nur „42“. Die Bielefelder Piraten haben dazu was gebloggt, im Text verlinkt ist eine Videoaufzeichnung von Vortrag und Debatte, Bilder gibts dort auch.
ADB-Bielefeld-klein

Guerillastricken am „Siggi“ in Bielefeld


 
In Bielefeld wurde die Idee geboren, an „meinen“ Wahlkampforten überall orangenes Guerillastricken zu hinterlassen – als kleine Markierung, Geschenk mit Verschönerungswirkung an den Ort und seine Einwohner*innen, als originelles und unaufdringliches Wahlplakat. Am nächsten Tag wollte ich nach Kassel, zur Whistleblowerpreisverleihung, bei der das „Kasseler Nebelhorn“ zum ersten Mal verliehen wurde. Aber das war erst am Nachmittag, ich hatte den Vormittag in Bielefeld noch Zeit. Perfekte Gelegenheit, zum Stadt bestricken. In der Bahn und am Abend hatte ich vorgestrickt und dann gings los. Erst waren wir am „Siggi“,  ich glaube richtig heißt er Siegfriedsplatz, wo wir vor einem Gemeindezentrum ein Geländer geflauscht haben.
Ja - sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!

Ja – sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!


Danach wurde ein Hundetütenspender in der Innenstadt in einer Einkaufsstrasse verschönt. Zum Schluss kam immer ein kleiner Piratenparteibutton dran, schließlich ist das eine Art Wahlplakat :-).
Übergabe "Kasseler Nebelhorn" an Whistleblowerin Cornelia Harig

Übergabe „Kasseler Nebelhorn“ an Whistleblowerin Cornelia Harig


Die nächste Station war Kassel, wo einer ehemaligen städtischen Angestellten, Cornelia Harig, das erste Kasseler Nebelhorn, ein Preis für Whistleblower und Zivilcourage, verliehen wurde. Mein Mann Daniel sprach eine Laudatio, eine Musikerteam begleitete die Zeremonie auf der großen Treppe des Kasseler Rathauses mit schöner Musik, und dort – neben der Musik – habe ich am Geländer der Rathaustreppe auch ein klitzebißchen was gestrickt. Mein orangener Fußabdruck, sozusagen. Untenstehend ist ein Video von der Preisverleihung verlinkt (Klick auf das Bild oder HIER), auf dem man mein kleines Strickstück auch bewundern kann :-).

YouTube Video zur Preisverleihung des Kasseler Nebelhorns an Cornelia Harig


Nur einen Tag darauf – am 11.04.2014 – hatte ich gleich zwei Termine, beide liefen gänzlich ohne Stricken ab. Immerhin mußte ich nicht weit reisen. Die European Initiative hatte in der Stadt Brandenburg zu einer Kandidatendebatte geladen, die erst recht normal verlief aber bei Öffnung für das Auditorium schon – sagen wir überdurchschnittlich – lebendig wurde, vor allem immer dann, wenn der anwesende Henryk M. Broder ins Wüten kam.
v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)

v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)


Kaum eine Zahl, die ein Kandidat erwähnte, die nicht von ihm lautstark korrigiert wurde, natürlich nicht ohne den Vorwurf, dass man als MdEP doch diese Zahlen alle ganz genau wissen müßte. Das EU Parlament ist für ihn sowieso nur eine „Schmierenkomödie“, er wetterte und fuchtelte mit den Armen, prangerte mal dies und mal jenes an. Leider fiel ihm keine einzige konstruktive Idee ein, so war das zwar reichlich unterhaltsam aber eben doch sinnlos. Gerade in Brandenburg, wo die Wahlbeteiligung bei den letzten Europa-Wahlen bei erschütternden 23 Prozent lag, ist ein Lamento darüber, wie blöd die EU und wie albern seine Institutionen sind, doch eher wenig hilfreich. Denn selbst wenn man an der Art und Weise, wie in der EU Politik gemacht wird, etwas ändern möchte (und das habe ich ja zum Beispiel vor), kann man das vor allem von innen heraus tun – oder von außen, in dem man wählen geht und anders wählt als bisher. Wer sich die Argumente eines H.M.Broder zu eigen macht, dürfte jedenfalls wenig Verlockungen spüren, am 25.5. auch wählen zu gehen. Damit schaden solche einseitigen Tiraden der Demokratie, weil sie demokratische Beteiligung verringern. Die übrige Debatte war in jedem Fall spannend. Eine Rolle spielte dabei TTIP, das transatlantische Handelsabkommen aber auch die Asyl- und Migrationspolitik der EU, die Bürger vor Ort als genauso unmenschlich empfanden wie ich. Der RBB berichtete, leider ist deren Beitrag wie üblich schon nach wenigen Tagen aus der Mediathek verschwunden. Einen Artikel in der Märkischen Allgemeine Zeitung gab es auch, darin steht dieses schöne Zitat:

Anke Domscheit-Berg (Piraten), bekommt mit ihrer Kritik am Transatlantischen Freihandelsabkommen(TTIP), das sie als Hinterzimmerpolitik bezeichnet und ihrer patriotischen Rede über ihren Glauben ans Mauerneinreißen und Weltverändern den ersten spontanen Beifall von den bis dahin still lauschenden Gästen.

Von Brandenburg ging es auf schnellstem Wege nach Berlin, wo ich beim Tazsalon u.a. mit Marina Weisband, Julia Reda (unsere Spitzenkandidatin), der Kunst-und Performancegruppe Bitnik aus der Schweiz, dem politischen Aktionserfinder @Jeangleur, Markus Beckedahl von Netzpolitik, Anne Roth, Jan Josef Liefers (der Pathologe vom Münster-Tatort 🙂 ) rund um das Überwachungsthema debattierte, bei Käse, leckerem Brot und Rotwein.

Der Käsetisch - nach dem Essen...vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens

Der Käsetisch – nach dem Essen…vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens


Das Konzept des Tazsalon ging auf, jeder Gast bringt einen Käse mit. Brot und den ganzen Rest stellt Martin Kaul, taz Journalist und Gastgeber. Man sitzt in der Küche seiner WG, die auf diese Weise zu einer Art „Hinterzimmer“ wurde. Passend zum Thema wurde nicht nur entschieden, Vertrauliches in diesem Raum zu lassen sondern sicherheitshaltber auch alle Smartphones in den Kühlschrank einzusperren. Die Mischung der Gäste und das entspannte Setting sind schon fast ein Garant für sehr spannende Diskussionen. Diesmal vor allem zur Frage, ob wir mehr digitalen Widerstand brauchen, welche Arten zivilen Ungehorsams vielleicht zielführender wären, als die x-te Demonstration gegen die NSA und inländische Massenüberwachung. Es ging um digitale Anarchie, die Legitimation und Notwendigkeit vielfältiger Widerstandsformen. Ideen wurden getauscht und geboren, wie man dem Thema mehr Aufmerksamkeit in der Breite und mehr Gewicht in der politischen Landschaft verschaffen kann. Wie zur Hölle man mehr Menschen vermitteln kann, dass diese Art digitaler Überwachung das Ende von Meinungsfreiheit und Freiheit im Großen und Ganzen in der digitalen Gesellschaft (also unserer Gesellschaft) bedeutet und mithin das Ende der Demokratie einläuten kann. Dabei gab es jede Menge Inspirationen, aber natürlich gelten die Regeln des Abends 🙂 deshalb steht hier jetzt nicht mehr dazu. Dass der Abend eine halbe Nacht wurde, war jedenfalls kein Zufall. Es war spannend verbrachte Zeit.
Am nächsten Tag moderierte unser Gastgeber des Abends, Martin Kaul, gleich drei Panels zum digitalen Widerstand beim tazlab, dem Jahreskongress der Tageszeitung im Haus der Kulturen der Welt. Fast alle Gäste des Abends waren auch Debattengäste auf dem tazlab. „Mein“ Panel drehte sich um die Möglichkeiten und die Pflicht zur (Selbst-) Verteidigung gegen Überwachung. Im Tazblog und im Hauptstadtblog konnte man darüber lesen.
kurz vor der Lesung aus "Mauern einreißen" in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski

kurz vor der Lesung aus „Mauern einreißen“ in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski


Meine nächsten Stationen lagen im tiefsten Süden. Am 14.04.2014 fuhr ich nach Regensburg, wo ich am Abend auf Einladung der Piratenpartei-Stadträtin Tina Lorenz aus „Mauern einreißen“ vorlas. Es waren zwar nicht sehr viele Gäste da, aber die waren alle so bei der Sache, dass wir nach einer Stunde Lesung und Anderthalb Stunden angeregter Debatte doch abbrechen mußten, da der Buchhändler verständlicherweise auch mal Feierabend machen wollte. Wie bei jeder Lesung habe ich viele spannende Geschichten von meinen Gästen gehört. Eine der Debattantinnen war in der DDR Lehrerin, u.a. für Geschichte. Sie erzählte, wie durcheinander es an den Schulen zuging in der Wendezeit, als viele Lehrer nicht mehr wußten, welchen Stoff sie vermitteln sollen und auf welche Weise. Das war natürlich bei ideologisch geprägten Fächern besonders der Fall, dazu gehörte auch Geschichte. Ich hatte erst kurz zuvor mit großer Begeisterung das Buch „Eisenkinder“ von Sabine Rennefanz gelesen, die zur Wendezeit als Schülerin eine Erweiterte Oberschule in Eisenhüttenstadt besuchte, und in deren Buch das Durcheinander an den Schulen aus Schülersicht lebendig beschrieben ist. (Ein Buchauszug der „Eisenkinder“ findet sich in der ZEIT.)
Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten - beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg

Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten – beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg


Der nächste Vormittag stand wieder im Zeichen des Guerillastrickens. Mit Tina Lorenz schaute ich mir die wunderschöne Altstadt von Regensburg an (Weltkulturerbe!) und an zwei Orten haben wir flauschige Marken hinterlassen.
Zuerst waren wir am Alten Rathaus, wo ich ein Geländer ummantelt habe – sorgfältig an den senkrechten Streben oben und unten befestigt, damit die Wolle nicht rutscht, wenn jemand sich daran festhält. Das Ambiente war einfach wunderschön. Die Treppe wirkt sehr majestätisch, das Portal rund um die uralte Tür natürlich erst recht. Man fühlt sich etwas klein auf dieser Treppe, aber in ehrwürdiger Umgebung.
Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg

Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg


Vom Alten Rathaus zogen wir zum Haidplatz, ebenfalls in der Altstadt gelegen, wo ein Halteverbotsschild eine Hülle aus schöner, bunter Wolle erhielt – und natürlich den obligatorischen Piratenbutton, denn es soll ja ein flauschiges Wahlplakat sein.
Haidplatz in Regensburg - verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014

Haidplatz in Regensburg – verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014


Lokale Medien berichteten über diese Aktion, so z.B. die Mittelbayerische Zeitung mit der Überschrift „Mehr Farbe mit den Piraten“. Der Artikel zeigt, wie man durch kreative und unkonventionelle Ideen Aufmerksamkeit auch für politische Themen erzeugen kann.
Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014

Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014


Von Regensburg ging es dann mittags nach Nürnberg, wo ich mich zuerst mit einer Autorin traf, die gerade ein Buch über die Wende schreibt. Ich erzählte Ihr meine Erlebnisse und sie mir ihre. Wenn im Herbst ihr Buch erscheint, werde ich hier im Blog rechtzeitig darauf hinweisen. In der Wolleabteilung eines Kaufhauses trafen mich dann die ortsansässigen Piraten beim Kaufen von Nachschub für das Guerillastricken.
Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg

Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg


Aber bevor Nürnberg geflauscht wurde, hatte ich noch einen Pressetermin bei der Nürnberger Zeitung. Der Artikel bezog sich vor allem auf meinen Vortrag am Abend zum Thema Open Government und wies freundlicherweise darauf hin, dass durch den Wegfall der Dreiprozenthürde keine Wählerstimmen mehr verloren gehen. Bei der Bundestagswahl betraf das immerhin 16% aller gültigen Stimmen, die wegen der Fünfprozenthürde faktisch verloren waren.
Ein „wolliges Wahlplakat“ haben wir dann an einem Halteverbotsschild an der Nonnengasse angebracht – an einem Platz mit Blick auf eine schöne Kirche, deren Namen ich dort leider nicht erfragt habe. Auch hier fehlt der Piratenbutton natürlich nicht, ohne den es sich ja kaum um ein Wahlplakat handeln würde ;-).
unser "wolliges Wahlplakat" der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse

unser „wolliges Wahlplakat“ der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse


Es war lausekalt an diesen Tagen, selbst beim kurzen Annähen der Stricksachen froren einem schier die Finger ab. Da war es nicht unangenehm, mal wieder drinnen zu sein. Im „Archiv“, einem linken Buch- und Dokumentenarchiv in einem Arbeiterstadtviertel Nürnbergs, habe ich am Abend in einem maximal vollbesetzten Raum einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Jungen Piraten hatten das maßgeblich organisiert, und das auch noch kurzfristig. Sie haben einen großartigen Job gemacht! Auch nach diesem Vortrag gab es eine längere Debatte mit dem Publikum.
StrickutensilienDanach war ich platt wie eine Flunder. Ein Bier mit den Lokalpiraten in einem irischen Pub mußte trotzdem noch sein, aber alt wurde ich dabei nicht und war froh, irgendwann in das Gästebett eines Piraten zu fallen. Bei der Heimfahrt am nächsten Tag habe ich wieder fleißig gestrickt, denn mein Ehrgeiz ist geweckt: ich möchte, wie in Bielefeld beschlossen, an jedem Ort, an dem ich Wahlkampf mache, etwas mit Guerillastricken verschönern. Mal sehen, ob mir das gelingt. Seit Bielefeld habe ich es nur in Brandenburg nicht geschafft. Okay, Berlin auch nicht gleich – aber das habe ich ein paar Tage später nachgeholt. Beim Text zum Zombiewalk kann man im demnächst mehr dazu lesen.

Besuch im Europäischen Parlament – Teil 3 – PPEU Gründung und Wahlkampfauftakt

Vorsitzende Amelia Andersdotter (rechts) und ihre Vize Martina Pöser (links) direkt nach der Wahl in den ersten PPEU Vorstand

Vorsitzende Amelia Andersdotter (rechts) und ihre Vize Martina Pöser (links) direkt nach der Wahl in den ersten PPEU Vorstand


Am Freitag, 21.03.2014 wurde die Gründung der Europäischen Piratenpartei abgeschlossen. So ein Prozess dauert schon aus formellen Gründen länger – in Brüssel fand als letzter Schritt die Wahl des ersten Vorstandes statt. An der Spitze der PPEU stehen nun zwei FrauenAmelia Andersdotter, die schwedische EU Abgeordnete der Piratenpartei als Vorstandsvorsitzende und Martina Pöser, Piratin aus Deutschland, als ihr Vize. Einen zweiten Vize gibt es auch: Maxime Rouquet aus Frankreich. Auch die übrigen Vorstandsmitglieder kommen aus ganz Europa und stehen für die Vielfalt der PPEU: Radek Petron aus Polen, Antonis Motakis aus Griechenland, Anders Kleppe aus Norwegen, Gilles Bordelais – Franzose aus Deutschland, Paul Bossu aus Belgien und Christian Bulumac aus Rumänien.
PPEU Gründung in Brüssel

PPEU Gründung in Brüssel


Mitglieder der PPEU sind Piratenparteien (und vergleichbare Organisationen) in ganz Europa, aktuell sind es Piratenparteien aus 20 europäischen Ländern. Mit dabei in Brüssel waren hunderte Pirat*innen, die wie ich begeistert waren von der transnationalen Atmosphäre und dem historischen Moment, den wir gemeinsam im Europäischen Parlament in Brüssel erlebten.
Delegierte von Piratenparteien aus Europa mit ihren Stimmkarten bei der PPEU Gründung

Delegierte von Piratenparteien aus Europa mit ihren Stimmkarten bei der PPEU Gründung


Wahlberechtigt waren jedoch nur Delegierte der Mitgliedsparteien. Deutschland hatte mit vier Delegierten die größte Gruppe an Repräsentanten entsenden können. Die Anzahl hängt ab von der Mitgliederzahl und der Repräsentation in Parlamenten. Es gab Debatten und Kritik am Delegiertensystem, aber ich halte das für die PPEU für den einzig sinnvollen Weg, wenn man verhindern möchte, dass jeweils die Lokalpirat*innen des Landes, in dem eine Abstimmung der PPEU stattfindet, die Mehrheiten bestimmen. Auch wenn es darum geht, Länder an der Peripherie der EU oder finanzschwächere Länder fair zu vertreten, macht ein Delegationssystem Sinn, denn sonst kämen aus NRW immer mehr PPEU Stimmen als aus Estland, Portugal und Island zusammen. Das wäre ungerecht und widerspräche dem Geist der PPEU.
Gewählt wurden auch zwei Kandidaten der PPEU für das Amt des Kommissionspräsidenten. Dieses Amt muss durch das EU Parlament bestätigt werden, in der Regel werden also nur Kandidat*innen der größten Fraktionen eine realistische Chance haben. Aber so what. Die PPEU ist selbstbewußt und für uns ist diese Kandidatur einfach eine politische Ansage! Unsere beiden Kandidat*innen sind Peter Sunde, u.a. Gründer der Piratebay und von Flattr sowie EU Kandidat der finnischen Piratenpartei und Amelia Andersdotter. Peter konnte leider selbst nicht dabei sein, er wird per Haftbefehl gesucht – wegen seiner Arbeit für die Piratebay. Sein Leben steht für die Absurditäten des aktuellen Urheberrechts, das aus engagierten Menschen Kriminelle macht. Ich empfehle, sein Grußwort an die PPEU noch einmal zu lesen, das ich für ihn vorgetragen habe (einen Videomitschnitt von der Rede aus dem EU Parlament gibts HIER).
Neben Stevan Cirkovic - ebenfalls Europa-Kandidat der Piratenpartei aus Deutschland bei der PPEU Gründung

Foto: Piratenpartei / Borys Sobieski (CC-BY); Neben Stevan Cirkovic – ebenfalls Europa-Kandidat der Piratenpartei aus Deutschland bei der PPEU Gründung


Für mich war es ein ganz besonderes Erlebnis, bei der Geburtsstunde der PPEU dabei zu sein. Bei der Gründungsveranstaltung und der sich anschließenden Internet Governance Conference, die mit hervorragenden Sprecher*innen besetzt war, wurde deutlich:

Es gibt einen Grund dafür, dass Piratenparteien entstanden sind. Und er ist immer noch da.
Es gibt einen Grund dafür, dass sie in Parlamente gehören. Immer noch.
Es gibt einen Grund dafür, dass unsere Visionen weiterhin niemand anders in der politischen Landschaft vertritt.
Alle diese Gründe sind ein Auftrag an uns, für diese Visionen aufzustehen: die Demokratie in einer digitalen Gesellschaft zu verteidigen, Grundrechte zurückzuerobern, Machtverhältnisse zugunsten der Zivilbevölkerung zu verschieben, den einseitigen Einfluss der Industrielobbyisten auf die Politik zu durchbrechen, die Freiheit des Internets mit Zähnen und Klauen zurück zu erkämpfen (nein, nicht verteidigen, denn das Internet ist schon längst nicht mehr frei), das Abdriften in einen digitalen Totalitarismus mit allgegenwärtiger Massenüberwachung zu verhindern – und noch viel mehr. Es gibt so viel zu tun für uns! So vieles, das höchste Priorität hat – und haben muss. Wir haben einfach keine Zeit und keine Energie übrig für alles, was uns davon ablenkt.

Es war mir wichtig, diesen „Spirit“ dort in Brüssel zu spüren. Im Alltag können diverse Gates und Querelen auf Twitter oder in Mailinglisten uns von diesen Zielen abbringen. Viel zu viele Pirat*innen befassen sich mit Nebensächlichkeiten, persönlichen Streitereien oder einem Fokus auf innerparteiliche Unzulänglichkeiten.
Logo PPEUAber so berechtigt die Frustrationen im Einzelfall sein können, jetzt geht es gerade um sehr viel mehr. Es geht schlicht ums Ganze. Es geht darum, dass sich ein Möglichkeitsfenster schließt und darum, dass wir nicht daneben stehen können, damit beschäftigt, uns zu zanken statt damit, den Fuß in den Spalt zu stellen und mit aller Kraft das Fenster aufzuhalten. Es wird sonst eines Tages zu spät sein und ich möchte mich nicht rückblickend fragen müssen, wie es denn kam, dass wir unseren Auftrag vergaßen, in einer Zeit, in der wir am dringendsten gebraucht wurden und wo wir denn da waren. Bei der Gründung der PPEU habe ich dieses gemeinsames Verständnis von Dringlichkeit für unsere Ziele und der Bedrohung der Gesellschaft gespürt. Es hat meinen Optimismus wachsen lassen und mir Kraft gegeben. Ich bin den vielen Pirat*innen aus allen Ecken Europas dafür sehr dankbar. Now is the time to act.
Dem Piratenmagazin KOMPASS habe ich zur Gründung der PPEU folgendes Statement gegeben:

“In jeder Minute war hier in Brüssel bei der Gründung der PPEU der Spirit einer internationalen Bewegung, die für die digitale Gesellschaft und damit für die Zukunft steht, zu spüren. Es ist inspirierend und motivierend, mit Piratinnen und Piraten aus ganz Europa mitten im europäischen Parlament Debatten zu brennenden Fragen zu führen.
Welche Bereicherung für die Demokratie Piratenparteiabgeordnete im EU Parlament wären, haben diese Debatten zu Themen wie Urheberrechtsreform, transatlantisches Freihandelsabkommen und Schutz vor staatlicher Massenüberwachung gezeigt. Auch unsere höhere Priorität hinsichtlich Transparenz und Teilhabe im politischen Betrieb wird hier in Brüssel dringend gebraucht.
Ich habe mir Rückenwind für den anstehenden Wahlkampf hier holen können und freue mich jetzt darauf, gemeinsam mit den anderen Kandidat*innen unserer Europaliste durchzustarten.”

Und wo ich gerade vom Wahlkampf schreibe – am 29.03.2014 fand der offizielle Wahlkampfauftakt der Piratenpartei Deutschland in Berlin statt. Fast alle Kandidat*innen waren da, unsere Kampagne wurde vorgestellt – u.a. die Wahlplakate, ein Wahlkampf-Radiospot eingespielt (ich habe dabei GOTT gesprochen!) und jede*r hat sich kurz mit seinem/ihrem Schwerpunkt für die Wahl und die Arbeit im EU Parlament vorgestellt. Passend dazu hat der Bayerische Rundfunk ein Interview mit mir zum EU Wahlkampf und unsere Schwerpunkte dabei ausgestrahlt. Es wird jetzt ernst – aber wir werden Spaß dabei haben!

Foto: Piratenpartei / Borys Sobieski (CC-BY), EU Kandidaten v.l.n.r.: Martin Kliehm, Fotio Amanatides, Julia Reda, Gilles Bordelais, Bruno Kramm, ich

Foto: Piratenpartei / Borys Sobieski (CC-BY), EU Kandidaten v.l.n.r.: Stevan Cirkovic, Martin Kliehm, Fotio Amanatides, Julia Reda, Gilles Bordelais, Bruno Kramm, ich


Den ersten Teil meines Berichts zum Besuch im EU Parlament, der sich vor allem mit Lobbyismus und der Urheberrechtsreform befaßt, gibt es HIER.
Teil 2 meines Berichts zum Besuch im EU Parlament mit vielen Eindrücken vor Ort und zu Gesprächen mit Abgeordneten des EU Parlamentes findet sich HIER.
 

Besuch im Europäischen Parlament – Teil 2 – Gespräche mit Piraten MEPs und Eindrücke

Dies ist Teil 2 meiner Berichte zum Besuch im Europäischen Parlament vom 19-22.03.2014. In Teil 1 habe ich über Lobbyismus und das Thema Copyright geschrieben. In diesem Teil soll es um die Eindrücke am gleichen Tag gehen. In einem dritten Teil schreibe ich zur Gründung der European Pirateparty und zur Internet Governance Conference, die am 21.03.2014 stattgefunden haben.

EU Parlament - Glasgang

EU Parlament – Glasgang zwischen Gebäuden


An meinem ersten Besuchstag im Europaparlament haben wir, Julia Reda, Fotio Amanatides und ich, mehrere Mitglieder des Europaparlaments und Mitarbeiter treffen können. Von allen Gesprächen habe ich sehr profitiert.
Unser Tag sah in der Übersicht so aus: Donnerstag, 20.03.2014

  • 08:00 Meet up am EU Parlament, Eingang Rue Wiertz, Akkreditierung
  • 08:30-10:00 Copyright Breakfast mit MEP Amelia Andersdotter. Member Salon
  • 10:00-10:45 Abstimmung deutscher Piratenpartei Kandidat*innen (Julia, Fotio, Anke).
  • 10:45-11:30 Führung durch das EU Parlament mit Mattias Bjarnemalm, Mitarbeiter im EU Parlament, Gespräch mit Christian – Mitarbeiter der Grünen-Fraktion für die Piraten-MEPs
  • 11:30-12:30 Video-shooting für wepromise.eu pledge mit Fotio und Anke
  • 12:30-14:00 Lunch mit MEP Martin Ehrenhauser
  • 14:15-14:30 Foto-shooting mit Team von wepromise.eu (goVeto)
  • 14:30-16:00 Meeting mit MEPs der schwedischen Piratenpartei: Amelia Amersdotter und Christian Engström
  • 16:00-16:45 Kaffee mit Strategieberater der Grünen-Fraktion Eduard Gaudot
  • 18:30-20:00 European Pirates Internet Governance Conference – opening event

EU Parlamant Kunst am BauDas Gebäude des Europa-Parlamentes besteht eigentlich aus mehreren Gebäuden, die teilweise über Brücken miteinander verbunden sind. Die meisten Teile sind hell und freundlich, hier und da steht ein riesiges Kunstelement herum. Das hier abgebildete soll sogar im ganzen Haus Töne verbreiten, wenn man an eine der Stangen schlägt ;-). Ohne Mattias, unserem „Reiseführer“ mit Insiderkenntnissen, wären wir sehr schnell in all diesen Gängen verloren gegangen. Er zeigte uns Bereiche, in die man als normale Besucher gar nicht kommt, die Fraktionsbüros der Grünen-Fraktion zum Beispiel, die diversen Cafés (es gibt sogar eines, das Mickey Mouse heißt), und die Labyrinthe, die alle möglichen Gebäudeteile miteinander verbinden.
Eindrucksvoll war die „Newsstation“ (wie der Ort tatsächlich heißt, weiß ich nicht – Update: Julia wußte es, es heißt „voxbox“). Dieser Counter sah jedenfalls aus wie eine TV Station, mit vielen flimmernden Bildschirmen, auf denen Interviews oder Einspieler liefen, Menschen, die wie Moderatoren oder Berichterstatter aussahen herumsaßen, und einem hinteren Gelände, in dem man jederzeit einen fertigen Hintergrund hatte für eine beliebige EU Talkshow, ein Interview oder was auch immer. Im diesem Bild steht Julia Reda, unsere Spitzenkandidatin daneben – wenn sie gewählte MEP ist (dafür reichen 0,5%!) – wird sie dort bestimmt noch oft stehen :-).

Julia Reda, Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland für die EU Wahlen, am Newscounter im EU Parlament

Julia Reda, Spitzenkandidatin der Piratenpartei Deutschland für die EU Wahlen, am Newscounter im EU Parlament (Update: das Ding heißt „voxbox“)


Die Glasgänge hatten es mir angetan – nachstehend nur eines von vielen Bildern, die ich dort gemacht habe. Im Foto: Julia Reda mit Martin Ehrenhauser. Ein wenig spacig sah es dort schon aus. Mir gefiel der transparente Charakter dieser Architektur.
Julia Reda, Piratenpartei Deutschland, mit Martin Ehrenhause in den Glasbrückengängen des EU Parlamentes

Julia Reda, Piratenpartei Deutschland, mit Martin Ehrenhause in den Glasbrückengängen des EU Parlamentes


Mit Martin Ehrenhauser – fraktionsloses Mitglied des EU Parlaments – sind wir in der Mittagspause in die Sonne gegangen. In einem Imbiß haben wir uns ein paar Kleinigkeiten geholt, die wir in einem Park in der Nähe als Picknick verspeist haben. Nebenbei haben wir uns über Alltag im Europa Parlament unterhalten, über Fraktionspolitik und solche Dinge.
EUParl-MitJuliaBeimPicknick
Ernster wurde es wieder nach dem Mittag, als wir mit den Piraten-MEPs Amelia Andersdotter und Christian Engstrom zusammen trafen. Nicht alles, was wir erfuhren, war ermutigend und machte Lust auf Europapolitik. Aber besser, man weiß vorher, was einen erwartet. Spannend war für mich, was die beiden MEPs erreichen konnten und in wie weit man überhaupt als einzelne Person dort einen Unterschied machen kann.
Christian Engstrom, Piraten-MEP aus Schweden. Mate gibt es in Brüssel offenbar genug.

Christian Engstrom, Piraten-MEP aus Schweden. Mate gibt es in Brüssel offenbar genug.


