Mein Versprechen bei wepromise.eu – Digitale Rechte möchte ich im Europa-Parlament verteidigen!

Die Initiative wepromise hat einen 10 Punkte Forderungskatalog für digitale Rechte (siehe unten) aufgestellt und Kandidat*innen für die Wahl zum Europa-Parlament aufgefordert, sich zur Umsetzung dieser Forderungen zu verpflichten. Das habe ich bei meinem Besuch in Brüssel im Europa-Parlament getan (siehe hier meine Berichte Teil 1, Teil 2 und Teil 3 zu dieser Reise).
In einem 2 Min Videostatement, zu dem es auch englische und französische Untertitel gibt, habe ich erklärt,

  • warum ich mich dazu verpflichte,
  • wofür ich mich in Brüssel besonders einsetzen würde und
  • warum es wichtig ist, wählen zu gehen.

HIER oder bei Klick auf das Bild könnt Ihr das Video auf YouTube sehen:
YT - Selbstverpflichtung zu Wepromise
Die 10 Forderungen von wepromise sind die folgenden (Details gibts bei Klick auf die einzelnen Forderungen):

  1. Ich werde mich für Transparenz, Zugang zu Dokumenten und Bürgerbeteiligung einsetzen.

  2. Ich werde Gesetze zur Stärkung von Datenschutz und Privatsphäre unterstützen.

  3. Ich werde mich für uneingeschränkten Zugang zum Internet und Internetdiensten einsetzen.

  4. Ich werde die Modernisierung des Urheberrechts unterstützen.

  5. Ich setze mich gegen flächendeckende, unkontrollierte Überwachungsmaßnahmen ein.

  6. Ich werde Anonymität und Verschlüsselung im Internet unterstützen.

  7. Ich werde Maßnahmen zur privatisierten Rechtsdurchsetzung außerhalb der Rechtsstaatlichkeit ablehnen.

  8. Ich werde mich für Exportkontrollen von Zensur- und Überwachungstechnologien  einsetzen.

  9. Ich werde mich für das Multistakeholder- und Mitbestimmungsprinzip einsetzen.

  10. Ich werde die Nutzung von Freier Software unterstützen (Open Source Software).

Auch Wählerinnen und Wähler bittet wepromise.eu, eine Verpflichtung abzugeben, nämlich, dass sie ihre Stimmabgabe bei den Wahlen zum Europa-Parlament an die Abgabe der Selbstverpflichtung durch wählbare Kandidat*innen binden werden.
 

Quer durch die Republik: Open Government, Guerillastricken, Debatten, Lesung – so bunt ist Wahlkampf

Man kommt ganz schön herum, so beim Wahlkämpfen, die Bahncard macht es leicht(er). Die letzten Tage führten mich nach Bielefeld und Kassel, nach Berlin und Brandenburg, nach Regensburg und Nürnberg.

42 - die Antwort auf alle Fragen... (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)

42 – die Antwort auf alle Fragen… (vor der Open Government Veranstaltung im historischen Saal der Alten Spinnerei in Bielefeld)


In Bielefeld war ich am 09.04.2014. Im historischen Saal der Alten Spinnerei habe ich einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Veranstaltung war gut besucht, die anschließende Debatte war lebendig. Ringsherum hatten die Lokalpiraten Wahlplakate aufgehängt, die ich z.T. noch nie gesehen hatte. Auf dem lustigsten stand einfach nur „42“. Die Bielefelder Piraten haben dazu was gebloggt, im Text verlinkt ist eine Videoaufzeichnung von Vortrag und Debatte, Bilder gibts dort auch.
ADB-Bielefeld-klein

