Zu Besuch im Europäischen Parlament – Teil 1 – "Copyright Frühstück" – Lobbyismus in Aktion

Foto: www.goveto.orgvrnl: Martin Ehrenhauser (MEP), Julia Reda, Fotio Amanatides und ich

Foto: www.goveto.org vrnl: Martin Ehrenhauser (MEP), Julia Reda, Fotio Amanatides und ich


Zwei Tage lang habe ich gerade im EU Parlament in Brüssel verbracht, mich mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht, am 20.03. zusammen mit unseren Spitzenkandidat*innen Julia Reda und Fotio Amanatides drei Europa-Abgeordnete (Martin Ehrenhauser – unabhängig, sowie Amelia Andersdotter und Christian Engstrom von der Schwedischen Piratenpartei) und mehrere Mitarbeiter von Abgeordneten (Grüne und Piraten) getroffen, ihnen allen Löcher in den Bauch gefragt, nebenbei einen kleinen Film für wepromise.eu gedreht, und dann die Gründung der Europäischen Piratenpartei miterlebt und die daran anschließende Internet Governance Konferenz am 21.03.2014 besucht.
Fotoshooting wepromise.eu

Fotoshooting wepromise.eu


Mattias Bjarnemalm, Mitarbeiter im Europäischen Parlament, hatte nicht nur alles für uns organisiert sondern sich auch vor Ort als gute Seele um uns gekümmert. Das war auch gut so, denn ich hätte mich in den Labyrinthen des Europäischen Parlamentes wohl oft verlaufen.
Aber eins nach dem anderen. Ich werde in mehreren Blogtexten davon berichten. Gestern habe ich bereits die Reden veröffentlicht, die ich für meinen erkrankten Mann und Peter Sunde, Gründer der Pirate Bay und finnischer Spitzenkandidat der Piratenpartei für die EU Wahlen, gehalten hatte.
In diesem Beitrag geht es um eine kleine Schule in Lobbyismus  und um die anstehende Urheberrechtsreform, mit der sich die nächste Legislatur beschäftigen wird.Logo PPEU
 
Lobby-Frühstück zur Copyright Reform mit Amelia Andersdotter
Einen sehr authentischen Eindruck von der klassischen Lobbyarbeit im Parlament bekam ich gleich am morgen nach meiner Ankunft in Brüssel: Amelia Andersdotter, schwedische Europaabgeordnete der Piratenpartei, war gemeinsam mit zwei Verbänden Gastgeberin eines „Copyright-Breakfast“, das schon früh um 08:00 Uhr begann und zu dem etwa 25-30 Vertreter von Verbänden, Institutionen, Unternehmen oder Parteien erschienen. Es gab ein paar kurze Vorträge zum Thema Copyright Reform in Europa mit dem Schwerpunkt Bibliotheken und Archive und einem Bezug zu einer Internationalen Regelung auf der Ebene der WIPO (World Intellectual Property Organisation). Ich habe in dieser Stunde eine Menge gelernt. Viele Hindernisse, die das veraltete Copyright verursacht, waren mir schon bewußt, aber ich habe von noch mehr Seltsamkeiten des aktuellen Rechts erfahren, die dringend einer Reform bedürfen.
Amelias Büro im EU Parlament von außen

Amelias Büro im EU Parlament von außen


So beklagten sich Vertreterinnen internationaler Bibliotheksverbände darüber, dass internationale Kooperationen zwar immer wichtiger aber auch immer komplizierter werden, weil es kein einheitliches Lizenzrecht gibt und selbst das Indizieren und Durchsuchen vorhandener elektronischer Archive dem Urheberrecht unterliegt und oft nicht auf legalem Wege stattfinden kann. Überhaupt bewegten sich die Hüter*innen großer digitaler Sammlungen stets am Rande der Illegalität, das Urheberrecht wirke als Forschungsverhinderungsrecht, das Zugang zu Wissen selbst für Forschende erschwert. Eine der Hauptaufgaben von Archiven – das Erhalten ihrer Sammlungen für die Zukunft – ist rechtlich besonders schwierig, denn dazu müssen digitale Werke oft in andere Formate umgewandelt werden und das ist fast immer ein Verstoß gegen das Urheberrecht.
Es gibt große bedrohte Bibliotheken, die ihre Archive daher auslagern, z.B. aus dem Kongo oder zur Zeit der Taliban aus Afghanistan nach Paris. Dort sind diese Sammlungen zwar sicher, aber wenn jemand etwa aus den Ursprungsländern dieser Kulturgüter Zugang dazu haben möchte, dann gibt es dafür keine Rechtsgrundlage. Dringlich waren die Appelle, die unter anderem von der Vertreterin des internationalen Verbandes der Forschungsbibliotheken kam. Die Befürchtung ist groß, dass wieder einmal eine Urheberrechtsreform vor allem die Interessen von Industrien widerspiegelt aber nicht der Zivilgesellschaft und damit eine Gemeinwohlorientierung.
In den letzten 100 Jahren gabe es 8 internationale Urheberrechtsverträge, die die Interessen der Rechteinhaber verstärkten. Es gab jedoch nur einen einzigen – und den erst im Jahr 2013, der im Interesse der Zivilgesellschaft entstand – er regelte die Rechte bei der Erstellung von Lesematerial für Sehbehinderte und Blinde, erst am Vortag des Frühstücks, am 19.3.2014, hatte der Europarat entschieden, den diesbezüglichen Entwurf der EU Kommission zu unterschreiben.
Eine Vertreterin der Kommission lobte die intensive Einbeziehung der Zivilgesellschaft in den letzten Monaten, die dazu diene, einen besseren Einblick in den Reformbedarf zu bekommen. Piratenabgeordnete Amelia Andersdotter drückte sich zwar gewählt und diplomatisch aus, aber ihre Kritik blieb dennoch sehr deutlich: Aus Kreisen der Kommission sei verlautbart worden, dass eine Beteiligung an der Online Befragung eigentlich sinnlos sei, da man an Feedback nicht sonderlich interessiert ist. Diese Informationen wurden noch vor Ende der Beteiligungsfrist bekannt und hätten einen negativen Einfluss auf die Bereitschaft an Beteiligungen und sendeten ein maximal negatives Signal. Eine solche Einstellung wurde von der Kommissionsvertreterin selbstverständlich vehement abgestritten. Meine Meinung dazu war, dass wir ja alle sehen werden, wie ernst es die Kommission mit dem Bürgerfeedback meint, denn die über 11.000 eingereichten Rückmeldungen europäischer Bürgerinnen und Bürger sollen veröffentlicht werden, so dass nachvollziehbar wird, in wie weit die Meinung der Menschen Berücksichtigung fand. Dieser Prozess soll aber noch ein paar Wochen dauern. Für Ende Juni wurde jedoch ein Whitepaper der Kommission dazu angekündigt.
HP Help reform Copyright

HP Help reform Copyright


Dass es so viele Rückmeldungen wurden – 4.000 kamen in den letzten 24 Stunden – ist ein Verdienst von Amelia Andersdotter, die die Website http://copywrongs.eu/ www.savetheinternet.eu initiierte. Diese Plattform stellte in neun Sprachen ein Webfrontend bereit, in dem man besonders einfach Orientierung für die Online Beteiligung der EU finden konnte. Über alle Piratenkanäle in Europa wurde zur Beteiligung aufgerufen.
** Update 24.03.2014: Nach einem Kommentar zu diesem Blogtext wurde die Entwicklung der Website (richtig ist copywrongs.eu) von Amelia angestoßen und durch einen Workshop beim Kongress des Chaos Communications Club 30c3 von einer Gruppe österreichischer Piraten auf Basis der Arbeit eines Mitglieds der deutschen Open Knowledge Foundation (die mit youcan.fixcopyright.eu auch massiv zur hohen Anzahl an Antworten beitrugen) umgesetzt. Zu den Piratenkanälen, die europaweit für die Beteiligung trommelten, gehörten auch isländische Piraten – in der Tat ein sehr schönes Beispiel für Kollaboration in der internationalen Piratenbewegung.**
Hoffen wir, dass diese massive Mobilisierung Erfolg hat und es eine Urheberrechtsreform geben wird, die nicht nur die Interessen großindustrieller Rechteinhaber der Unterhaltungsbranche vertritt. Passend dazu habe ich gerade einen Text zu einem Interview mit Cory Doctorow auf irights.info gefunden. Mein Lieblingszitat daraus:

„Der Zweck des Urheberrechts aber liege nicht darin, „dass fünf Hollywoodstudios, drei Majorlabels und fünf Großverlage solvent bleiben“. Er liege vielmehr darin, dass die „größte Zahl an Menschen die größtmögliche Anzahl unterschiedlichster Inhalte produzieren und damit verschiedenste Menschen erreichen kann“.