Gerade beim Widerstand gegen ACTA haben die beiden Parlamentarier jedoch viel erreichen können. In der Grünen-Fraktion, der die Piraten angehören, gab es keine besonderen Netzpolitik Kompetenzen, erst auf Bestreben der Piraten MEPs wurde ein Mitarbeiter dafür eingestellt.
Die Piraten-MEPs sorgten dafür, dass die Zivilgesellschaft Druck auf einzelne Abgeordnete machte, dass Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen entstanden, sie bereiteten den Boden innerhalb des Europa Parlamentes, auf den dann der externe Druck durch weltweite Anti-ACTA Proteste traf – so wurde der Widerstand besonders effektiv und am Ende kippte ACTA. Amelia Andersdotter hatte als Rapporteurin des Industrie-Ausschusses in diesem Gremium ein Proposal eingereicht, das einer der Sargnägel für ACTA wurde.
Amelia Andersdotter und ihr Team im EU Parlament (ganz links Mattias Bjarnemalm) - Ihr Büro befindet sich im Gebäudebereich 6E - außerhalb der Grünen-Fraktion, daher "Exile"

Amelia Andersdotter und ihr Team im EU Parlament (ganz links Mattias Bjärnemalm) – Ihr Büro befindet sich im Gebäudebereich 6E – außerhalb der Grünen-Fraktion, daher „Exile“


Amelia riet uns, im Wahlkampf verstärkt auf das Thema Copyright zu setzen, denn das Parlament kann sich nicht selbst aussuchen, welche Themen auf seine Tagesordnung kommen, da nur die Kommission das Initiativrecht für Gesetze hat. Bei einigen Themen steht jedoch schon fest, dass die kommende Legislatur sie auf den Tisch bekommt – dieses gehört dazu. Wir lernten, dass jede*r MEP Vollmitglied in einem der 20 Ausschüsse ist und stellvertretendes Mitglied in einem weiteren. Wer in welchen Ausschuss kommt, ist Verhandlungssache – vor allem innerhalb der Fraktion, der man angehört, denn jede Fraktion hat nur eine begrenzte Anzahl Ausschußmitgliedschaften zu verteilen. Mit einem Thema befasst sich meist ein Ausschuss federführend, andere arbeiten ggf. zu etwa durch Stellungnahmen. Beim Urheberrecht wird die Federführung wohl der Rechtsausschuss haben aber der Kultur und Bildungsausschuss und weitere werden Zuarbeit leisten.
Foto: GoVeto, von links nach rechts: Julia Reda, ich, Fotio Amanitides, Martin Ehrenhauser (MEP) vor dem Altiero Spinelli Gebäude des EU Parlamentes

Foto: GoVeto, von links nach rechts: Julia Reda, ich, Fotio Amanatides, Martin Ehrenhauser (MEP) vor dem Altiero Spinelli Gebäude des EU Parlamentes


Wir haben auch gefragt, welche Erfahrungen die MEPs gesammelt haben, von denen sie sich gewünscht hätten, sie hätten sie früher davon gewußt. Hier sind ein paar dieser Tipps (manche finde ich traurig):

  • Was immer Ihr sagt – geht davon aus, dass es auf die negativst mögliche Weise ausgelegt werden wird
  • Was immer Ihr versprecht – geht davon aus, dass es nie vergessen wird und auch unter widrigsten Bedingungen eingefordert
  • Vertraut nicht darauf, dass die Brüsseler Administration Euch die richtigen Prozessinformationen rechtzeitig zur Kenntnis gibt – stellt sicher, dass sich Eure Mitarbeiter*innen darum kümmern, dass alle erforderlichen Schritte frühzeitig bekannt sind
  • Vertraut nicht darauf, dass sich politische Gegner an die Regeln halten – sie werden tricksen, wo immer es geht
  • Delegiert alles, was mit Admin zu tun hat – Ihr braucht jede Minute für die inhaltliche, politische Arbeit; Ihr werdet immer zu viele Akten auf Eurem Tisch liegen haben
  • Erarbeitet Euch die Historie von Anträgen/Akten, die Ihr auf den Tisch bekommt, oft vermittelt die mehrjährige Entwicklungsgeschichte bestimmter Proposals ein besseres Verständnis, auch dazu, wie man die Inhalte entsprechend der eigenen politischen Schwerpunkte beeinflussen kann – und wie man das am besten anstellt.
  • Es gibt kaum MEPs, die ein Transparency Log pflegen – es ist aufwändig und die Grauzonen sind groß. Laßt Euch beraten von NGOs, die Expertise haben – von Transparency oder Lobby Control, wie man das am besten macht.

Illusionen hatten wir bestimmt alle keine, aber trotzdem war es nicht besonders ermutigend, vor allem Warnungen zu erhalten. Ich bin froh, dass wir mit einem guten Team einziehen werden – gemeinsam sind wir stärker.
Am Abend des 20.03.2014 begann die Internet Governance Konferenz der European Pirateparty – die Rede, die ich dort für meinen Mann Daniel und für Peter Sunde, den Gründer der Piratebay und Spitzenkandidat der finnischen Piratenpartei für die EU Wahlen gehalten  habe, habe ich bereits HIER veröffentlicht. In meinem 3. und letzten Bericht zum Besuch im Europäischen Parlament werde ich über die Fortsetzung der Internet Governance Konferenz am 21.3.2014 und die am gleichen Tag stattfindende Gründung der European Pirateparty schreiben.

Platz vor dem EU Parlament Richtung Place Luxembourg

Platz vor dem EU Parlament Richtung Place Luxembourg


Den ersten Teil meines Berichts zum Besuch im EU Parlament, der sich vor allem mit Lobbyismus und der Urheberrechtsreform befaßt, gibt es HIER.
Teil 3 meines Berichts zum Besuch im EU Parlament zu Gesprächen mit Abgeordneten und vielen Eindrücken vor Ort gibt es HIER.
 

Zu Besuch im Europäischen Parlament – Teil 1 – "Copyright Frühstück" – Lobbyismus in Aktion

Foto: www.goveto.orgvrnl: Martin Ehrenhauser (MEP), Julia Reda, Fotio Amanatides und ich

Foto: www.goveto.org vrnl: Martin Ehrenhauser (MEP), Julia Reda, Fotio Amanatides und ich


Zwei Tage lang habe ich gerade im EU Parlament in Brüssel verbracht, mich mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht, am 20.03. zusammen mit unseren Spitzenkandidat*innen Julia Reda und Fotio Amanatides drei Europa-Abgeordnete (Martin Ehrenhauser – unabhängig, sowie Amelia Andersdotter und Christian Engstrom von der Schwedischen Piratenpartei) und mehrere Mitarbeiter von Abgeordneten (Grüne und Piraten) getroffen, ihnen allen Löcher in den Bauch gefragt, nebenbei einen kleinen Film für wepromise.eu gedreht, und dann die Gründung der Europäischen Piratenpartei miterlebt und die daran anschließende Internet Governance Konferenz am 21.03.2014 besucht.
Fotoshooting wepromise.eu

Fotoshooting wepromise.eu


Mattias Bjarnemalm, Mitarbeiter im Europäischen Parlament, hatte nicht nur alles für uns organisiert sondern sich auch vor Ort als gute Seele um uns gekümmert. Das war auch gut so, denn ich hätte mich in den Labyrinthen des Europäischen Parlamentes wohl oft verlaufen.
Aber eins nach dem anderen. Ich werde in mehreren Blogtexten davon berichten. Gestern habe ich bereits die Reden veröffentlicht, die ich für meinen erkrankten Mann und Peter Sunde, Gründer der Pirate Bay und finnischer Spitzenkandidat der Piratenpartei für die EU Wahlen, gehalten hatte.
In diesem Beitrag geht es um eine kleine Schule in Lobbyismus  und um die anstehende Urheberrechtsreform, mit der sich die nächste Legislatur beschäftigen wird.Logo PPEU
 
Lobby-Frühstück zur Copyright Reform mit Amelia Andersdotter
Einen sehr authentischen Eindruck von der klassischen Lobbyarbeit im Parlament bekam ich gleich am morgen nach meiner Ankunft in Brüssel: Amelia Andersdotter, schwedische Europaabgeordnete der Piratenpartei, war gemeinsam mit zwei Verbänden Gastgeberin eines „Copyright-Breakfast“, das schon früh um 08:00 Uhr begann und zu dem etwa 25-30 Vertreter von Verbänden, Institutionen, Unternehmen oder Parteien erschienen. Es gab ein paar kurze Vorträge zum Thema Copyright Reform in Europa mit dem Schwerpunkt Bibliotheken und Archive und einem Bezug zu einer Internationalen Regelung auf der Ebene der WIPO (World Intellectual Property Organisation). Ich habe in dieser Stunde eine Menge gelernt. Viele Hindernisse, die das veraltete Copyright verursacht, waren mir schon bewußt, aber ich habe von noch mehr Seltsamkeiten des aktuellen Rechts erfahren, die dringend einer Reform bedürfen.
Amelias Büro im EU Parlament von außen

Amelias Büro im EU Parlament von außen


So beklagten sich Vertreterinnen internationaler Bibliotheksverbände darüber, dass internationale Kooperationen zwar immer wichtiger aber auch immer komplizierter werden, weil es kein einheitliches Lizenzrecht gibt und selbst das Indizieren und Durchsuchen vorhandener elektronischer Archive dem Urheberrecht unterliegt und oft nicht auf legalem Wege stattfinden kann. Überhaupt bewegten sich die Hüter*innen großer digitaler Sammlungen stets am Rande der Illegalität, das Urheberrecht wirke als Forschungsverhinderungsrecht, das Zugang zu Wissen selbst für Forschende erschwert. Eine der Hauptaufgaben von Archiven – das Erhalten ihrer Sammlungen für die Zukunft – ist rechtlich besonders schwierig, denn dazu müssen digitale Werke oft in andere Formate umgewandelt werden und das ist fast immer ein Verstoß gegen das Urheberrecht.
Es gibt große bedrohte Bibliotheken, die ihre Archive daher auslagern, z.B. aus dem Kongo oder zur Zeit der Taliban aus Afghanistan nach Paris. Dort sind diese Sammlungen zwar sicher, aber wenn jemand etwa aus den Ursprungsländern dieser Kulturgüter Zugang dazu haben möchte, dann gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. Dringlich waren die Appelle, die unter anderem von der Vertreterin des internationalen Verbandes der Forschungsbibliotheken kam. Die Befürchtung ist groß, dass wieder einmal eine Urheberrechtsreform vor allem die Interessen von Industrien widerspiegelt aber nicht der Zivilgesellschaft und damit eine Gemeinwohlorientierung.
In den letzten 100 Jahren gabe es 8 internationale Urheberrechtsverträge, die die Interessen der Rechteinhaber verstärkten. Es gab jedoch nur einen einzigen – und den erst im Jahr 2013, der im Interesse der Zivilgesellschaft entstand – er regelte die Rechte bei der Erstellung von Lesematerial für Sehbehinderte und Blinde, erst am Vortag des Frühstücks, am 19.3.2014, hatte der Europarat entschieden, den diesbezüglichen Entwurf der EU Kommission zu unterschreiben.
Eine Vertreterin der Kommission lobte die intensive Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den letzten Monaten, die dazu diene, einen besseren Einblick in den Reformbedarf zu bekommen. Piratenabgeordnete Amelia Andersdotter drückte sich zwar gewählt und diplomatisch aus, aber ihre Kritik blieb dennoch sehr deutlich: Aus Kreisen der Kommission sei verlautbart worden, dass eine Beteiligung an der Online Befragung eigentlich sinnlos sei, da man an Feedback nicht sonderlich interessiert ist. Diese Informationen wurden noch vor Ende der Beteiligungsfrist bekannt und hätten einen negativen Einfluss auf die Bereitschaft an Beteiligungen und sendeten ein maximal negatives Signal. Eine solche Einstellung wurde von der Kommissionsvertreterin selbstverständlich vehement abgestritten. Meine Meinung dazu war, dass wir ja alle sehen werden, wie ernst es die Kommission mit dem Bürgerfeedback meint, denn die über 11.000 eingereichten Rückmeldungen europäischer Bürgerinnen und Bürger sollen veröffentlicht werden, so dass nachvollziehbar wird, in wie weit die Meinung der Menschen Berücksichtigung fand. Dieser Prozess soll aber noch ein paar Wochen dauern. Für Ende Juni wurde jedoch ein Whitepaper der Kommission dazu angekündigt.
HP Help reform Copyright

HP Help reform Copyright


Dass es so viele Rückmeldungen wurden – 4.000 kamen in den letzten 24 Stunden – ist ein Verdienst von Amelia Andersdotter, die die Website http://copywrongs.eu/ www.savetheinternet.eu initiierte. Diese Plattform stellte in neun Sprachen ein Webfrontend bereit, in dem man besonders einfach Orientierung für die Online Beteiligung der EU finden konnte. Über alle Piratenkanäle in Europa wurde zur Beteiligung aufgerufen.
** Update 24.03.2014: Nach einem Kommentar zu diesem Blogtext wurde die Entwicklung der Website (richtig ist copywrongs.eu) von Amelia angestoßen und durch einen Workshop beim Kongress des Chaos Communications Club 30c3 von einer Gruppe österreichischer Piraten auf Basis der Arbeit eines Mitglieds der deutschen Open Knowledge Foundation (die mit youcan.fixcopyright.eu auch massiv zur hohen Anzahl an Antworten beitrugen) umgesetzt. Zu den Piratenkanälen, die europaweit für die Beteiligung trommelten, gehörten auch isländische Piraten – in der Tat ein sehr schönes Beispiel für Kollaboration in der internationalen Piratenbewegung.**
Hoffen wir, dass diese massive Mobilisierung Erfolg hat und es eine Urheberrechtsreform geben wird, die nicht nur die Interessen großindustrieller Rechteinhaber der Unterhaltungsbranche vertritt. Passend dazu habe ich gerade einen Text zu einem Interview mit Cory Doctorow auf irights.info gefunden. Mein Lieblingszitat daraus:

„Der Zweck des Urheberrechts aber liege nicht darin, „dass fünf Hollywoodstudios, drei Majorlabels und fünf Großverlage solvent bleiben“. Er liege vielmehr darin, dass die „größte Zahl an Menschen die größtmögliche Anzahl unterschiedlichster Inhalte produzieren und damit verschiedenste Menschen erreichen kann“.

Eine der Lobbyistinnen, Susan Reilly, kam von der European Association of European Research Libraries, LIBER. Sie sieht enorme Risiken für den Forschungsstandort Europa, der nicht Schritt hält mit der Entwicklung technischer Möglichkeiten:

„As the infrastructure evolves to accommodate rapid advances in information technology, an explosion in the production of data and a culture shift towards collaboration and openness, so too must the surrounding policies and legislation. So far, however, the evolution of copyright and associated intellectual property legislation has not kept pace with the digital age. Without significant changes to European legislation, Europe’s research potential will not be fully realised.“

Die Hauptforderungen dieses Verbandes ist eine Orientierung eines modernen Urheberrechts an folgenden Grundprinzipien:

  • Zugang und Nutzung von öffentlich finanzierter Forschung sollte nicht durch Urheberrecht unangemessen erschwert werden
  • Urheberrecht soll Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördern – nicht behindern
  • Der Erhalt und der Zugang zum kulturellen Erbe muss durch Ausnahmen vom Urheberrecht unterstützt werden

Eine Stellungnahme von LIBER mit den darüber hinaus geforderten Maßnahmen findet sich HIER. Ebenfalls dabei war Ellen Broad, Manager Digital Projects and Policy, bei der International Federation of Library Associations and Institutions, einem Verband, der zu den Gastgebern des Copyright Frühstücks gehörte (IFLA hat auch einen Bericht zu diesem Copyright Frühstück verfaßt).. Ihre Position war so ähnlich wie der Interessenshintergrund. Auch von der IFLA gibt es ein Statement zur Dringlichkeit der Copyrightreform, gerichtet an die World Intellectual Property Organisation, zu deren Entscheidungsmeetings auch die EU eine Delegation entsendet. Daran sollte auch ein*e Vertreter*in für die Bibliotheken teilnehmen – so die Forderung von Ellen Broad – damit die Interessen derer vertreten werden, die Forschung und Zugang zu Wissen einfach machen wollen, für möglichst viele Menschen.

beim Betrachten eines Models des EU Parlamentes (Foto: XXXX)

beim Betrachten eines Models des EU Parlamentes (Foto: Uwe Stein/ @mitkrieger)


Ich habe während meiner früheren beruflichen Tätigkeit ab und zu an Terminen teilgenommen, die man auch in Schublade „Lobbymeeting“ einsortieren könnte. Einmal war ich sogar in Brüssel mit Vertretern der ITK Industrie aus Deutschland. Wir trafen eine EU Kommissarin beim Abendessen (ich erinnere mich daran, dass sie einen flammenden Vortrag über Open Data gehalten hat), besichtigten Schauplätze der Politik und der eine oder andere Industrievertreter tat das, wozu er da war, offensiv die Interessen der Industrie vertreten. Zivilgesellschaft war nicht anwesend damals. Dieses Frühstück mit Amelia Andersdotter erschien mir anders, hier waren die Interessensvertreter für das Gemeinwohl eindeutig in der Überzahl. Es zeigte sehr deutlich, dass nicht jeder Lobbyismus schlecht ist. Auch das Gemeinwohl braucht Stimmen in Brüssel.
Leider ist das wohl immer noch die Ausnahme. Am Tag danach sprach E. Moody bei der Internet Governance Conference im EU Parlament, die ebenfalls auf Einladung von MEP Andersdotter stattfand. Seine Worte sinngemäß:

„Ich habe sehr oft an Terminen teilgenommen, die die EU organisierte, um die Zivilgesellschaft anzuhören. Selbst auf diesen Terminen habe ich regelmäßig Zweidrittel Vertreter der Großindustrie angetroffen, die stets eine Mehrheit bildeten gegenüber den tatsächlichen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Dieses System ist strukturell kaputt.“

Genau dieses Strukturproblem macht die Präsenz von Piraten im Europaparlament so wichtig. Amelia zeigt, wie viel Unterschied eine einzelne Abgeordnete machen kann. Sie ist mir ein Vorbild.
Die Position der Piratenpartei zum Urheberrecht aus unserem Wahlprogramm für die Europawahl findet man übrigens HIER.
Teil 2 meines Berichts zum Besuch im EU Parlament mit vielen Eindrücken vor Ort und zu Gesprächen mit Abgeordneten des EU Parlamentes findet sich HIER.
Teil 3 des Berichts mit Bezug auf die Gründung der PPEU und den EU Wahlkampfauftakt gibt es HIER.

I spoke in the name of Peter Sunde and Daniel Domscheit-Berg at PPEU Foundation

At the evening event before the formal foundation of the European Pirateparty (PPEU) at 20th March 2014, in the EU Parliament in Brussels, various keynotes have been held, one of them was meant to come from Daniel Domscheit-Berg, my husband. However, he fell ill that same day so that I ended up holding his keynote in his name – which included a greeting message, sent by Peter Sunde. I added some personal remarks.
Please find below all parts of this „matrjoshka“ style speech 🙂
Peter Sunde Greeting to the PPEU

pic of Peter Sunde, with free and open Kopimi License

pic of Peter Sunde, with free and open Kopimi License


„Dear friends,
Many of you know me as one of the founders of The Pirate Bay. I’ve been working closely with a lot of the people in this audience for over a decade. I was hoping to be able to come to this meeting, but I can’t.
The reasons are at the core of the things we need to fight. Because of the skewed and broken legal system, I’m sentenced to prison for a crime that is not supposed to be a crime. A crime that in it’s pure essence boils down to challenging authority. Challenging the big corporations over their power and influence, giving back the power of information to the people.
When we started The Pirate Bay we had no idea what it would lead to. We were young and we didn’t agree with anyone, not even eachother. The internet was not as regulated as today and there were none caring about the politics of the nets.  Today the world looks different. The internet is the new oil industry where the wells is the information about normal people, being collected for profits. The tools that we once built in good faith for sharing have become weapons against our own freedom and privacy. The regulations are coming and they are not for the peoples benefit. The politics of the net is now the politics of the world.
All the people in this audience understand this. You all know the problems we have. You’re all eager to change things, so that we can build a society for the people, not against them. Our mission has broadened from being just about the internets and our freedom to share, to saving democracy.  Within The Pirate Bay we were never really friends and we actually hated each other quite a lot sometimes. But our goals made us focus on the important tasks and put our own quarrels aside. We had other arenas for those. The more influence we got, the more important it was to stick to our goals. I feel it’s important to send a message to you all that cooperation and focus is the only way to change things.
The European Pirates is a great step at finding a common ground for this cooperation. Just as the green movement, our political goals are global and can’t be defined by borders.  Politics is a long-term commitment. It’s going to take time to reach the results we want. But just look at the people in the audience. Look at the results you’ve already achieved, in such a small time frame for being politics.  Today I wish I could be there with you guys to celebrate, because it’s well deserved for all of us!“
Keynote of Daniel Domscheit-Berg
Pic by SHAREconference, Daniel Domscheit-Berg at ShareConference, Belgrad, 2012, License: cc-by-sa-2.0

Pic by SHAREconference, Daniel Domscheit-Berg at ShareConference, Belgrad, 2012, License: cc-by-sa-2.0


„hi Everyone,
its quite an honor for me to speak at this very historic moment of pirate history. There are plenty of things i would like to say given the troubled times we live in, in the real world, but unfortunately also in our party. Back at WikiLeaks we had a credo, that history is the only guidebook civilization has. I think, whenever it is unclear where something is headed, it makes sense to look back where it came from. To remember what unites us, so we can move forward together and in unity.  So I would like to share a short story.
In the latish 90s a young and innocent unix enthusiast became part of a circle of people referred to as the warez scene. The scene was a group of people that had started to use the means of the internet quite early and had developed an ecosystem for the distribution of content: mainly music, movies, at some stage books and magazines.  That scene was a first incarnation of an alternative ecosystem in a purely digital sphere. It was a first effort to reorganize the distribution of and access to content, to overcome societal and technical limitations imposed by the existing regime.
Unfortunately, that scene looked much like the existing world. It was top-down, vertically organized as one could imagine, highly competitive and highly professionalized. Just as our real world, it was made for an 31337 („Elite“), this time just spelled in numbers. This hierarchy was no coincidence, but a mere consequence of the scarcity of resources, fast lines and bandwidth, fast servers and most importantly, storage.
Around the year 2000, something in the game started to change.  In time for the new millennium the broadband future had arrived in Sweden. Broadband as in 10 megabits, 100 megabits at home. Svenne Svensson in his Swedish home got fiber, and more importantly, upstream to the network via an an open access infrastructure that removed the bandwidth limitations. The limitations in how much he could share with Anna Svensdotter, John Doe, Erika Musterfrau, and the rest of the world, were effectively removed.
Within a really short amount of time, substantial parts of the warez ecosystem moved to Sweden. Suddenly a world rid of physical scarcity and full of intellectual and cultural abundance had arrived — accessible not only to an 31337 anymore, but increasingly to everybody.
Because the broadband future happened in the middle of a highly social society it is no coincidence that Piratbyran and The Pirate Bay happened in Sweden. They are nothing short of a natural consequence of the dynamics set in motion with the arrival of the digital age, and some fundamental questions this put on the table. Questions about the means of distribution and property in a digital environment. Questions from the early days of piracy.  So what does this all mean?  Our unix sailor in the summer of 2005 steered a shipful of SOUR drum and bass releases to The Bay for the very first time. When strolling among all those colorful sails that had set anchor, he realized that the digital era was a world in which the exclusivity he had been looking for did not make sense anymore. He realized that his exclusive world was a lonely one. It was unjust, unfair and no longer fitting the times. He realized that the digital age could be the end of all exclusive regimes, and the beginning of an inclusive paradigm.  That day, another sailor joined the pirate fleet.
In the internet we are equals among equals. This is the basic implication of the Internet Protocol in a net-neutral environment. This world is a world of inclusion, in which everyone, independent of color, sex, sexual orientation, location on the planet or social status is welcome to participate and in which there is no room for discrimination — be it on packet level in a network or status in society. It is an inclusive world, and what unifies us all is that we fight for this inclusive world on all levels of society. The whole idea of this European movement is one of an inclusive regime. The fact that we are creating a European Pirate Party is yet another proof for the potential for a more inclusive world. We as Europeans have understood that we are peers among peers not just in a technical sense.
What we are talking about here are fundamental challenges to the existing system of the world. As this movement has grown into a proper political one over the last years, with parties all over world, we have discovered those challenges and have embraced them. We have developed strong , intelligent and sustainable positions towards topics that have an influence on all facets of humanity.  We understand that technologies like 3D printing will change the distribution of the means of production; that in a world thriving on creativity and innovation the old concepts of intellectual property protection don’t make sense anymore. We also understand the imminent dangers of the mass surveillance of the global population through an exclusive group of people and the threat this poses to democracy and the possibilities for positive change towards a more inclusive society.
Our strength is this movements  holistic approach with answers on all these topics. It is the fact that we have understood and embraced the digital era in full like no other political movement so far. Again, this is not coincidence but consequence. We carry a unique responsibility. From where I stand, no parliament to enter is as important right now as the European Parliament.
We have to remember, that what is crucially important is that we live in a time that requires us to take urgent action. We have a limited window of opportunity in which we can have a positive influence in how this new digital era is shaped. We must not lose time on anything that is smaller than this vision, that is less important. We must not be distracted by anything that is irrelevant in persuing this vision for society. We are here for a reason and we must never forget that. We carry a responsibility for the rest of the world because we are only few who understand what is coming.“
YouTube Screenshot von der Keynote am 20.03.2014 im EU Parlament in Brüssel

YouTube Screenshot von der Keynote am 20.03.2014 im EU Parlament in Brüssel


My own remarks which I gave at the end of delivering the speeches of Peter and Daniel:

Let me add some final remarks from my perspective as a German candidate for the upcoming EU elections: I am giving all my energy and dedication for our campaign but no candidate can win elections on her own. It takes the energy and dedication of the entire pirateparty community to take this barrier down, to get more feet into the European door, to get more power and impact in shaping our future.
Now is the time, where I ask for you to get onto your feet, go out into the streets and spread word about our visions. Because NOW this is all that matters and only in unity we are strong enough to win this fight. Thank you.

There is a YouTube version online, you find it HERE.
 

Neues von der NSA, Besuch im EU Parlament, Gründung der PPEU

Programm MYSTIC – mehr Überwachung geht kaum
Immer, wenn man denkt, schlimmer kann es ja nun nicht mehr werden, setzt die NSA noch eins drauf. Seit gestern wissen wir, dass der US amerikanische Geheimdienst die vollständige Telekommunikation eines ganzen Drittlandes nicht nur an- sondern vollständig abzapft, speichert für einen Monat und mittels Algorithmen durchsucht. Getan wird das für mindestens ein Land, welches ist (noch) unbekannt, weitere 5-6 Ländern sind jedoch mindestens geplant – vielleicht sind sie auch schon längst Teil des Programms, das sich MYSTIC nennt.

Dies ist ein Teil eines Screenshots von Inforadio Berlin Brandenburg - für das früher darin enthaltene Bild ließ mir die Caro Fotoagentur eine Abmahnung über 554€ schicken... deshalb nun ohne dieses künstlerisch nicht erwähnenswerte Bild

Dies ist ein Teil eines Screenshots von Inforadio Berlin Brandenburg, auf dem das Interview mit mir beschrieben und verlinkt war. Für das früher darin enthaltene Bild ließ mir die Caro Fotoagentur eine Abmahnung über 554€ schicken… deshalb nun ohne dieses künstlerisch wirklich nicht erwähnenswerte Bild.


Auch diese Enthüllung verdanken wir dem Whistleblower Edward Snowden, der immer noch beim Superdemokraten Putin ausharren muss, weil keine der europäischen Demokratien genug Mumm in den Knochen hat, ihm politisches Asyl zu bieten. Selbst in der EU wiegen Menschenrechte nicht schwer genug, um im Vergleich gegen wirtschaftlichen oder politischen Druck der USA nicht wohlfeil zu sein. Ich finde das unerträglich. Mehr lesen zu MYSTIC kann man bei Washington Post, heute.de, und Spiegel Online. Dem RBB Inforadio habe ich am 19.3.2014 ein Interview gegeben, HIER kann man es nachhören.
EU Asyl für Whistleblower wie Edward Snowden
Wahlplakat Piratenpartei EU Wahl 2014

Wahlplakat Piratenpartei EU Wahl 2014


Wo bleibt ein “europäisches Asyl” mit einem festgelegten Prozess, rechtssicher, in dem nach klaren Kriterien Whistleblowern, die Rechtsverletzungen mit Bezug auf die EU an die Öffentlichkeit bringen, vor politischer Verfolgung in ihren Herkunftsländern geschützt werden? Ein solches europäisches Asyl würde verhindern, dass Nationalstaaten einer auf den anderen zeigen und jeder einzelne zu feige ist, sich allein gegen die USA zu stellen. Das Rückgrat der EU kann viel stärker und größer sein als es das jedes einzelnen Mitgliedslandes sein könnte. Worauf wartet die EU? Wer immer noch an den Motiven von Edward Snowden zweifelt oder sich nicht klar darüber ist, was seine Aufdeckungen für uns in Europa bedeuten, dem empfehle ich, seine Antworten zu lesen, die er schriftlich den Mitgliedern des europäischen Parlamentes auf ihre Fragen schickte (pdf), da er nicht persönlich zur Anhörung im Untersuchungsausschuss kommen durfte.
Besuch bei Piraten MdEPs in Brüssel
Am 20.03.2014 werde ich im Europa-Parlament Abgeordnete der Piratenpartei Schwedens treffen und Martin Ehrenhauser, österreichischer, fraktionsfreier MdEP, der Spitzenkandidat des neuen Wahlbündnisses für die anstehende EU Wahl in Österreich ist, dem auch die dortige Piratenpartei angehört. Ich habe viele Fragen zum politischen Alltag in der EU aber auch konkret zur Arbeit der Piratenabgeordneten. Ich bin gespannt darauf, von Amelia Andersdotter zu hören, wie genau sie es (natürlich mit anderen) geschafft hat, ACTA im EU Parlament zu kippen. Ich möchte lernen, was man mit viel Motivation und Engagement schaffen kann – und wo die Grenzen sind. Ich möchte nicht zu denen gehören, die im Wahlkampf Unmögliches versprechen aber ich möchte nichts, was irgend geht, unversucht lassen. Von den Erfahrungen der bisherigen Piratenmitglieder im europäischen Parlament läßt sich sehr viel lernen. Darauf freue ich mich schon sehr!
Gründung der PPEU
Wahlplakat der Piratenpartei zur Europawahl 2014

Wahlplakat der Piratenpartei zur Europawahl 2014


Am 21.03.2014 wird in Brüssel der Gründungsprozess der Europäischen Piratenpartei PPEU formell abgeschlossen, aktuell gehören ihr 16 nationale Piratenparteien an. Das ist ein historischer Moment und ich bin jetzt schon stolz dabei zu sein! Die Piratenparteien Europas werden mit einem gemeinsamen Wahlprogramm antreten – das ist in der EU einmalig. Unser anderer Ansatz zeigt, dass wir auch anders Politik machen wollen. Wir sehen uns nicht als Vertreterinnen und Vertreter einer einzelnen Nation sondern von Bürgerinnen und Bürger in der EU. Wir vertreten gemeinsame Werte, wir stehen wir ein Demokratie Update – mit mehr Transparenz und mehr demokratischer Teilhabe für jeden, für ein offenes Europa, für freien Zugang zu Wissen, Kunst und Kultur, für ein offenes Internet, das niemanden diskriminiert, nicht zur Massenüberwachung mißbraucht wird, und keine Zensurinfrastuktur enthält. In Ergänzung  zum gemeinsamen Wahlprogramm gibt es das erweiterte Wahlprogramm der Piratenpartei in Deutschland für die Europawahl, wir haben es bei unserem Bundesparteitag im Januar verabschiedet.
Internet Governance Conference der Piraten im EU Parlement
Im Anschluss an die Gründung der PPEU findet im EU Parlament eine Internet Governance Konferenz statt, ausgerichtet von Piraten MdEP. Fast 400 Teilnehmer*innen haben sich angemeldet – es wird ein sehr internationales Treffen werden. Auf die Piraten-Konferenz zu diesem Thema bin ich sehr gespannt, eine Reihe  spannender Redner*innen sind angekündigt, u.a. unsere Spitzenkandidatin für Europa, Julia Reda, aber auch Jacob Appelbaum, Experte für Anonymität im Internet, fukami vom CCC, Marietje Schaake (MdEP aus Holland für die D66) und viele andere. Das Programm zur Konferenz findet sich HIER. Es geht dabei um viele verschiedene Aspekte von Internet Governance, die auch die überfällige Urheberrechtsreform, Fragen des Datenschutzes und die Sicherung der Netzneutralität betreffen.
Wahlplakat Piratenpartei EU Wahl 2014

Wahlplakat Piratenpartei EU Wahl 2014


Im April findet in Brasilien die internationale Tagung NetMundial statt, auf der die aktuell kaputte Internet Governance debattiert und Grundlagen für eine Restrukturierung geschaffen werden sollen. Bisher haben die USA den Finger auf den wichtigsten Infrastrukturen des Internets, z.B. DNS Root Server, über die die ICANN die Aufsicht tätigt, die wiederum dem US Handelsministerium untersteht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Das Internet ist nicht nur eine Technologie, es beeinflusst alle Aspekte der Gesellschaft, überall auf der Welt. Es ist daher nicht hinnehmbar, dass ein einzelnes Land – ohne Legitimation, ohne demokratische Kontrolle, intransparent und ohne jede Rechenschaftspflicht, die wesentliche Steuerung innehat. Es gibt viele gute Überlegungen, wie eine bessere Governance des Internets aussehen könnte, eine sehr lesenswerte hat die in Indien gegründete Just Net Coalition ausgearbeitet und als Vorschlag an die brasilianische Governance Konferenz eingereicht. Sehr lesenswert ist auch die Sammlung von Inhalten bei Knowledge Commons zum Themenfeld Internet Governance. Erst vor wenigen Tagen habe ich in der französischen Botschaft mit Senatorin Catherine Morin-Desailly über Fragen der Internet Governance debattiert. Wie war sehr interessiert an den Ideen und Visionen, die ich ihr als Vertreterin der Piratenpartei und mit Hintergrund in der Zivilgesellschaft erzählen konnte. Auch auf allen formellen Ebenen ist jedoch nicht nur ein Austausch an Ideen sondern ein echtes MItspracherecht für Vertreter*innen der Zivilgesellschaft erforderlich, aus allen Regionen der Welt.
Ich werde vor lauter Wahlkampf wohl nicht allzu viele Blogposts schaffen – ich gebe mir Mühe, aber der Tag hat nur 24 Stunden und das Netz in der Bahn, wo ich in den nächsten Wochen viel Zeit verbringen werde, ist schlecht… Aktuelles erfährt man aber auch über mein Twitteraccount @anked.

Wahlkämpferin braucht Unterstützung :-)

„Natürlich könnten wir Ihnen für diesen Auftrag in $GanzWeitWeg ein Honorar bezahlen, das machen wir sonst auch immer. Aber nun sind sie Kandidatin für eine Partei bei einer anstehenden Wahl und da müssen wir neutral bleiben, können Ihnen also leider kein Honorar für Ihre Leistung bezahlen. Wir hoffen, Sie kommen trotzdem, wir laden Sie auch zum Abendessen ein.“ – so und so ähnlich habe ich jetzt schon ein paar Mal Einnahmen verloren aber den Aufwand behalten, denn auf solche Einladungen zu Podiumsdiskussionen oder Vorträgen mit hoher Sichtbarkeit kann man gerade im Wahlkampf auch schlecht verzichten, wenn man für eine Partei kandidiert, die wenig Öffentlichkeitsleistung kaufen kann, weil sie das Geld dafür nunmal nicht hat.
Dazu kommen viele Wahlkampftermine im ganzen Bundesgebiet, die nicht nur Zeit fressen, was für eine Selbständige auch Einnahmeausfälle bedeutet, sondern die auch schlicht Geld kosten, das irgendwo her kommen muss, z.B. um Fahrtkosten zu bezahlen. Die Piratenpartei hat ein mickriges Budget für Reisekosten im Wahlkampf und ich würde mich riesig freuen, wenn von all den vielen Fans, die ich da draußen zu haben scheine, sich ein paar dazu durchringen könnten, meinen Wahlkampf auch direkt zu unterstützen. Schon jetzt sind Termine in den folgenden Orten geplant, weitere kommen eigentlich ständig hinzu (in meiner Terminübersicht werde ich sie alle nach und nach veröffentlichen, sofern Ort und Zeitpunkt feststehen):

  • Koblenz
  • Frankfurt am Main
  • Mannheim
  • Heidelberg
  • Karlsruhe
  • Lörrach
  • Freiburg
  • Konstanz
  • Stuttgart
  • Schwäbisch-Gmünd
  • München
  • Griesheim
  • Dresden
  • Halle
  • Köln
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Deshalb hier ganz direkt die Frage:

Wollt Ihr, dass ich für die Piratenpartei in das EU Parlament einziehe, um die Werte, für die ich stehe, auch dort zu vertreten?
Wollt Ihr, dass ich einen guten Wahlkampf dafür machen kann?
Findet Ihr mein Engagement unterstützenswert und wollt, dass ich das noch eine Weile machen kann?

Wenn Ihr bei einer der Fragen innerlich mit Ja geantwortet habt, dann überlegt doch mal, ob Ihr nicht etwas spenden könnt. Wie und wofür steht auf meiner Spendenseite.
Es ist übrigens ziemlich unangenehm, solche Blogposts zu schreiben. Nein, betteln macht keinen Spaß. Aber ich bin jetzt einfach mal pragmatisch – ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die mich gerne unterstützen möchten und ich weiß, dass Hilfe eher kommt, wenn man darum bittet.

Warum ich für das Europaparlament (doch) kandidiere

Oft wurde ich in den letzten 6 Monaten gefragt, ob ich für die Wahlen zum Europaparlament im Mai 2014 kandidieren werde. Immer habe ich mit „nein“ geantwortet. Heute antworte ich mit „ja“ und beides möchte ich erklären.
Im letzten Jahr war ich Kandidatin für die Bundestageswahl in Deutschland, als Listenkandidatin auf Platz 2 und Direktkandidatin in meinem Wohn-Wahlkreis Oberhavel. Mitten in der heißesten Phase wurde auch der Landesvorstand in Brandenburg neu gewählt und ich damit zur Landesvorsitzenden. Im gleichen Sommer verließ Edward Snowden die USA in Richtung Hong Kong, im Gepäck des Whistleblowers Zeugnisse für den unfaßbarsten Überwachungsskandal der Welt. Mein fachlicher Schwerpunkt ist der „Gläserne Staat“ – offene, transparente Politik und mehr Möglichkeiten der Mitsprache und Mitentscheidung für Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sommer habe ich jedoch vor allem mit dem durch Snowden in die Schlagzeilen gebrachten Phänomen des „Gläsernen Bürgers“ zu tun gehabt, in unzähligen Interviews, Artikeln, Reden auf Demonstrationen, in Talkshows, in- und ausländischen Medien dazu Position bezogen. Nebenbei habe ich ein Buch geschrieben, in dem es ebenfalls um die Gefahren durch Überwachung geht, die eine Folge des grundsätzlichen Mißtrauens des Staates gegenüber seinen Bürgern ist. Wir alle sind pauschal potenzielle Verbrecher, deren Grundrechte daher eingeschränkt werden in beispielloser Weise. Gleichzeitig herrscht jedoch ein generelles Mißtrauen von Bürgern gegenüber ihrem Staat, geschürt durch den intransparenten Staat und die Macht des Industrie-Lobbyismus. Das ist eine der Verbindungen zwischen gläsernem Staat und gläsernem Bürger. In meinem Buch schreibe ich auch über meine Erfahrungen in der Opposition der DDR, darüber wie es sich fühlt, wieder überwacht zu werden – diesmal durch einen Staat, der sich Demokratie nennt, aber vielleicht bald keine mehr ist. Diese Erfahrungen halte ich für sehr wertvoll, denn ich habe in der DDR lernen müssen, wie auch „unschuldige“ Informationen gegen einen verwendet werden können, wie Menschen dadurch manipulierbar und erpressbar werden. Ich habe aber auch noch eine Lektion gelernt im Wendejahr 1989: die Möglichkeit, Gesellschaft so zu verändern, wie man sie lieber hätte und die Erkenntnis, dass man dafür kämpfen muss und das ganzen Einsatz fordert. Mich hat das Buchschreiben in diesem wilden Sommer 2013 parallel zum Bundestagswahlkampf sehr beansprucht, zeitlich, intellektuell und emotional. Ich war danach platt.
Kurz – die letzten 12 Monate waren enorm arbeitsreich (wer möchte, kann ja auch mal in meine Rubrik „Termine“ oder mein Logbuch im Piratenwiki schauen, was ich so getrieben habe) und so überwog in den letzten Monaten der Wunsch nach mehr Ruhe, mehr Familienzeit, weniger Politik. Ich wollte einfach ein paar Gänge rausnehmen. Ich liebe meine Familie, meinen Garten und mein Sohn geht auf die 14 zu – kein einfaches Alter. Die Vorstellung, ein halbes Jahr nach dem kräftezehrenden Bundestagswahlkampf schon wieder mitten im Wahlkampf zu stehen und wenn es klappt, meine Familie für 5 Jahre kaum noch zu sehen, war einfach nicht sehr verlockend. Das ist der Grund für mein wiederholtes Nein auf die Frage nach einer Kandidatur.
In den letzten Wochen wurde jedoch eine Bundesregierung konstituiert, von der NICHTS zu erwarten ist, außer noch mehr Überwachung. Diese eiskalte Ignoranz des Bürgerwillens, diese Scheinheiligkeit ist wirklich schwer zu ertragen. Das Argument für die Vorratsdatenspeicherung: „wir müssen ja EU Richtlinien umsetzen“. Ja, es stimmt. Politik wird in Europa gemacht und Deutschland spielt dabei oft eine negative Rolle. Die Stärke, die unser Land dort haben könnte, wird zum Nachteil genutzt. Wie wir in Europa durch unsere Regierung vertreten werden, mißfällt mir zutiefst. In diese Frustration über die GroKo hinein kamen immer häufiger werdende Fragen, von Menschen, die mir wichtig sind, aber auch von mir völlig fremden, offline und online und immer war der Tenor gleich: bitte mach das mit der Kandidatur für Europa, wir wollen das und genau jetzt ist Engagement besonders wichtig. Über die Feiertage konnte ich mich erholen und unsere Familie hat noch ein paar mal hin- und her überlegt. Es standen sich gegenüber: der gemeinsame Wunsch nach mehr Familienzeit und die gemeinsame Überzeugung, jetzt in einem Möglichkeitsfenster von Politik zu leben, das sich vielleicht bald schließt und als Einzelperson hier einen Unterschied machen zu können und dann doch eigentlich auch machen zu müssen – will man sich vor Verantwortung nicht drücken. Wir haben uns am Ende zugunsten der Politik entschieden – meinem Mann und seiner uneingeschränkten Unterstützung ist zu danken, dass wir jetzt für ein paar Jahre die Prioritäten gemeinsam verschieben würden – wenn es so gewünscht wird auf dem Bundesparteitag.
Was möchte ich tun in Europa?
Meine Schwerpunkte in Europa sind inhaltlich ähnlich den bisherigen – die Themen sind ja auch nicht neu:

  • Gläserner Staat in Europa: mehr Transparenz! Nie wieder Verträge wie seinerzeit ACTA und heute TTIP hinter verschlossenen Türen verhandeln mit Entwürfen, die von Lobbyisten diktiert werden und die außer Industrievertretern niemand außerhalb der Politik sehen kann – obwohl solche Vertragswerke direkt in demokratische Rechte eingreifen und direkt 500 Millionen Europäerinnen und Europäer – aber auch den Rest der Weltbevölkerung beeinflussen – überwiegend zum Nachteil der Menschen und zum Vorteil der Großindustrie. Auch Subventionen gehören ans Tageslicht – alle – auf Euro und Cent. Wer Geld von der EU möchte, der darf diese Transparenz nicht scheuen.
  • Demokratie Upgrade für Europa: mehr direkte Demokratie durch Bürgerentscheide, und endlich eine Legislative, die den Begriff auch repräsentiert und nicht nur abstimmen darf sondern auch Gesetzesvorlagen selbst einbringen (Richtig, das darf das EU Parlament bisher nicht!); mehr Einbeziehung der Zivilgesellschaft in meinungsbildende Prozesse.
  • Energiewende 2.0 europaweit: Förderung und Beschleunigung der Energiewende, konsequenter Fokus auf erneuerbare Energien, Stärkung regionaler, dezentraler Energieerzeugung, von Energiespeichern, von lokalen Netzen. Mir schwebt ein Energienetz vor, dass der Struktur des Internets entspricht, damit ausfallsicherer und versorgungssicherer ist mit Energie, die vor allem dort erzeugt wird, wo man sie auch verbraucht.
  • Europäisches BGE: Vollbeschäftigung ist für die EU als Ganzes noch aussichtsloser als für Deutschland. Menschen brauchen eine Perspektive, auch in Ländern, in denen 50% junger Erwachsener erwerbslos sind. Wir müssen neu denken und größer denken und uns von alten Schablonen befreien. Ein BGE schafft sich nicht von heute auf morgen aber ich möchte daran arbeiten, dass diese Idee ernsthaft weiterentwickelt wird, solange es keine Alternative dazu gibt, Menschen ihre Würde auch in Zeiten der Unverfügbarkeit ausreichend bezahlter Erwerbstätigkeit zu erhalten. „Das geht doch nicht“ ist mir als Antwort zu einfach. Ich wüßte das gern genauer.
  • Offenes Europa: Ich wuchs in einem Land auf, in dem Menschen an der Grenze starben, weil sie das Land verlassen wollten. Jetzt lebe ich als Europäerin in einer Region, an deren Grenzen noch viel mehr Menschen sterben, weil sie in unsere Region immigrieren wollen. Eine der reichsten Regionen der Welt läßt Menschen wie Ratten ersaufen, um sie draußen zu lassen und investiert Millliarden in immer mehr Abschottung und immer „todsicherere“ Grenzen, dabei könnte man mit diesem Geld soviel sinnvolleres tun – zum Beispiel für die Integration von Einwanderern, ohne die wir in Zeiten demographischen Wandels ohnehin nicht mehr auskommen. Ich will für ein offenes Europa kämpfen und für eine Ende des Sterbens im Mittelmeer. Ein eingemauertes Europa ist nicht vereinbar mit meiner Vorstellung von Demokratie und Freiheit.
  • Grundrechteschutz: Die EU Menschenrechtscharta ist eine gute Grundlage. Sie muß jedoch auch berücksichtigt werden und in der Realpolitik Anwendung finden. Die Vorratsdatenspeicherung steht dazu im Widerspruch. Sie gehört endlich in die Mottenkiste – damit der Bundesregierung die letzte Ausrede wegfällt. Unter Grundrechteschutz verstehe ich aber auch massive Maßnahmen gegen EU Mitgliedsländer, die wie Großbritannien andere Mitgliedsländer millionenfach bespitzeln. Bisher sehe ich nichts dergleichen. Was ich sehe, sind anstandslose Lieferungen der persönlichen Daten von EU Bürgern an ausländische Geheimdienste, ohne effektive Kontrolle, was mit diesen Daten passiert und wer sie überhaupt und wofür und wie lange verwendet. Ich möchte ein Verbot der massenhaften Datenlieferung an ausländische Geheimdienste. Gezielte Ermittlungen bei konkreten Verdachtsmomenten darf es gern weiter geben – aber keine Massenüberwachungsbeifhilfe.
  • Whistleblowerschutz auf EU Ebene: Mehrere EU Mitgliedsländer haben dem Flugzeug des bolivianischen Präsidenten keine Überfluggenehmigung erteilt und es damit zur außerordentlichen Landung in Wien gezwungen – weil die USA das so wollten und weil diese vermuteten, Edward Snowden könnte darin sitzen. Ich schäme mich noch heute für dieses lakaienhafte Verhalten der EU. Ich möchte, dass die EU wieder souveräner wird und vor allem möchte ich, dass es einen Rechtsschutz für Whistleblower auf EU Ebene gibt mit der Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Europa verdankt Edward Snowden eine große Chance – die Chance, eine Entwicklung hin zu einem digitalen Totalitarismus zu verhindern. Wir haben die Verantwortung und die Pflicht, ihn dafür anzuerkennen und zu schützen. Dafür will ich kämpfen.

Ihr seht, es ist einfach viel zu viel zu tun und viel zu viel davon so wichtig, dass ich mich der Verantwortung stellen möchte – zumindest der Wahl zur Kandidatin. Mögen die Piraten auf dem Bundesparteitag in Bochum morgen und übermorgen dann entscheiden, ob sie mich aufstellen wollen oder nicht. Ich möchte meinem Kind später gegenüber treten und sagen können: Ich habe mich nicht aus Bequemlichkeit gedrückt vor der Verantwortung, ich habe es zumindest versucht. Meine Aufgaben als Landesvorsitzende würde ich bis zu den Neuwahlen noch wahrnehmen. Diese werden etwa zeitgleich mit dem Beginn der Sitzungsperiode des EU Parlaments stattfinden. Für die Brandenburger Kommunalwahlen (ebenfalls im Mai 2014) und die Landtagswahlen (Sept. 2014) hoffe ich durch eine EU Kandidatur Rückenwind zu erzeugen.
Was bringe ich mit?

  • fachliche Expertise vor allem in den Kernthemen Gläserner Staat (Open Government) und Datenschutz (der nicht-gläserne Bürger)
  • 20 Jahre Berufserfahrung – als Angestellte, Führungskraft (darunter auch mit Einblick in die Funktionsweise von Lobbyismus bei internationalen Großunternehmen), als Selbständige
  • 10+ Jahre Erfahrung in Ehrenämtern (u.a. Gründerin und Vorstand des Government 2.0 Netzwerkes e.V.)
  • Parlamentserfahrung: als Expertin an Anhörungen von Ausschüssen des Bundestages beteiligt, diverse Vorträge und Workshops bei Landesparlamenten, Rede im österreichischen Parlament, als Expertin in 2012 Beteiligung an H2020 Workshop der EU zu Open Government
  • Wahlkampferprobte Kandidatin BTW13
  • sehr gute Vernetzung in der Piratenpartei (Funktionen aktuell: Open Government Themenbeauftragte, Landesvorsitzende BB)
  • kampagnentauglich 🙂 (ich stehe auf kreativen Wahlkampf mit ungewöhnlichen und bildstarken Aktionen)
  • sehr gute englische, französische, spanische Sprachkenntnisse (mein russisch ist recht eingerostet)
  • kommunikationsstarker Faktenjunkie, kann schnell viel lernen
  • umfangreiche Medienerfahrung, Radio, TV, print, online, auch ausländische Medien, auch live und in Fremdsprache
  • nicht angstfrei aber unerschrocken – egal, wer gerade vor mir steht
  • Kampfgeist, hohe Motivation, starkes Rückgrat – ich verrate meine Werte nicht
  • eine Familie, die hinter mir steht – als Entlastung, intellektuelle und emotionale Stütze

Heute abend fahre ich nach Bochum. Den Rest überlasse ich der Basis. Es tut mir leid, dass meine Bewerbung jetzt so knapp kommt. Das war nicht geplant. Wie es dazu kam, habe ich hoffentlich nachvollziehbar erklären können.
PS: Norbert Hense, Kattascha und Julia Reda (@senficon) hatten einen überdurchschnittlichen Anteil an meiner Entscheidung. Beschwert Euch dort 😉