Guerillastricken am „Siggi“ in Bielefeld


 
In Bielefeld wurde die Idee geboren, an „meinen“ Wahlkampforten überall orangenes Guerillastricken zu hinterlassen – als kleine Markierung, Geschenk mit Verschönerungswirkung an den Ort und seine Einwohner*innen, als originelles und unaufdringliches Wahlplakat. Am nächsten Tag wollte ich nach Kassel, zur Whistleblowerpreisverleihung, bei der das „Kasseler Nebelhorn“ zum ersten Mal verliehen wurde. Aber das war erst am Nachmittag, ich hatte den Vormittag in Bielefeld noch Zeit. Perfekte Gelegenheit, zum Stadt bestricken. In der Bahn und am Abend hatte ich vorgestrickt und dann gings los. Erst waren wir am „Siggi“,  ich glaube richtig heißt er Siegfriedsplatz, wo wir vor einem Gemeindezentrum ein Geländer geflauscht haben.
Ja - sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!

Ja – sieht gut aus, der Piratenbutton sitzt perfekt!


Danach wurde ein Hundetütenspender in der Innenstadt in einer Einkaufsstrasse verschönt. Zum Schluss kam immer ein kleiner Piratenparteibutton dran, schließlich ist das eine Art Wahlplakat :-).
Übergabe "Kasseler Nebelhorn" an Whistleblowerin Cornelia Harig

Übergabe „Kasseler Nebelhorn“ an Whistleblowerin Cornelia Harig


Die nächste Station war Kassel, wo einer ehemaligen städtischen Angestellten, Cornelia Harig, das erste Kasseler Nebelhorn, ein Preis für Whistleblower und Zivilcourage, verliehen wurde. Mein Mann Daniel sprach eine Laudatio, eine Musikerteam begleitete die Zeremonie auf der großen Treppe des Kasseler Rathauses mit schöner Musik, und dort – neben der Musik – habe ich am Geländer der Rathaustreppe auch ein klitzebißchen was gestrickt. Mein orangener Fußabdruck, sozusagen. Untenstehend ist ein Video von der Preisverleihung verlinkt (Klick auf das Bild oder HIER), auf dem man mein kleines Strickstück auch bewundern kann :-).

YouTube Video zur Preisverleihung des Kasseler Nebelhorns an Cornelia Harig


Nur einen Tag darauf – am 11.04.2014 – hatte ich gleich zwei Termine, beide liefen gänzlich ohne Stricken ab. Immerhin mußte ich nicht weit reisen. Die European Initiative hatte in der Stadt Brandenburg zu einer Kandidatendebatte geladen, die erst recht normal verlief aber bei Öffnung für das Auditorium schon – sagen wir überdurchschnittlich – lebendig wurde, vor allem immer dann, wenn der anwesende Henryk M. Broder ins Wüten kam.
v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)

v.l.n.r.: Susanne Melior (SPD), Alfred Eichhorn (Moderator), Anke Domscheit-Berg (Piraten), Christiane Gaethgens (FDP), Michael Cramer (Grüne), Helmut Scholz (Linke)


Kaum eine Zahl, die ein Kandidat erwähnte, die nicht von ihm lautstark korrigiert wurde, natürlich nicht ohne den Vorwurf, dass man als MdEP doch diese Zahlen alle ganz genau wissen müßte. Das EU Parlament ist für ihn sowieso nur eine „Schmierenkomödie“, er wetterte und fuchtelte mit den Armen, prangerte mal dies und mal jenes an. Leider fiel ihm keine einzige konstruktive Idee ein, so war das zwar reichlich unterhaltsam aber eben doch sinnlos. Gerade in Brandenburg, wo die Wahlbeteiligung bei den letzten Europa-Wahlen bei erschütternden 23 Prozent lag, ist ein Lamento darüber, wie blöd die EU und wie albern seine Institutionen sind, doch eher wenig hilfreich. Denn selbst wenn man an der Art und Weise, wie in der EU Politik gemacht wird, etwas ändern möchte (und das habe ich ja zum Beispiel vor), kann man das vor allem von innen heraus tun – oder von außen, in dem man wählen geht und anders wählt als bisher. Wer sich die Argumente eines H.M.Broder zu eigen macht, dürfte jedenfalls wenig Verlockungen spüren, am 25.5. auch wählen zu gehen. Damit schaden solche einseitigen Tiraden der Demokratie, weil sie demokratische Beteiligung verringern. Die übrige Debatte war in jedem Fall spannend. Eine Rolle spielte dabei TTIP, das transatlantische Handelsabkommen aber auch die Asyl- und Migrationspolitik der EU, die Bürger vor Ort als genauso unmenschlich empfanden wie ich. Der RBB berichtete, leider ist deren Beitrag wie üblich schon nach wenigen Tagen aus der Mediathek verschwunden. Einen Artikel in der Märkischen Allgemeine Zeitung gab es auch, darin steht dieses schöne Zitat:

