Flutopfer sollen steuerfinanzierte Hochwasserkarten von Behörden kaufen? Danke, Frau Merkel!

In einer Pressemitteilung der Piratenpartei habe ich die Freigabe von Geodaten gefordert, die eine bessere Hilfe und Selbsthilfe im Hochwasserfall ermöglichen. Aus anderen Ländern gibt es Beispiele von Karten, in denen farbliche Schattierungen die konkrete Überflutungsgefahr für jeden beliebigen Ortspunkt (also z.B. das eigene Haus, ein Museum, die Strasse, das Krankenhaus, der Bahnhof…) feststellbar machen, zum Beispiel aus den USA, als Hurricane Sandy große Überschwemmungen verursachte. Um solche Karten zu erstellen, benötigt man offene Pegeldaten, die frei verwendbar sind und eine sehr genaue Höhenkarte, denn natürlich hängt es von der konkreten Höhe einer Stelle ab, ob und wie hoch sie im Ernstfall überschwemmt wird. Diese Daten befinden sich im Besitz des Staates. Sie sind nicht frei verfügbar, Überflutungs(prognose-)karten sind daher ebenfalls nicht frei verfügbar. Dabei hätten sie vielfachen Nutzen.
In dieser Pressemitteilung schreibe ich unter anderem:

So können nicht nur Schäden verringert werden, weil mehr Bürgerinnen und Bürger früher von der eigenen Gefahrensituation erfahren. Auch Leben und Gesundheit können besser geschützt werden, weil Gefährdete sich zeitig in Sicherheit bringen können. Helfer vor Ort können mit zielgenaueren Informationen die Lage und den Hilfebedarf in betroffenen Gebieten besser einschätzen. Hotlines wären entlastet, Betroffene und ihre Angehörigen hätten weniger Ungewissheit.

Offene Pegeldaten gibt es in Deutschland aber leider nur für Bundeswasserstrassen und für die Wasserstrassen im Land Niedersachsen. Alle anderen Länder – auch Bayern, Sachsen Anhalt und Brandenburg – haben diese Daten nicht in maschinenlesbarer Form mit einer offenenen Lizenz freigegeben. Nicht einmal die aktuellen Überflutungskarten stehen in hoher Auflösung frei für die Bevölkerung zur Verfügung.
Selbst Flutopfer sollen für die Kartendaten zahlen!
Ein Betroffener aus Sachsen Anhalt hatte bei der zuständigen Behörde diese Karten für seine Region angefordert. Er selbst hat dazu einen Blogpost geschrieben. Die Antwort kam von der übergeordneten Behörde aus dem Bundesinnenministerium. Darin stand nach einem Hinweis darauf, dass ja Karten in niedrigerer Auflösung frei verfügbar wären, folgendes (Hervorhebungen von mir):

Sofern Sie darüber hinausgehend einen Bedarf an einem ZKI-Produkt in einer höheren Auflösung, wie sie z.B. den Einsatz- und Krisenstäbe oder Hilfsorganisationen vor Ort bereitgestellt werden, begründen können, weise ich vorsorglich darauf hin, dass das BMI nach § 63 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) dazu verpflichtet ist,  Vermögensgegenstände nur zu ihrem vollen Wert zu veräußern. Dazu gehören auch die Dateien (Karten). Wir gehen dabei von einem Wert pro Kartenprodukt von ca. 800 Euro aus.
Ich finde an dieser Antwort zwei Aspekte haarsträubend:
  1. Warum muss ein Flutopfer (oder jeder x-beliebige Interessierte) begründen, wozu diese Karten benötigt werden („wenn Sie…Bedarf…begründen können“)
  2. Warum sollen für jeden Kartenausschnitt 800€ bezahlt werden, wenn diese Daten doch mit Steuergeldern bereits bezahlt wurden und ohnehin existieren und durch ihre Veröffentlichung keiner oder nur ein sehr marginaler Zusatzaufwand entsteht?

