Beim Anti-Prism Aktionstag in Stralsund haben wir Merkels Wahlkreisbüro besucht

Am 27.07.2013 gab es einen internationalen Aktionstag gegen PRISM und generell gegen Massenüberwachung und für einen stärkeren Schutz von Whistleblowern wie Bradley Manning und Edward Snowden. Diese Initiative bündelte unter dem Slogan #StopWatchingUs viele Aktionen unterschiedlichster Interessensgruppen. Allein in Deutschland gingen ca. 10.000 Menschen in fast 40 Städten auf die Strasse – obwohl es einer der heißesten Tage dieses Jahres war, mit weit über 30 Grad im Schatten.

Foto: Markus Hoffmann

Foto: Markus Hoffmann


Ich war bei der Protestveranstaltung #Merkelentern in Stralsund dabei, zu der die Piratenpartei in Mecklenburg-Vorpommern eingeladen hatte. Auch dort brannte die Sonne erbarmungslos, aber mehr als 100 Demonstranten hat das nicht davon abgehalten, in der Mittagshitze durch die Altstadt zu ziehen und an der Abschlusskundgebung vor Angela Merkels Wahlkreisbüro teilzunehmen. Einige Fernsehteams hatten sich dort auch eingefunden, der NDR hat auch darüber berichtet (Video auf YouTube). Ich bin im Foto die ganz links am Front-Transparent, mit dem roten Kopftuch (ohne hätte ich einen Sonnenstich bekommen). Einige von uns haben sich etwas historisch piratig angezogen – damit haben wir Bezug genommen auf die Wallensteintage, ein Mittelalterspektakel, das zu diesem Zeitpunkt in Stralsund statt fand.
An Merkels Wahlkreisbüro in Stralsund #StopwatchingusAuf Plakaten haben wir Schilder mit dem „Merkelator“ getragen. Auf meinem Plakat stand der aktuelle Stand der Unterzeichner meiner Petition auf change.org. Schon fast 45.000 haben inzwischen unterschrieben. In 12 Sprachen gibt es jetzt diese Petition. Wer noch nicht unterschrieben hat und/oder die Petition verbreiten möchte: hier ist der Link: www.change.org/prism (die anderen Sprachen sind dort verlinkt).
Bei der Abschlusskundgebung habe ich neben anderen eine Rede gehalten, ein Video davon gibt es auf YouTube zu sehen.
Screenshot YouTube Video by Bartjez
Nachlesen kann man sie hier:

Ich bin Anke Domscheit-Berg, Kandidatin für die Bundestagswahl, aus dem Land Brandenburg und ich bin hierher gekommen zu Angela Merkels Wahlkreisbüro, um ihr meine Meinung – unsere Meinung – zu übermitteln.
Ich habe 21 Jahre in einem Überwachungsstaat gelebt. Das ist 24 Jahre her. 24 Jahre, das ist fast ein Vierteljahrhundert. Das ist lange, verdammt lange. Aber es ist nicht lange genug, um zu vergessen, wie sich das anfühlt, wie beschissen sich das anfühlt, permanent überwacht zu sein. Wie das ist, wenn Briefe geöffnet ankommen. Wenn es im Telefon so komisch knackt und man immer denkt, da hört einer mit. Wie das ist, wenn man ins Studentenwohnheim nach Hause kommt und man sieht an den verstellten Farbbändern an der Schreibmaschine, an der man Aufrufe fürs Neue Forum abgetippt hat, dass da einer dran war und die Papiere durcheinander gebracht sind.
Ich weiß noch ganz genau, wie sich das anfühlt, aber über 20 Jahre habe ich da nicht besonders oft dran gedacht. Seit Wochen zwingt mich diese Gegenwart, jeden Tag und jede Stunde daran zu denken – und vor allem nicht nur daran zu denken, sondern mich genauso zu fühlen, wie damals. Und das ist ein Gefühl, das wollte ich nie wieder haben.
Heute ist die Überwachung aus verschiedenen Gründen viel schlimmer noch als ich sie damals empfunden habe. Sie ist umfassender, sie ist totaler. Es wird alles überwacht, nicht nur eine Auswahl, was damals aus Ressourcengründen gar nicht anders ging, sonst hätte es die Stasi natürlich auch gemacht. Heute geht das aber. Und heute wird es gemacht. Es wird nicht nur von einem Geheimdienst gemacht, sondern von mindestens dreien. Einem deutschen Geheimdienst, der alle möglichen Dinge über uns ausspioniert, seit zehn Jahren ermächtigt durch alle möglichen Überwachungsgesetze, durch den britischen und amerikanischen Geheimdienst. Alles das jeden Tag und das ist nur das, was wir wissen und jeden Tag erfahren wir mehr.
Ein anderer Grund, warum es heute viel schlimmer ist: Totalitäre Methoden passen zu einem totalitären Staat. Da enttäuscht einen das ja nicht mal, da erwartet man das. Aber wir leben in einer Demokratie, da habe ich andere Erwartungen. Da will ich nicht den Methoden eines totalitären Regimes begegnen. Da will ich, dass das Grundgesetz wirklich Realität ist, dass man sich daran hält, dass das nicht bloß Klopapier ist. Das ist unsere heutige Gesellschaft und so will ich sie nicht haben. Wir leben in einer Demokratie – ich will sie zurück!
Frau Merkel, haben Sie das alles vergessen? Wissen Sie nicht mehr, wie das war und was das macht mit den Menschen? Wie sie misstrauisch werden, wie sie Angst haben, zu reden und zu schreiben, zu tun und zu lassen, was sie eigentlich wollen und was rein theoretisch auch nach DDR-Verfassung erlaubt war? Haben Sie das alles vergessen? Wollen Sie in einem Land leben, in dem die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind und nicht mal Sie selbst als Kanzlerin wissen, was da abgeht und wer Sie abhört? Wollen Sie die Kanzlerin sein, die ihr Land schutzlos den Cyberwar-Attacken ausländischer Geheimdienste ausliefert? Die Architektin eines neuen deutschen Überwachungsstaats? Wollen Sie das wirklich?
Ich habe gesagt, die Überwachung fühlt sich für mich heute so ähnlich an, wie damals bei der Stasi. Aber eine Botschaft möchte ich Frau Merkel und allen andern auch noch mitgeben: Etwas ist heute anders. Wir haben ein historisches, kollektives Gedächtnis und in diesem Gedächtnis, da ist festgeschrieben, dass wir damals gesiegt haben. Dass wir uns gewehrt haben gegen diesen Überwachungsstaat und dass es nicht möglich war, ihn aufrecht zu erhalten. Und genau das, das machen wir nochmal!
Frau Merkel, Sie sind unsere Kanzlerin – zumindest noch. Übernehmen Sie endlich Verantwortung als Kanzlerin und oberste Chefin der Geheimdienste! Das ist ein falscher Moment zum Aussitzen, zum Schweigen, zum Heucheln und zum das Volk belügen! Wir merken es nämlich trotzdem! Zeigen Sie, dass Sie die Lektionen aus der DDR gelernt haben und sich noch erinnern, wie falsch Überwachung ist und wie gefährlich. Wie wenig das mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Wie es uns verändert und die Wurzeln der Demokratie kaputt macht!
Wollen Sie in einem Land leben, in dem das Volk Angst vor der eigenen Regierung hat? Schon wieder?! Sie wissen doch, wie sich das anfühlt! Egal wie, wir werden uns wehren! Wir werden weiter auf die Straße gehen! Wir werden nicht Ruhe geben, bis unsere Grundrechte wieder gelten!
Ich habe auf change.org eine Petition gestartet an das EU-Parlament und an die Europäische Kommission. Der Link steht hier unten: change.org/prism. 44.000 Menschen hatten diese Petition bis gestern schon unterschrieben. Die kann man nicht einfach ignorieren! In dieser Petition steht drin, dass wir uns Transparenz wünschen über das, was gelaufen ist. Wir wollen ja nicht nur, dass es aufhört, wir wollen überhaupt erst einmal verstehen, was da abgeht. Es ist ja nicht nur so, dass Frau Merkel keine Ahnung hat. Wir wissen ja auch nichts. Keiner weiß ja was. Der BND nicht, der Verfassungsschutz, alle haben keine Ahnung gehabt: “alles aus den Medien gelesen”. Bis man es dann ein paar Tage später selbst anders in den Medien liest.
In dieser Petition steht auch drin, dass wir ein internationales Überwachungsabrüstungsabkommen wünschen. Deutschland ist eine starke Kraft in der EU. Es spielt eine Rolle, ob sich eine Kanzlerin hinter so ein Ziel stellt, oder nicht. Es mag sich anhören wie eine unrealistische Zukunftsvision. Aber nukleare Abrüstung hat auch mal klein angefangen, sie ist noch nicht abgeschlossen, aber wir haben Fortschritte gemacht. Und solche Fortschritte brauchen wir wieder!
Und noch ein Letztes möchte ich Kanzlerin Merkel mitgeben: Wir leben heute nicht nur mit der Erinnerung an unseren damaligen Sieg gegen die Überwachungsgesellschaft, wir leben heute auch in einem Land, dass sich „Neuland“ nennt. Wir können uns heute viel besser vernetzen, mobilisieren und Transparenz herstellen. Notfalls von unten. Wir kriegen alles raus! Es gibt Menschen, wie Snowden, die dafür sorgen, die Whistleblower sind und unseren Schutz brauchen. Geheimdienste können nicht mehr richtig geheim sein. Die Überwacher werden jetzt auch überwacht und zwar von uns allen!
Kanzlerin Merkel, wir lassen Ihnen die Erosion unserer Grundrechte nicht durchgehen! Wir sind Piraten! Wir werden außerparlamentarisch und im Bundestag das Salz in der Wunde sein, um die Demokratie wieder zu schützen. Sie werden uns wegwünschen, aber nicht wegbekommen.
Wir sind Piraten, wir sind gekommen, um zu bleiben!

Sag noch mal einer, die Piraten sind eine Männerpartei 🙂 An dem nachstehenden Foto sieht man unschwer, das das wohl nicht (mehr) zutrifft. Zwei weitere Rednerinnen der Abschlusskundgebung sind auf diesem Bild zu sehen – 3. von links ist Cornelia Otto, Spitzenkandidatin für das Land Berlin und rechts neben ihr ist Melanie Kalkowski, die Spitzenkandidatin von Nordrhein-Westfalen, direkt neben mir steht Christiane Schinkel, der wir die schönen Demoschilder zu verdanken hatten.

Foto: Markus Hoffmann

Foto: Markus Hoffmann


Hier noch einige weitere Links: