Der letzte Tropfen war zu viel. Tschüss, Piratenpartei.

Vor 2,5 Jahren wurde ich Mitglied der Piratenpartei, weil ich glaubte, innerhalb der Partei effektiver für meine Überzeugungen kämpfen zu können. Ich trete nun aus, weil ich glaube, dass inzwischen das Gegenteil der Fall ist.
Ich bin es leid, wichtige Themen als sekundär zu erleben, weil das drölfzigste Gate wichtiger ist. Mitten im EU-Wahlkampf mit #keinHandschlag konfrontiert zu werden, war vor allem ein Schlag ins Gesicht unserer politischen Anliegen. Der Mißbrauch der technischen Infrastruktur der Partei durch den #orgastreik, um den ehemaligen Bundesvorstand unter Druck zu setzen, war für mich vorsätzliche Behinderung politischer Arbeit. Wenn dann unerwünschte Personen abgeschossen sind und ein Buvo nach sozialliberaler Fasson installiert ist, sind plötzlich #1000Hände bereit. Da waren die EU Wahlen aber leider schon vorbei.
Wo ist das Visionäre, Progressive, Mutige, das Neue und das Andere geblieben? Was ist das für eine „Netzpartei“, die einen vom Parteitag beschlossenen BEO (Basisentscheid ONLINE) als Briefwahl umsetzt? Das konnten SPD und Grüne schon viel früher. Wo sind unsere Antworten auf die Fragen, die die digitale Revolution aufwirft? Wo sind unsere originellen Wahlkampfaktionen? Wo sprengen wir den Parlamentsbetrieb durch disruptives Verhalten, das das System auch mal von innen in Frage stellt? Openantrag.de ist eine großartige und innovative Sache. Aber sie reicht mir nicht. Die visionärsten Pirat*innen waren sogenannte progressive, sie verlassen gerade reihenweise die Partei, sind schon längst weg oder werden nach wie vor von Parteiführung und sozialliberal-Flügel angegriffen. Es gibt Piraten, die halten Naziblockaden schon für Gewalt, sie reden von „freiheitlich-demokratischer Grundordnung“ (#FDGO), wenn sie eigentlich Angst vor Veränderung haben. Obrigkeitshörige, buchstaben-gesetzestreue Angsthasen, während in Schweden ein Peter Sunde im Gefängnis sitzt. Mit denen hätte man in der DDR keine Mauer eingerissen. Ich nehme den sozialliberalen Flügel als Flügel der Verhinderung wahr, als konservativ, vergangenheitsgerichtet, ängstlich und spaltend. Wenn mich jemand nach einem sozialliberalen Mitglied fragt, das was innovatives oder mutiges geschafft hat, fällt mir einfach niemand ein.
Ich habe nichts mehr verloren in einer Partei, deren „sozialliberale“ Mitglieder mehrheitlich die Zusammenhänge in einer digitalen Gesellschaft nicht verstanden haben und glauben, eine Konzentration auf 1, 2 Netzthemen sei ausreichend. Es gibt so viele Verbindungen zwischen all den Themen im Parteiprogramm – BGE und Asylrecht explizit eingeschlossen – und es tut mir weh zu sehen, dass das kein Konsens (mehr) zu sein scheint. Mit #reclaimyournetzpartei kann ich nichts anfangen. Ein Verein kann das tun, eine Partei braucht breitere Positionen und den großen Blick für Zusammenhänge und genau das wäre die Verantwortung dieser Partei gewesen.
Ich kann nicht mehr ertragen, dass rechte Gefahren verharmlost und linke herbeigeredet werden. Wenn selbst nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch Piraten der Meinung sind, Linksextremismus ist eine Bedrohung in Deutschland oder Piraten waren doch leider nur zu links und sollte man nicht bei der AfD ein paar Erfolgsrezepte abgucken? – ja, dann fällt mir dazu nichts mehr ein.
Ich bin es überdrüssig, als Feministin angegriffen und beleidigt zu werden, oder solche Angriffe gegen andere mitzuerleben. Ich habe keine Lust mehr, #feminazi, #genderistin und #karrieregeil genannt und für den Niedergang der Partei verantwortlich gemacht zu werden. Das immer wieder kehrende Störfeuer, ich würde mich sogar an der Partei bereichern, ist absurd lächerlich, da offenbar diejenigen, die so reden keine Ahnung davon haben, wieviel eigene Zeit und privates Geld wir eingesetzt haben. Ich finde es jedes Mal unfassbar, dass es immer wieder Piraten gibt, die den Begriff „Piratin“ als satzungswidrig bezeichnen, die von #postgender reden, Diskriminierung leugnen und eine erschütternde Toleranz gegenüber Sexismus an den Tag legen.
Eine Partei, in der neuerdings Ordnungsmaßnahmen vom Buvo eingesetzt werden (sollen), um Flügelgegner auszuschalten, oder wo sie ausbleiben, weil sich Aggressionen offenbar „nur“ gegen den unliebsamen Flügel richten (#zusecrew) wo gejubelt wird, weil ein Flügelgegner die Partei verläßt oder von einer Kandidatur zurücktritt oder der halbe Saal laut buht, wenn aus dem „falschen“ Flügel eine kritische Wortmeldung erfolgt (#aBPT), hat ein Problem mit innerparteilicher Demokratie. Ich habe mich dazu auf eben jenem aBPT im Juni mit einer Rede geäußert, das kann man HIER nachhören. Damals hatte ich noch einen Rest Hoffnung. Nun nicht mehr.
Die gute Nachricht: an meinen Überzeugungen hat sich vor, während und nach meiner Mitgliedschaft nichts geändert. Ich werde weiterhin dafür kämpfen, die Welt zu verbessern – als kleines Zahnrad in einem großen Getriebe, weil ich immer noch glaube, dass auch kleine Zahnräder dazu beitragen können. Ich bin immer noch links, feministisch, antifaschistisch, progressiv und immer noch Kämpferin für Freiheit in einer digitalen Gesellschaft. Ich bin dankbar für die vielen großartigen Menschen, die ich durch die Piratenpartei kennenlernen durfte. Unsere Wege werden sich weiter kreuzen.
PS: Früher hat es mir noch viel ausgemacht, mitzuerleben, wer (und wie) jubelt, wenn bestimmte Menschen die Piratenpartei verlassen. Es ist mir inzwischen egal, wer bei meinem Austritt Sektkorken knallen läßt oder Wetten gewinnt.

 

Mein Grußwort zum 10. Landesparteitag der Piratenpartei in Potsdam – Kampfansage gegen TTIP/TAFTA!

Liebe Piratinnen u Piraten,
Wir als LaVo sind nun ziemlich genau seit 100 Tagen im Amt und haben in der Zeit ziemlich steile Lernkurven erfahren – und das geht wohl auch noch eine Weile so weiter 🙂 Es kommt uns trotzdem vor, als sei unsere Wahl im August noch gar nicht so lange her, denn hinter uns allen liegen aufregende Zeiten. Bis zum 22.9. haben wir alle gemeinsam viel bewegt, im LaVo und an der Basis. Wir haben mit wie immer sehr begrenzten Ressourcen aber hohem Einsatz einen Wahlkampf gestemmt, auf den wir alle stolz sein können.
Wir haben nicht das Ziel erreicht, das wir uns erhofft haben, aber am fehlenden Einsatz in Brandenburg hat das bestimmt nicht gelegen. Es gibt Piraten, die haben Tausende von Km zurückgelegt, um zig Infostände zu machen, unzählige Plakate auf- und auch wieder abzuhängen oder tausende von Flyern per Hand zu verteilen. Wir haben uns mit neuen und mit bewährten Wahlkampfaktionen engagiert, mit jeder Menge Kryptoparties, einem Regiowahlkampf gemeinsam mit den Berlinern, mit einem Überwachungsboot Schauspiel bei der Fürstenberger Spaßbootregatta oder bei etlichen Einsätzen des Gläsernen Mobils, das vom Norden bis in den Süden Brandenburgs auf bildstarke Weise die Tatsache der Rundumüberwachung von Bürgerinnen u Bürgern deutlich gemacht hat.
Alle die, die bei einer der Übernachtungsaktionen im Gläsernen Mobil dabei waren, werden sich noch gut daran erinnern, wie schlecht es sich darin schläft aber auch was es für psychische Wirkungen auf einen hat, wenn man von überall her beobachtet werden kann. Wir haben so mit kreativen und eigenen Methoden vermitteln können, was eigentlich schwer vermittelbar ist – den gläsernen Bürger.
Aber trotz allen Engagements, und obwohl wir auch keinen Mangel an Medienpräsenz zum Sommerthema NSA Überwachung hatten, war es für Wählerinnen und Wähler eben doch kein entscheidendes Thema. Soziale Fragen, wie Harz4, Miet- und Strompreise, Mindestlohn, Arbeitsplätze und dergleichen waren viel wichtiger. Wir haben auch dafür programmatisch gute Antworten aber wir haben es als Partei noch nicht geschafft, auch mit diesen anderen Themen Gehör zu finden.
Das wird für uns eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten 10 Monate sein: unser Wahlprogramm inhaltlich zu vervollständigen und Mittel und Wege zu finden, es in seiner ganzen Bandbreite den Wählern zu vermitteln. Bei diesem Programmparteitag wollen wir genau dafür wichtige Weichen stellen. Wir brauchen jeden Einzelnen dafür, die Kreativität, die Zeit und Energie aller Piraten, um sie auf diese großen Aufgabe zu richten. Wir können auf niemanden verzichten und ich wäre sehr stolz auf diesen Landesverband, wenn wir genau das hinbekommen: unsere Prioritäten klar auf die politischen Herausforderungen des kommenden Jahres auszurichten.
Schon im Mai stehen die nächsten beiden Wahlen an für die wir durchaus gute Chancen haben. Bei der Europa-Wahl gibt es nur eine 3% Hürde und die ist ja wohl schaffbar! Jedenfalls in Zeiten, in denen sich die großen Parteien weiter unglaubwürdig machen, nicht nur aber vor allem auch im Zusammenhang mit der Aufklärung der Massenüberwachung durch ausländische Geheimdienste. Es fehlt eine starke Haltung Deutschlands gegen die USA aber auch gegen das EU Mitgliedsland Großbritannien.
Wo bleibt denn das EU Vertragsverletzungsverfahren gegen England und wann wird der britische Botschafter ins Außenministerium einbestellt? Warum entrüsten sich Politiker der Regierung über die Tatsachen und Rechtsverletzungen, die die Informationen von Edward Snowden ans Tageslicht brachten aber weigern sich dann, ihm hier in unserem Land Schutz zu gewähren? Wie kann man allen ernstes auch nur daran denken, jemanden an ein Land auszuliefern, der uns Kenntnis über illegale Spionageangriffe eben jenes Landes auf unser Land zugetragen hat, gegen die wir uns nur dadurch überhaupt wehren können?
Hat es im September viele Menschen noch nicht so aufgeregt, dass wir als ganzes Volk überwacht werden, so gab es doch mit der Merkelphone Affaire eine Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung. Die plötzliche Aufregung der Kanzlerin stand in krassem Widerspruch zu ihrer Gelassenheit, als es bloß um die Telefone und Emails von Erika und Otto Normalwählerin ging. Viele Menschen werden bemerken, dass bei den Koalitionsverhandlungen nicht ein größerer Schutz ihrer Privatsphäre sondern noch mehr Überwachung herauskommen wird. Das spielt uns zu aber wie schon im September wird es nicht ausreichen.
Für die Europawahlen werden wir auch auf andere Schwerpunkte setzen, etwa Demokratiethemen und Transparenz. Wieder werden Geheimverträge zwischen den USA und der EU ausgehandelt wie damals bei ACTA. Wieder sind sie von Lobbyisten geschrieben und nur durch einen Leak an die Öffentlichkeit geraten. Wieder beinhalten sie unvorstellbare Eingriffe in demokratische Grundrechte und die Souveränität von Staaten zugunsten großer Konzerne, deren materielle Interessen höchsten Stellenwert erhalten sollen. Nationale Schutzrechte wie Umwelt- und Verbraucherschutz werden dann nachrangig sein und Regierungen würden Schadenersatz in Milliardenhöhe aus Steuergeldern zahlen müssen, weil Firmen wegen Wettbewerbseinschränkungen gegen alles das klagen können.
Dieses Abkommen würde auch wieder private Urheberrechtsverletzungen massiv kriminalisieren und zur Überwachung des Internetverkehrs durch ISPs führen, es würde Patente für medizinische Eingriffe möglich machen, die es bisher nicht gab, es würde die Herstellung bezahlbarer Generika verzögern und immer würde es bei der Abwägung von Gemeinwohl und Wirtschaftsinteressen zugunsten der Wirtschaft entscheiden – auf Kosten selbst von Menschenleben. Wir dürfen uns dann auch freuen: auf nicht deklariertes Genfood und auf Chlorhähnchen made in USA, die bisher in Europa verboten sind, mit dem Freihandelsabkommen nach Wunsch der USA aber nicht mehr.
Mit diesem neuen Vertragswerk, genannt TTIP – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wäre die ganze Debatte um direkte oder repräsentative Demokratie egal, weil keine davon mehr eine ausreichende Rolle spielen könnte, weil an erster Stelle internationale Großkonzerne stehen werden und was die Bedürfnisse ihrer Geldgeber sind, aber nicht, was ein Volksentscheid oder ein Parlament beschlossen haben.
Wir müssen den Wahlkampf nutzen, um gegen solche Auswüchse vorzugehen und mit aller Kraft zu verhindern, dass ein solcher Vertrag von Deutschland mit unterzeichnet wird. Deutschland ist in der EU die wichtigste wirtschaftliche und politische Macht. Es wird entscheidend sein, ob wir dieses Agreement mittragen oder nicht. Wir müssen massiven Druck auf die Straße bringen, um das zu verhindern. Es darf kein zweites, und noch viel schlimmeres ACTA geben.
ACTA wurde verhindert, weil Millionen Menschen auf der Welt sich in unzähligen Aktionen dagegen gewehrt haben. Gegen den menschenfeindlichen Inhalt aber auch gegen den intransparenten, höchst undemokratischen Prozess seiner Entstehung, der auch jetzt wieder der gleiche ist. Die Zivilgesellschaft ist dabei außen vor, die Lobbyisten schreiben an den Entwürfen fleißig mit und sind immer im Bilde. Die Piraten waren eine der Kräfte, die sich mit vielen anderen gegen ACTA verbündeten und durch diesen gemeinsamen Widerstand ACTA verhindert haben. Genau das müssen wir wieder machen und das wird auch ein Teil unseres Wahlkampfes sein.
Wir werden uns dazu wieder mit anderen verbünden, online und offline mobil machen und eine Lanze für Transparenz und demokratische Prozesse auf Europäischer Ebene brechen, gegen die Übermacht des Lobbyismus. Wir werden unsere internationale Stärke dabei zeigen können, denn keine andere Partei ist wie die Piraten in so vielen Ländern mit gleichen Werten und Visionen zu finden. Das ist ein Vorteil, den wir gerade im Europawahlkampf nutzen können.
Auch für die Kommunalwahl haben wir uns hier in Brandenburg viel vorgenommen und werden z.T. mit offenen Listen um eine gute Aufstellung kämpfen. Die ersten AV sind schon gelaufen. Im Kommunalwahlkampf werden lokale Themen die größte Rolle spielen und alle die Piraten besonders gut positioniert sein, die bereits engere Anbindungen an die Lokalpolitik haben. Wie für die Landtagswahlen werden einige Programminhalte dabei besonders wichtig sein: Bildung, Mobilität und Zukunftschancen in Gegenden, die vom demographischen Wandel betroffen sind.
Bei der Kommunal- und Landtagswahl haben wir jedoch einen ganz besonderen strategischen Vorteil und das ist unsere Attraktivität für junge Wähler, die sich von anderen Parteien wenig repräsentiert sehen.  Das Wahlalter ist bei beiden Wahlen 16 Jahre. Bei der Juniorwahl haben wir jedoch sehr gute Ergebnisse erziehlt. Generell lag Deutschland bei der Juniorwahl bei über 12% für die Piratenpartei, an 4. Stelle, nach schwarz, rot und grün. Eine halbe Million Jugendlicher gaben bei der Juniorwahl ihre Stimme ab. Brandenburg stand in der Beteiligung von Schulen an der Juniorwahl an 5. Stelle von 16 Bundesländern.
Auch bei der kurz vor der BTW durchgeführten U18 Wahl haben wir bundesweit 12% gewonnen, aber in Brandenburg waren die Piraten sogar mit über 15%  die drittstärkste Partei nach CDU und SPD. In Barnim-Uckermark waren wir sogar die stärkste Partei mit fast 21%. Wenn ich nicht irre, was das das beste Ergebnis bundesweit und ich finde wir könnten auf unsere Wahlkämpfer in Barnim-Uckermark sehr stolz sein! Aber auch Im Landkreis Märkisch Oderland –Barnim II, in Frankfurt Oder/Oder Spree und in Elbe Elster / Oberspreewald waren die Piraten zweitstärkste Partei in der U18 Wahl. Das ist ein Potenzial, auf das wir bauen können. Das sind Zahlen, die uns auch Mut machen können, wenn sich 2% mal wieder deprimierend schlecht anhören.
Uns werden Wahlergebnisse nicht in den Schoß fallen aber für uns spielt die Zeit. Wir sind keine Übernachtpartei, die mal eben ein paar Protestwähler toll finden, auch wenn das eine Zeitlang Gott und die Welt so gedacht haben. Wir sind eine Partei für die digitale Gesellschaft, und für die Zukunft und wir werden einen langen Atem haben und haben müssen. Auch die Grünen haben lange gebraucht, bis sie in Parlamente eingezogen sind, hätten sie damals nach den ersten Niederlagen aufgegeben, säßen sie heute nicht in Landesregierungen und würden keinen Ministerpräsidenten in Baden Württemberg stellen. Bei allem Chaos und anfänglicher Selbstzerfleischung haben die Grünen nämlich Durchhaltevermögen im Interesse der Sache gezeigt. Genau deshalb gibt  es für uns keinen Grund, pessimistisch zu sein! Es gibt im Gegenteil, jede Menge Anlass für Optimismus und Wahlkampflust.
Neben dem für uns positiven, niedrigeren Wahlalter haben wir bei der Kommunalwahl auch keine Hürde zu überspringen. Es gilt die Verhältniswahl, also für jedes Prozent, das rechnerisch einen Sitz im Stadtparlament ergibt, wird ein Pirat oder eine Piratin in ein Kommunalparlament einziehen. Es besteht damit gar kein Zweifel daran, dass wir nach den Kommunalwahlen in Brandenburg noch mehr Piraten in Stadträten vertreten haben werden, die direkt an der Basis den Bürgerinnen und Bürgern zeigen können, wie anders wir arbeiten, wenn man uns machen lässt. Wir nehmen den Begriff „Volksvertreter“ nämlich ernst, das zeigen wir nicht zuletzt mit Angeboten wie openantrag.de, das inzwischen von 46 Parlamenten mit Piratenbeteiligung – darunter viele Kommunen – genutzt wird.
Von Mai bis September können wir dann in noch mehr Kommunen unser Bestes geben, um bei der Landtagswahl zu zeigen, dass wir eben nicht nur leere Versprechen abgeben. Das alles klingt nach richtig viel Arbeit und das ist es auch. Aber es ist politische Arbeit für eine Sache, wegen der wir alle Mitglieder dieser Partei sind. Für eine Sache, die jede Woche und jeden Tag wichtiger wird und für die sich niemand so verantwortlich fühlt wie wir. Das ist nicht nur der Einsatz für einen transparenten Staat und mehr Mitbestimmung und auch nicht nur der Kampf um unser aller Privatsphäre.
Es geht vor allem auch darum ein Rechtssystem aufzubauen, dass in die digitale Gesellschaft passt, das offen, gerecht und inklusiv ist. Dazu gehören auch Themenfelder wie das Bedingungslose Grundeinkommen, ein gerechteres Gesundheitssystem, Breitband in der Provinz, freier Zugang zu Wissen und Kultur und eine Bildung, die unseren Kindern ermöglicht, sich nach ihren Talenten zu entwickeln. Dazu gehört auch noch viel mehr und etliches von diesen Themen werdet Ihr in den Anträgen wieder finden, die wir heute und morgen hier debattieren wollen.
Ich freue mich auf diese Debatte rund um unser Programm, denn mit jedem inhaltlichen Antrag, den wir auf diesem LPT beschließen, wird unser Programm vollständiger und besser werden. Auch wenn dieser LPT etwa hinsichtlich der Versorgung vielleicht nicht unser luxuriösester sein wird, so haben wir immerhin in gerade mal 8 Wochen nach dem Mammutaufwand für die Bundestagswahl einen LPT organisiert bekommen und das ist schon eine Leistung, dafür, dass alles nur im Ehrenamt passiert und ohne fette Sponsoren, wie man sie bei den anderen Parteien regelmäßig sieht.
Ich bin dankbar für ein so gutes LaVo Team, mit dem auch solche Hauruck Aktionen möglich sind. Den größten Dank für die Orga hat sich dabei Friedrich verdient als derjenige, der im LaVo für Veranstaltungen zuständig ist. Aber was ist ein LaVo ohne Basis! Im Vorfeld des LPT und vor allem gestern abend haben viele Piraten diesen Raum für uns vorbereitet und ausgestattet. Ich finds im übrigen schön hier und hej – wir sind ja nicht zum essen gekommen, sondern um unser Programm zu machen :-).
Bevor wir nun wirklich loslegen, möchte ich Euch noch jemanden vorstellen: eine Piratin, die etliche von Euch schon vom Wahlkampf kennen, den sie etliche Male bei uns unterstützt hat, obwohl sie eigentlich Berlinerin ist. Ich meine Cornelia Bürger, die seit 30 Jahren Journalistin und selbst Mitglied der Bundespressekonferenz ist und die für uns als Pressesprecherin arbeiten möchte. Hier auf dem LPT möchte sie Euch kennenlernen und auch Euch eine Gelegenheit geben, sie ihrerseits kennenzulernen. Sie wird hier schon die Pressebetreuung übernehmen und steht Euch daneben Rede und Antwort für jede Frage, die Ihr habt. Aber jetzt hat sie kurz selbst das Wort, bevor wir dann als nächstes mit den üblichen Formalien loslegen.

Beim Anti-Prism Aktionstag in Stralsund haben wir Merkels Wahlkreisbüro besucht

Am 27.07.2013 gab es einen internationalen Aktionstag gegen PRISM und generell gegen Massenüberwachung und für einen stärkeren Schutz von Whistleblowern wie Bradley Manning und Edward Snowden. Diese Initiative bündelte unter dem Slogan #StopWatchingUs viele Aktionen unterschiedlichster Interessensgruppen. Allein in Deutschland gingen ca. 10.000 Menschen in fast 40 Städten auf die Strasse – obwohl es einer der heißesten Tage dieses Jahres war, mit weit über 30 Grad im Schatten.

Foto: Markus Hoffmann

Foto: Markus Hoffmann


Ich war bei der Protestveranstaltung #Merkelentern in Stralsund dabei, zu der die Piratenpartei in Mecklenburg-Vorpommern eingeladen hatte. Auch dort brannte die Sonne erbarmungslos, aber mehr als 100 Demonstranten hat das nicht davon abgehalten, in der Mittagshitze durch die Altstadt zu ziehen und an der Abschlusskundgebung vor Angela Merkels Wahlkreisbüro teilzunehmen. Einige Fernsehteams hatten sich dort auch eingefunden, der NDR hat auch darüber berichtet (Video auf YouTube). Ich bin im Foto die ganz links am Front-Transparent, mit dem roten Kopftuch (ohne hätte ich einen Sonnenstich bekommen). Einige von uns haben sich etwas historisch piratig angezogen – damit haben wir Bezug genommen auf die Wallensteintage, ein Mittelalterspektakel, das zu diesem Zeitpunkt in Stralsund statt fand.
An Merkels Wahlkreisbüro in Stralsund #StopwatchingusAuf Plakaten haben wir Schilder mit dem „Merkelator“ getragen. Auf meinem Plakat stand der aktuelle Stand der Unterzeichner meiner Petition auf change.org. Schon fast 45.000 haben inzwischen unterschrieben. In 12 Sprachen gibt es jetzt diese Petition. Wer noch nicht unterschrieben hat und/oder die Petition verbreiten möchte: hier ist der Link: www.change.org/prism (die anderen Sprachen sind dort verlinkt).
Bei der Abschlusskundgebung habe ich neben anderen eine Rede gehalten, ein Video davon gibt es auf YouTube zu sehen.
Screenshot YouTube Video by Bartjez
Nachlesen kann man sie hier:

Ich bin Anke Domscheit-Berg, Kandidatin für die Bundestagswahl, aus dem Land Brandenburg und ich bin hierher gekommen zu Angela Merkels Wahlkreisbüro, um ihr meine Meinung – unsere Meinung – zu übermitteln.
Ich habe 21 Jahre in einem Überwachungsstaat gelebt. Das ist 24 Jahre her. 24 Jahre, das ist fast ein Vierteljahrhundert. Das ist lange, verdammt lange. Aber es ist nicht lange genug, um zu vergessen, wie sich das anfühlt, wie beschissen sich das anfühlt, permanent überwacht zu sein. Wie das ist, wenn Briefe geöffnet ankommen. Wenn es im Telefon so komisch knackt und man immer denkt, da hört einer mit. Wie das ist, wenn man ins Studentenwohnheim nach Hause kommt und man sieht an den verstellten Farbbändern an der Schreibmaschine, an der man Aufrufe fürs Neue Forum abgetippt hat, dass da einer dran war und die Papiere durcheinander gebracht sind.
Ich weiß noch ganz genau, wie sich das anfühlt, aber über 20 Jahre habe ich da nicht besonders oft dran gedacht. Seit Wochen zwingt mich diese Gegenwart, jeden Tag und jede Stunde daran zu denken – und vor allem nicht nur daran zu denken, sondern mich genauso zu fühlen, wie damals. Und das ist ein Gefühl, das wollte ich nie wieder haben.
Heute ist die Überwachung aus verschiedenen Gründen viel schlimmer noch als ich sie damals empfunden habe. Sie ist umfassender, sie ist totaler. Es wird alles überwacht, nicht nur eine Auswahl, was damals aus Ressourcengründen gar nicht anders ging, sonst hätte es die Stasi natürlich auch gemacht. Heute geht das aber. Und heute wird es gemacht. Es wird nicht nur von einem Geheimdienst gemacht, sondern von mindestens dreien. Einem deutschen Geheimdienst, der alle möglichen Dinge über uns ausspioniert, seit zehn Jahren ermächtigt durch alle möglichen Überwachungsgesetze, durch den britischen und amerikanischen Geheimdienst. Alles das jeden Tag und das ist nur das, was wir wissen und jeden Tag erfahren wir mehr.
Ein anderer Grund, warum es heute viel schlimmer ist: Totalitäre Methoden passen zu einem totalitären Staat. Da enttäuscht einen das ja nicht mal, da erwartet man das. Aber wir leben in einer Demokratie, da habe ich andere Erwartungen. Da will ich nicht den Methoden eines totalitären Regimes begegnen. Da will ich, dass das Grundgesetz wirklich Realität ist, dass man sich daran hält, dass das nicht bloß Klopapier ist. Das ist unsere heutige Gesellschaft und so will ich sie nicht haben. Wir leben in einer Demokratie – ich will sie zurück!
Frau Merkel, haben Sie das alles vergessen? Wissen Sie nicht mehr, wie das war und was das macht mit den Menschen? Wie sie misstrauisch werden, wie sie Angst haben, zu reden und zu schreiben, zu tun und zu lassen, was sie eigentlich wollen und was rein theoretisch auch nach DDR-Verfassung erlaubt war? Haben Sie das alles vergessen? Wollen Sie in einem Land leben, in dem die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind und nicht mal Sie selbst als Kanzlerin wissen, was da abgeht und wer Sie abhört? Wollen Sie die Kanzlerin sein, die ihr Land schutzlos den Cyberwar-Attacken ausländischer Geheimdienste ausliefert? Die Architektin eines neuen deutschen Überwachungsstaats? Wollen Sie das wirklich?
Ich habe gesagt, die Überwachung fühlt sich für mich heute so ähnlich an, wie damals bei der Stasi. Aber eine Botschaft möchte ich Frau Merkel und allen andern auch noch mitgeben: Etwas ist heute anders. Wir haben ein historisches, kollektives Gedächtnis und in diesem Gedächtnis, da ist festgeschrieben, dass wir damals gesiegt haben. Dass wir uns gewehrt haben gegen diesen Überwachungsstaat und dass es nicht möglich war, ihn aufrecht zu erhalten. Und genau das, das machen wir nochmal!
Frau Merkel, Sie sind unsere Kanzlerin – zumindest noch. Übernehmen Sie endlich Verantwortung als Kanzlerin und oberste Chefin der Geheimdienste! Das ist ein falscher Moment zum Aussitzen, zum Schweigen, zum Heucheln und zum das Volk belügen! Wir merken es nämlich trotzdem! Zeigen Sie, dass Sie die Lektionen aus der DDR gelernt haben und sich noch erinnern, wie falsch Überwachung ist und wie gefährlich. Wie wenig das mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Wie es uns verändert und die Wurzeln der Demokratie kaputt macht!
Wollen Sie in einem Land leben, in dem das Volk Angst vor der eigenen Regierung hat? Schon wieder?! Sie wissen doch, wie sich das anfühlt! Egal wie, wir werden uns wehren! Wir werden weiter auf die Straße gehen! Wir werden nicht Ruhe geben, bis unsere Grundrechte wieder gelten!
Ich habe auf change.org eine Petition gestartet an das EU-Parlament und an die Europäische Kommission. Der Link steht hier unten: change.org/prism. 44.000 Menschen hatten diese Petition bis gestern schon unterschrieben. Die kann man nicht einfach ignorieren! In dieser Petition steht drin, dass wir uns Transparenz wünschen über das, was gelaufen ist. Wir wollen ja nicht nur, dass es aufhört, wir wollen überhaupt erst einmal verstehen, was da abgeht. Es ist ja nicht nur so, dass Frau Merkel keine Ahnung hat. Wir wissen ja auch nichts. Keiner weiß ja was. Der BND nicht, der Verfassungsschutz, alle haben keine Ahnung gehabt: “alles aus den Medien gelesen”. Bis man es dann ein paar Tage später selbst anders in den Medien liest.
In dieser Petition steht auch drin, dass wir ein internationales Überwachungsabrüstungsabkommen wünschen. Deutschland ist eine starke Kraft in der EU. Es spielt eine Rolle, ob sich eine Kanzlerin hinter so ein Ziel stellt, oder nicht. Es mag sich anhören wie eine unrealistische Zukunftsvision. Aber nukleare Abrüstung hat auch mal klein angefangen, sie ist noch nicht abgeschlossen, aber wir haben Fortschritte gemacht. Und solche Fortschritte brauchen wir wieder!
Und noch ein Letztes möchte ich Kanzlerin Merkel mitgeben: Wir leben heute nicht nur mit der Erinnerung an unseren damaligen Sieg gegen die Überwachungsgesellschaft, wir leben heute auch in einem Land, dass sich „Neuland“ nennt. Wir können uns heute viel besser vernetzen, mobilisieren und Transparenz herstellen. Notfalls von unten. Wir kriegen alles raus! Es gibt Menschen, wie Snowden, die dafür sorgen, die Whistleblower sind und unseren Schutz brauchen. Geheimdienste können nicht mehr richtig geheim sein. Die Überwacher werden jetzt auch überwacht und zwar von uns allen!
Kanzlerin Merkel, wir lassen Ihnen die Erosion unserer Grundrechte nicht durchgehen! Wir sind Piraten! Wir werden außerparlamentarisch und im Bundestag das Salz in der Wunde sein, um die Demokratie wieder zu schützen. Sie werden uns wegwünschen, aber nicht wegbekommen.
Wir sind Piraten, wir sind gekommen, um zu bleiben!

Sag noch mal einer, die Piraten sind eine Männerpartei 🙂 An dem nachstehenden Foto sieht man unschwer, das das wohl nicht (mehr) zutrifft. Zwei weitere Rednerinnen der Abschlusskundgebung sind auf diesem Bild zu sehen – 3. von links ist Cornelia Otto, Spitzenkandidatin für das Land Berlin und rechts neben ihr ist Melanie Kalkowski, die Spitzenkandidatin von Nordrhein-Westfalen, direkt neben mir steht Christiane Schinkel, der wir die schönen Demoschilder zu verdanken hatten.

Foto: Markus Hoffmann

Foto: Markus Hoffmann


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