Eine der Lobbyistinnen, Susan Reilly, kam von der European Association of European Research Libraries, LIBER. Sie sieht enorme Risiken für den Forschungsstandort Europa, der nicht Schritt hält mit der Entwicklung technischer Möglichkeiten:

„As the infrastructure evolves to accommodate rapid advances in information technology, an explosion in the production of data and a culture shift towards collaboration and openness, so too must the surrounding policies and legislation. So far, however, the evolution of copyright and associated intellectual property legislation has not kept pace with the digital age. Without significant changes to European legislation, Europe’s research potential will not be fully realised.“

Die Hauptforderungen dieses Verbandes ist eine Orientierung eines modernen Urheberrechts an folgenden Grundprinzipien:

  • Zugang und Nutzung von öffentlich finanzierter Forschung sollte nicht durch Urheberrecht unangemessen erschwert werden
  • Urheberrecht soll Innovation und Wettbewerbsfähigkeit fördern – nicht behindern
  • Der Erhalt und der Zugang zum kulturellen Erbe muss durch Ausnahmen vom Urheberrecht unterstützt werden

Eine Stellungnahme von LIBER mit den darüber hinaus geforderten Maßnahmen findet sich HIER. Ebenfalls dabei war Ellen Broad, Manager Digital Projects and Policy, bei der International Federation of Library Associations and Institutions, einem Verband, der zu den Gastgebern des Copyright Frühstücks gehörte (IFLA hat auch einen Bericht zu diesem Copyright Frühstück verfaßt).. Ihre Position war so ähnlich wie der Interessenshintergrund. Auch von der IFLA gibt es ein Statement zur Dringlichkeit der Copyrightreform, gerichtet an die World Intellectual Property Organisation, zu deren Entscheidungsmeetings auch die EU eine Delegation entsendet. Daran sollte auch ein*e Vertreter*in für die Bibliotheken teilnehmen – so die Forderung von Ellen Broad – damit die Interessen derer vertreten werden, die Forschung und Zugang zu Wissen einfach machen wollen, für möglichst viele Menschen.

beim Betrachten eines Models des EU Parlamentes (Foto: XXXX)

beim Betrachten eines Models des EU Parlamentes (Foto: Uwe Stein/ @mitkrieger)


Ich habe während meiner früheren beruflichen Tätigkeit ab und zu an Terminen teilgenommen, die man auch in Schublade „Lobbymeeting“ einsortieren könnte. Einmal war ich sogar in Brüssel mit Vertretern der ITK Industrie aus Deutschland. Wir trafen eine EU Kommissarin beim Abendessen (ich erinnere mich daran, dass sie einen flammenden Vortrag über Open Data gehalten hat), besichtigten Schauplätze der Politik und der eine oder andere Industrievertreter tat das, wozu er da war, offensiv die Interessen der Industrie vertreten. Zivilgesellschaft war nicht anwesend damals. Dieses Frühstück mit Amelia Andersdotter erschien mir anders, hier waren die Interessensvertreter für das Gemeinwohl eindeutig in der Überzahl. Es zeigte sehr deutlich, dass nicht jeder Lobbyismus schlecht ist. Auch das Gemeinwohl braucht Stimmen in Brüssel.
Leider ist das wohl immer noch die Ausnahme. Am Tag danach sprach E. Moody bei der Internet Governance Conference im EU Parlament, die ebenfalls auf Einladung von MEP Andersdotter stattfand. Seine Worte sinngemäß:

„Ich habe sehr oft an Terminen teilgenommen, die die EU organisierte, um die Zivilgesellschaft anzuhören. Selbst auf diesen Terminen habe ich regelmäßig Zweidrittel Vertreter der Großindustrie angetroffen, die stets eine Mehrheit bildeten gegenüber den tatsächlichen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Dieses System ist strukturell kaputt.“

Genau dieses Strukturproblem macht die Präsenz von Piraten im Europaparlament so wichtig. Amelia zeigt, wie viel Unterschied eine einzelne Abgeordnete machen kann. Sie ist mir ein Vorbild.
Die Position der Piratenpartei zum Urheberrecht aus unserem Wahlprogramm für die Europawahl findet man übrigens HIER.
Teil 2 meines Berichts zum Besuch im EU Parlament mit vielen Eindrücken vor Ort und zu Gesprächen mit Abgeordneten des EU Parlamentes findet sich HIER.
Teil 3 des Berichts mit Bezug auf die Gründung der PPEU und den EU Wahlkampfauftakt gibt es HIER.