Anke Domscheit-Berg (Piraten), bekommt mit ihrer Kritik am Transatlantischen Freihandelsabkommen(TTIP), das sie als Hinterzimmerpolitik bezeichnet und ihrer patriotischen Rede über ihren Glauben ans Mauerneinreißen und Weltverändern den ersten spontanen Beifall von den bis dahin still lauschenden Gästen.

Von Brandenburg ging es auf schnellstem Wege nach Berlin, wo ich beim Tazsalon u.a. mit Marina Weisband, Julia Reda (unsere Spitzenkandidatin), der Kunst-und Performancegruppe Bitnik aus der Schweiz, dem politischen Aktionserfinder @Jeangleur, Markus Beckedahl von Netzpolitik, Anne Roth, Jan Josef Liefers (der Pathologe vom Münster-Tatort 🙂 ) rund um das Überwachungsthema debattierte, bei Käse, leckerem Brot und Rotwein.

Der Käsetisch - nach dem Essen...vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens

Der Käsetisch – nach dem Essen…vor dem Aufbruch, irgendwann so gegen 2 Uhr morgens


Das Konzept des Tazsalon ging auf, jeder Gast bringt einen Käse mit. Brot und den ganzen Rest stellt Martin Kaul, taz Journalist und Gastgeber. Man sitzt in der Küche seiner WG, die auf diese Weise zu einer Art „Hinterzimmer“ wurde. Passend zum Thema wurde nicht nur entschieden, Vertrauliches in diesem Raum zu lassen sondern sicherheitshaltber auch alle Smartphones in den Kühlschrank einzusperren. Die Mischung der Gäste und das entspannte Setting sind schon fast ein Garant für sehr spannende Diskussionen. Diesmal vor allem zur Frage, ob wir mehr digitalen Widerstand brauchen, welche Arten zivilen Ungehorsams vielleicht zielführender wären, als die x-te Demonstration gegen die NSA und inländische Massenüberwachung. Es ging um digitale Anarchie, die Legitimation und Notwendigkeit vielfältiger Widerstandsformen. Ideen wurden getauscht und geboren, wie man dem Thema mehr Aufmerksamkeit in der Breite und mehr Gewicht in der politischen Landschaft verschaffen kann. Wie zur Hölle man mehr Menschen vermitteln kann, dass diese Art digitaler Überwachung das Ende von Meinungsfreiheit und Freiheit im Großen und Ganzen in der digitalen Gesellschaft (also unserer Gesellschaft) bedeutet und mithin das Ende der Demokratie einläuten kann. Dabei gab es jede Menge Inspirationen, aber natürlich gelten die Regeln des Abends 🙂 deshalb steht hier jetzt nicht mehr dazu. Dass der Abend eine halbe Nacht wurde, war jedenfalls kein Zufall. Es war spannend verbrachte Zeit.
Am nächsten Tag moderierte unser Gastgeber des Abends, Martin Kaul, gleich drei Panels zum digitalen Widerstand beim tazlab, dem Jahreskongress der Tageszeitung im Haus der Kulturen der Welt. Fast alle Gäste des Abends waren auch Debattengäste auf dem tazlab. „Mein“ Panel drehte sich um die Möglichkeiten und die Pflicht zur (Selbst-) Verteidigung gegen Überwachung. Im Tazblog und im Hauptstadtblog konnte man darüber lesen.
kurz vor der Lesung aus "Mauern einreißen" in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski

kurz vor der Lesung aus „Mauern einreißen“ in der Regensburger Buchhandlung Dombrowski


Meine nächsten Stationen lagen im tiefsten Süden. Am 14.04.2014 fuhr ich nach Regensburg, wo ich am Abend auf Einladung der Piratenpartei-Stadträtin Tina Lorenz aus „Mauern einreißen“ vorlas. Es waren zwar nicht sehr viele Gäste da, aber die waren alle so bei der Sache, dass wir nach einer Stunde Lesung und Anderthalb Stunden angeregter Debatte doch abbrechen mußten, da der Buchhändler verständlicherweise auch mal Feierabend machen wollte. Wie bei jeder Lesung habe ich viele spannende Geschichten von meinen Gästen gehört. Eine der Debattantinnen war in der DDR Lehrerin, u.a. für Geschichte. Sie erzählte, wie durcheinander es an den Schulen zuging in der Wendezeit, als viele Lehrer nicht mehr wußten, welchen Stoff sie vermitteln sollen und auf welche Weise. Das war natürlich bei ideologisch geprägten Fächern besonders der Fall, dazu gehörte auch Geschichte. Ich hatte erst kurz zuvor mit großer Begeisterung das Buch „Eisenkinder“ von Sabine Rennefanz gelesen, die zur Wendezeit als Schülerin eine Erweiterte Oberschule in Eisenhüttenstadt besuchte, und in deren Buch das Durcheinander an den Schulen aus Schülersicht lebendig beschrieben ist. (Ein Buchauszug der „Eisenkinder“ findet sich in der ZEIT.)
Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten - beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg

Der letzte Befestigungsfaden wird abgeschnitten – beim Guerillastricken am Alten Rathaus in Regensburg


Der nächste Vormittag stand wieder im Zeichen des Guerillastrickens. Mit Tina Lorenz schaute ich mir die wunderschöne Altstadt von Regensburg an (Weltkulturerbe!) und an zwei Orten haben wir flauschige Marken hinterlassen.
Zuerst waren wir am Alten Rathaus, wo ich ein Geländer ummantelt habe – sorgfältig an den senkrechten Streben oben und unten befestigt, damit die Wolle nicht rutscht, wenn jemand sich daran festhält. Das Ambiente war einfach wunderschön. Die Treppe wirkt sehr majestätisch, das Portal rund um die uralte Tür natürlich erst recht. Man fühlt sich etwas klein auf dieser Treppe, aber in ehrwürdiger Umgebung.
Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg

Auf der Treppe des Alten Rathaus in Regensburg


Vom Alten Rathaus zogen wir zum Haidplatz, ebenfalls in der Altstadt gelegen, wo ein Halteverbotsschild eine Hülle aus schöner, bunter Wolle erhielt – und natürlich den obligatorischen Piratenbutton, denn es soll ja ein flauschiges Wahlplakat sein.
Haidplatz in Regensburg - verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014

Haidplatz in Regensburg – verschönt mit Guerillastricken am 15.4.2014


Lokale Medien berichteten über diese Aktion, so z.B. die Mittelbayerische Zeitung mit der Überschrift „Mehr Farbe mit den Piraten“. Der Artikel zeigt, wie man durch kreative und unkonventionelle Ideen Aufmerksamkeit auch für politische Themen erzeugen kann.
Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014

Ausschnitt Nürnberger Zeitung 15.04.2014


Von Regensburg ging es dann mittags nach Nürnberg, wo ich mich zuerst mit einer Autorin traf, die gerade ein Buch über die Wende schreibt. Ich erzählte Ihr meine Erlebnisse und sie mir ihre. Wenn im Herbst ihr Buch erscheint, werde ich hier im Blog rechtzeitig darauf hinweisen. In der Wolleabteilung eines Kaufhauses trafen mich dann die ortsansässigen Piraten beim Kaufen von Nachschub für das Guerillastricken.
Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg

Guerillastricken an der Nonnengasse in Nürnberg


Aber bevor Nürnberg geflauscht wurde, hatte ich noch einen Pressetermin bei der Nürnberger Zeitung. Der Artikel bezog sich vor allem auf meinen Vortrag am Abend zum Thema Open Government und wies freundlicherweise darauf hin, dass durch den Wegfall der Dreiprozenthürde keine Wählerstimmen mehr verloren gehen. Bei der Bundestagswahl betraf das immerhin 16% aller gültigen Stimmen, die wegen der Fünfprozenthürde faktisch verloren waren.
Ein „wolliges Wahlplakat“ haben wir dann an einem Halteverbotsschild an der Nonnengasse angebracht – an einem Platz mit Blick auf eine schöne Kirche, deren Namen ich dort leider nicht erfragt habe. Auch hier fehlt der Piratenbutton natürlich nicht, ohne den es sich ja kaum um ein Wahlplakat handeln würde ;-).
unser "wolliges Wahlplakat" der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse

unser „wolliges Wahlplakat“ der Piratenpartei für die EU Wahlen in Nürnberg, Nonnengasse


Es war lausekalt an diesen Tagen, selbst beim kurzen Annähen der Stricksachen froren einem schier die Finger ab. Da war es nicht unangenehm, mal wieder drinnen zu sein. Im „Archiv“, einem linken Buch- und Dokumentenarchiv in einem Arbeiterstadtviertel Nürnbergs, habe ich am Abend in einem maximal vollbesetzten Raum einen Vortrag zu Open Government gehalten. Die Jungen Piraten hatten das maßgeblich organisiert, und das auch noch kurzfristig. Sie haben einen großartigen Job gemacht! Auch nach diesem Vortrag gab es eine längere Debatte mit dem Publikum.
StrickutensilienDanach war ich platt wie eine Flunder. Ein Bier mit den Lokalpiraten in einem irischen Pub mußte trotzdem noch sein, aber alt wurde ich dabei nicht und war froh, irgendwann in das Gästebett eines Piraten zu fallen. Bei der Heimfahrt am nächsten Tag habe ich wieder fleißig gestrickt, denn mein Ehrgeiz ist geweckt: ich möchte, wie in Bielefeld beschlossen, an jedem Ort, an dem ich Wahlkampf mache, etwas mit Guerillastricken verschönern. Mal sehen, ob mir das gelingt. Seit Bielefeld habe ich es nur in Brandenburg nicht geschafft. Okay, Berlin auch nicht gleich – aber das habe ich ein paar Tage später nachgeholt. Beim Text zum Zombiewalk kann man im demnächst mehr dazu lesen.

Flutopfer sollen steuerfinanzierte Hochwasserkarten von Behörden kaufen? Danke, Frau Merkel!

In einer Pressemitteilung der Piratenpartei habe ich die Freigabe von Geodaten gefordert, die eine bessere Hilfe und Selbsthilfe im Hochwasserfall ermöglichen. Aus anderen Ländern gibt es Beispiele von Karten, in denen farbliche Schattierungen die konkrete Überflutungsgefahr für jeden beliebigen Ortspunkt (also z.B. das eigene Haus, ein Museum, die Strasse, das Krankenhaus, der Bahnhof…) feststellbar machen, zum Beispiel aus den USA, als Hurricane Sandy große Überschwemmungen verursachte. Um solche Karten zu erstellen, benötigt man offene Pegeldaten, die frei verwendbar sind und eine sehr genaue Höhenkarte, denn natürlich hängt es von der konkreten Höhe einer Stelle ab, ob und wie hoch sie im Ernstfall überschwemmt wird. Diese Daten befinden sich im Besitz des Staates. Sie sind nicht frei verfügbar, Überflutungs(prognose-)karten sind daher ebenfalls nicht frei verfügbar. Dabei hätten sie vielfachen Nutzen.
In dieser Pressemitteilung schreibe ich unter anderem:

So können nicht nur Schäden verringert werden, weil mehr Bürgerinnen und Bürger früher von der eigenen Gefahrensituation erfahren. Auch Leben und Gesundheit können besser geschützt werden, weil Gefährdete sich zeitig in Sicherheit bringen können. Helfer vor Ort können mit zielgenaueren Informationen die Lage und den Hilfebedarf in betroffenen Gebieten besser einschätzen. Hotlines wären entlastet, Betroffene und ihre Angehörigen hätten weniger Ungewissheit.

Offene Pegeldaten gibt es in Deutschland aber leider nur für Bundeswasserstrassen und für die Wasserstrassen im Land Niedersachsen. Alle anderen Länder – auch Bayern, Sachsen Anhalt und Brandenburg – haben diese Daten nicht in maschinenlesbarer Form mit einer offenenen Lizenz freigegeben. Nicht einmal die aktuellen Überflutungskarten stehen in hoher Auflösung frei für die Bevölkerung zur Verfügung.
Selbst Flutopfer sollen für die Kartendaten zahlen!
Ein Betroffener aus Sachsen Anhalt hatte bei der zuständigen Behörde diese Karten für seine Region angefordert. Er selbst hat dazu einen Blogpost geschrieben. Die Antwort kam von der übergeordneten Behörde aus dem Bundesinnenministerium. Darin stand nach einem Hinweis darauf, dass ja Karten in niedrigerer Auflösung frei verfügbar wären, folgendes (Hervorhebungen von mir):

Sofern Sie darüber hinausgehend einen Bedarf an einem ZKI-Produkt in einer höheren Auflösung, wie sie z.B. den Einsatz- und Krisenstäbe oder Hilfsorganisationen vor Ort bereitgestellt werden, begründen können, weise ich vorsorglich darauf hin, dass das BMI nach § 63 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) dazu verpflichtet ist,  Vermögensgegenstände nur zu ihrem vollen Wert zu veräußern. Dazu gehören auch die Dateien (Karten). Wir gehen dabei von einem Wert pro Kartenprodukt von ca. 800 Euro aus.
Ich finde an dieser Antwort zwei Aspekte haarsträubend:
  1. Warum muss ein Flutopfer (oder jeder x-beliebige Interessierte) begründen, wozu diese Karten benötigt werden („wenn Sie…Bedarf…begründen können“)
  2. Warum sollen für jeden Kartenausschnitt 800€ bezahlt werden, wenn diese Daten doch mit Steuergeldern bereits bezahlt wurden und ohnehin existieren und durch ihre Veröffentlichung keiner oder nur ein sehr marginaler Zusatzaufwand entsteht?

Das BMI weist im gleichen Schreiben selbst darauf hin, dass die hochauflösenden Karten verschiedenen Organisationen und Einsatzkräften zur Verfügung gestellt werden. WARUM haben aber betroffene Bürger keinen Zugriff darauf? Ich habe dazu den Regierungssprecher Steffen Seibert angetwittert – bisher ohne Reaktion. Ich habe auch folgenden Tweet geschrieben:

Tweet Daten für Geld 11.06.2013

Ich habe außerdem eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz über www.fragdenstaat.de an das BMI gestellt, mit dem folgenden Inhalt:

Ein betroffener Bürger aus Sachsen Anhalt hat beim ZKI hochauflösende Karten zur Hochwasserlage der Region angefragt. Er erhielt heute vom Referat O7 des BMI eine Antwort per Mail, in der er darauf hingewiesen wurde, dass das BMI diese hochauflösenden Karten laut §63 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung nur zum vollen Wert veräußern darf. Dies sollen laut BMI Mail ca. 800€ pro Kartenausschnitt sein. Ich verstehe zwar nicht, wie das mit der Open Data Strategie des Bundes vereinbar ist, aber unabhängig von dieser persönlichen Einschätzung möchte ich mit dieser Anfrage bei Ihnen folgende Informationen erfragen:* Welche Einnahmen erzielt(e) das BMI durch den Verkauf von Geodaten zum aktuellen Hochwasser in Deutschland?* Wurden auch bei den letzten großen Hochwasserkatastrophen in Deutschland Geodaten dazu verkauft?* Wenn ja, was für Einnahmen wurde dabei jeweils erzielt?* An wen wurden die Geodaten jeweils verkauft? (bei früheren Hochwassern und beim aktuellen)Ich wüßte gern, wieviel der Staat davon hat, dass er betroffenen Bürgern diese Informationen nicht frei zur Verfügung stellt. Vielleicht reicht es ja für einen neuen staatlich finanzierten Kindergarten.beste GrüßeAnke Domscheit-Berg
Ich bin auf die Antwort gespannt und werde darüber hier berichten. Die Piratenpartei setzt sich schon seit langem dafür ein, alle Daten in öffentlicher Hand, die durch oder für den Staat gesammelt und erstellt wurden, maschinenlesbar und für jede Nutzung frei zugeben. Davon sollen nur personenbezogene Daten und Daten mit besonderer Sicherheitsrelevanz ausgenommen sein. Dieses Prinzip von Open Data gibt es bereits in vielen Ländern, nur bei uns bleibt es Wunschdenken. Weder Brandenburg noch die Bundesregierung haben eine Open Data Strategie, obwohl immer wieder von mehr Transparenz und Bürgernähe die Rede ist. Über den Mangel an Open Government in Deutschland habe ich schon einmal geblogt (HIER). Hätten wir eine Open Data Richtlinie, müßten sich nicht mitten in einer Flutkatastrophe Betroffene mit Behörden darüber auseinandersetzen, wie viel Geld sie bezahlen sollen, um Karten zur Überflutung ihrer Region zu erhalten, um anschließend zu überlegen, woher sie die 800€ nehmen sollen, die sie vermutlich eher für andere Sachen brauchen, nachdem das Haus unter Wasser stand. Genauso geht es gerade dem oben zitierten Flutopfer, dessen Haus fast einen Meter tief im Wasser steht. Er versucht das Geld zu sammeln. Als Unterstützer in der Sache hat sich bereits die Wikimedia Deutschland gemeldet.

Update 11.06.2013, 18:50:
Die Vereinten Nationen veröffentlichen in der Rubrik „Floods in Europe“ alle Satellitenkarten der Überschwemmungsgebiete. Auch dort sind die deutschen Karten nicht frei verfügbar in einer hohen Auflösung, die Sammlung an Bildmaterial ist dennoch eindrucksvoll.
Mathias Schindler, der sich für die Wikimedia Deutschland in dieser Angelegenheit einsetzte, hat inzwischen ebenfalls einen Beitrag dazu verfaßt, der vor allem die Komplexität der aktuellen rechtlichen Voraussetzungen darstellt. Ein Wildwuchs an Rechteinhabern erschwert eine einfache Freigabe der Daten. Dennoch sieht er Wege, das bereits jetzt und ohne Spezialgesetze zu tun. Seinen Beitrag findet Ihr HIER.
Update:
Das BMI hatte auf meine Informationsfreiheitsanfrage recht schnell geantwortet. Die Antwort war kurz: Bisher wurden keinerlei Einnahmen durch Verkauf von Kartenausschnitten der Überflutungsgebiete erzielt – weder beim aktuellen noch bei vorhergegangenen Flutkatastrophen. Mit anderen Worten – es würde dem Staat nicht ein einziger Euro verloren gehen, wenn die Kartenausschnitte den Flutopfern bzw. der interessierten Öffentlichkeit einfach kostenfrei zur Verfügung gestellt würden.