Das BMI weist im gleichen Schreiben selbst darauf hin, dass die hochauflösenden Karten verschiedenen Organisationen und Einsatzkräften zur Verfügung gestellt werden. WARUM haben aber betroffene Bürger keinen Zugriff darauf? Ich habe dazu den Regierungssprecher Steffen Seibert angetwittert – bisher ohne Reaktion. Ich habe auch folgenden Tweet geschrieben:

Tweet Daten für Geld 11.06.2013

Ich habe außerdem eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz über www.fragdenstaat.de an das BMI gestellt, mit dem folgenden Inhalt:

Ein betroffener Bürger aus Sachsen Anhalt hat beim ZKI hochauflösende Karten zur Hochwasserlage der Region angefragt. Er erhielt heute vom Referat O7 des BMI eine Antwort per Mail, in der er darauf hingewiesen wurde, dass das BMI diese hochauflösenden Karten laut §63 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung nur zum vollen Wert veräußern darf. Dies sollen laut BMI Mail ca. 800€ pro Kartenausschnitt sein. Ich verstehe zwar nicht, wie das mit der Open Data Strategie des Bundes vereinbar ist, aber unabhängig von dieser persönlichen Einschätzung möchte ich mit dieser Anfrage bei Ihnen folgende Informationen erfragen:* Welche Einnahmen erzielt(e) das BMI durch den Verkauf von Geodaten zum aktuellen Hochwasser in Deutschland?* Wurden auch bei den letzten großen Hochwasserkatastrophen in Deutschland Geodaten dazu verkauft?* Wenn ja, was für Einnahmen wurde dabei jeweils erzielt?* An wen wurden die Geodaten jeweils verkauft? (bei früheren Hochwassern und beim aktuellen)Ich wüßte gern, wieviel der Staat davon hat, dass er betroffenen Bürgern diese Informationen nicht frei zur Verfügung stellt. Vielleicht reicht es ja für einen neuen staatlich finanzierten Kindergarten.beste GrüßeAnke Domscheit-Berg
Ich bin auf die Antwort gespannt und werde darüber hier berichten. Die Piratenpartei setzt sich schon seit langem dafür ein, alle Daten in öffentlicher Hand, die durch oder für den Staat gesammelt und erstellt wurden, maschinenlesbar und für jede Nutzung frei zugeben. Davon sollen nur personenbezogene Daten und Daten mit besonderer Sicherheitsrelevanz ausgenommen sein. Dieses Prinzip von Open Data gibt es bereits in vielen Ländern, nur bei uns bleibt es Wunschdenken. Weder Brandenburg noch die Bundesregierung haben eine Open Data Strategie, obwohl immer wieder von mehr Transparenz und Bürgernähe die Rede ist. Über den Mangel an Open Government in Deutschland habe ich schon einmal geblogt (HIER). Hätten wir eine Open Data Richtlinie, müßten sich nicht mitten in einer Flutkatastrophe Betroffene mit Behörden darüber auseinandersetzen, wie viel Geld sie bezahlen sollen, um Karten zur Überflutung ihrer Region zu erhalten, um anschließend zu überlegen, woher sie die 800€ nehmen sollen, die sie vermutlich eher für andere Sachen brauchen, nachdem das Haus unter Wasser stand. Genauso geht es gerade dem oben zitierten Flutopfer, dessen Haus fast einen Meter tief im Wasser steht. Er versucht das Geld zu sammeln. Als Unterstützer in der Sache hat sich bereits die Wikimedia Deutschland gemeldet.

Update 11.06.2013, 18:50:
Die Vereinten Nationen veröffentlichen in der Rubrik „Floods in Europe“ alle Satellitenkarten der Überschwemmungsgebiete. Auch dort sind die deutschen Karten nicht frei verfügbar in einer hohen Auflösung, die Sammlung an Bildmaterial ist dennoch eindrucksvoll.
Mathias Schindler, der sich für die Wikimedia Deutschland in dieser Angelegenheit einsetzte, hat inzwischen ebenfalls einen Beitrag dazu verfaßt, der vor allem die Komplexität der aktuellen rechtlichen Voraussetzungen darstellt. Ein Wildwuchs an Rechteinhabern erschwert eine einfache Freigabe der Daten. Dennoch sieht er Wege, das bereits jetzt und ohne Spezialgesetze zu tun. Seinen Beitrag findet Ihr HIER.
Update:
Das BMI hatte auf meine Informationsfreiheitsanfrage recht schnell geantwortet. Die Antwort war kurz: Bisher wurden keinerlei Einnahmen durch Verkauf von Kartenausschnitten der Überflutungsgebiete erzielt – weder beim aktuellen noch bei vorhergegangenen Flutkatastrophen. Mit anderen Worten – es würde dem Staat nicht ein einziger Euro verloren gehen, wenn die Kartenausschnitte den Flutopfern bzw. der interessierten Öffentlichkeit einfach kostenfrei zur Verfügung gestellt würden.