Dies ist Teil 2 meiner Berichte zum Besuch im Europäischen Parlament vom 19-22.03.2014. In Teil 1 habe ich über Lobbyismus und das Thema Copyright geschrieben. In diesem Teil soll es um die Eindrücke am gleichen Tag gehen. In einem dritten Teil schreibe ich zur Gründung der European Pirateparty und zur Internet Governance Conference, die am 21.03.2014 stattgefunden haben.
An meinem ersten Besuchstag im Europaparlament haben wir, Julia Reda, Fotio Amanatides und ich, mehrere Mitglieder des Europaparlaments und Mitarbeiter treffen können. Von allen Gesprächen habe ich sehr profitiert.
Unser Tag sah in der Übersicht so aus: Donnerstag, 20.03.2014
- 08:00 Meet up am EU Parlament, Eingang Rue Wiertz, Akkreditierung
- 08:30-10:00 Copyright Breakfast mit MEP Amelia Andersdotter. Member Salon
- 10:00-10:45 Abstimmung deutscher Piratenpartei Kandidat*innen (Julia, Fotio, Anke).
- 10:45-11:30 Führung durch das EU Parlament mit Mattias Bjarnemalm, Mitarbeiter im EU Parlament, Gespräch mit Christian – Mitarbeiter der Grünen-Fraktion für die Piraten-MEPs
- 11:30-12:30 Video-shooting für wepromise.eu pledge mit Fotio und Anke
- 12:30-14:00 Lunch mit MEP Martin Ehrenhauser
- 14:15-14:30 Foto-shooting mit Team von wepromise.eu (goVeto)
- 14:30-16:00 Meeting mit MEPs der schwedischen Piratenpartei: Amelia Amersdotter und Christian Engström
- 16:00-16:45 Kaffee mit Strategieberater der Grünen-Fraktion Eduard Gaudot
- 18:30-20:00 European Pirates Internet Governance Conference – opening event
Das Gebäude des Europa-Parlamentes besteht eigentlich aus mehreren Gebäuden, die teilweise über Brücken miteinander verbunden sind. Die meisten Teile sind hell und freundlich, hier und da steht ein riesiges Kunstelement herum. Das hier abgebildete soll sogar im ganzen Haus Töne verbreiten, wenn man an eine der Stangen schlägt ;-). Ohne Mattias, unserem „Reiseführer“ mit Insiderkenntnissen, wären wir sehr schnell in all diesen Gängen verloren gegangen. Er zeigte uns Bereiche, in die man als normale Besucher gar nicht kommt, die Fraktionsbüros der Grünen-Fraktion zum Beispiel, die diversen Cafés (es gibt sogar eines, das Mickey Mouse heißt), und die Labyrinthe, die alle möglichen Gebäudeteile miteinander verbinden.
Eindrucksvoll war die „Newsstation“ (wie der Ort tatsächlich heißt, weiß ich nicht – Update: Julia wußte es, es heißt „voxbox“). Dieser Counter sah jedenfalls aus wie eine TV Station, mit vielen flimmernden Bildschirmen, auf denen Interviews oder Einspieler liefen, Menschen, die wie Moderatoren oder Berichterstatter aussahen herumsaßen, und einem hinteren Gelände, in dem man jederzeit einen fertigen Hintergrund hatte für eine beliebige EU Talkshow, ein Interview oder was auch immer. Im diesem Bild steht Julia Reda, unsere Spitzenkandidatin daneben – wenn sie gewählte MEP ist (dafür reichen 0,5%!) – wird sie dort bestimmt noch oft stehen :-).
Die Glasgänge hatten es mir angetan – nachstehend nur eines von vielen Bildern, die ich dort gemacht habe. Im Foto: Julia Reda mit Martin Ehrenhauser. Ein wenig spacig sah es dort schon aus. Mir gefiel der transparente Charakter dieser Architektur.
Mit Martin Ehrenhauser – fraktionsloses Mitglied des EU Parlaments – sind wir in der Mittagspause in die Sonne gegangen. In einem Imbiß haben wir uns ein paar Kleinigkeiten geholt, die wir in einem Park in der Nähe als Picknick verspeist haben. Nebenbei haben wir uns über Alltag im Europa Parlament unterhalten, über Fraktionspolitik und solche Dinge.
Ernster wurde es wieder nach dem Mittag, als wir mit den Piraten-MEPs Amelia Andersdotter und Christian Engstrom zusammen trafen. Nicht alles, was wir erfuhren, war ermutigend und machte Lust auf Europapolitik. Aber besser, man weiß vorher, was einen erwartet. Spannend war für mich, was die beiden MEPs erreichen konnten und in wie weit man überhaupt als einzelne Person dort einen Unterschied machen kann.
Gerade beim Widerstand gegen ACTA haben die beiden Parlamentarier jedoch viel erreichen können. In der Grünen-Fraktion, der die Piraten angehören, gab es keine besonderen Netzpolitik Kompetenzen, erst auf Bestreben der Piraten MEPs wurde ein Mitarbeiter dafür eingestellt.
Die Piraten-MEPs sorgten dafür, dass die Zivilgesellschaft Druck auf einzelne Abgeordnete machte, dass Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen entstanden, sie bereiteten den Boden innerhalb des Europa Parlamentes, auf den dann der externe Druck durch weltweite Anti-ACTA Proteste traf – so wurde der Widerstand besonders effektiv und am Ende kippte ACTA. Amelia Andersdotter hatte als Rapporteurin des Industrie-Ausschusses in diesem Gremium ein Proposal eingereicht, das einer der Sargnägel für ACTA wurde.
Amelia riet uns, im Wahlkampf verstärkt auf das Thema Copyright zu setzen, denn das Parlament kann sich nicht selbst aussuchen, welche Themen auf seine Tagesordnung kommen, da nur die Kommission das Initiativrecht für Gesetze hat. Bei einigen Themen steht jedoch schon fest, dass die kommende Legislatur sie auf den Tisch bekommt – dieses gehört dazu. Wir lernten, dass jede*r MEP Vollmitglied in einem der 20 Ausschüsse ist und stellvertretendes Mitglied in einem weiteren. Wer in welchen Ausschuss kommt, ist Verhandlungssache – vor allem innerhalb der Fraktion, der man angehört, denn jede Fraktion hat nur eine begrenzte Anzahl Ausschußmitgliedschaften zu verteilen. Mit einem Thema befasst sich meist ein Ausschuss federführend, andere arbeiten ggf. zu etwa durch Stellungnahmen. Beim Urheberrecht wird die Federführung wohl der Rechtsausschuss haben aber der Kultur und Bildungsausschuss und weitere werden Zuarbeit leisten.
Wir haben auch gefragt, welche Erfahrungen die MEPs gesammelt haben, von denen sie sich gewünscht hätten, sie hätten sie früher davon gewußt. Hier sind ein paar dieser Tipps (manche finde ich traurig):
- Was immer Ihr sagt – geht davon aus, dass es auf die negativst mögliche Weise ausgelegt werden wird
- Was immer Ihr versprecht – geht davon aus, dass es nie vergessen wird und auch unter widrigsten Bedingungen eingefordert
- Vertraut nicht darauf, dass die Brüsseler Administration Euch die richtigen Prozessinformationen rechtzeitig zur Kenntnis gibt – stellt sicher, dass sich Eure Mitarbeiter*innen darum kümmern, dass alle erforderlichen Schritte frühzeitig bekannt sind
- Vertraut nicht darauf, dass sich politische Gegner an die Regeln halten – sie werden tricksen, wo immer es geht
- Delegiert alles, was mit Admin zu tun hat – Ihr braucht jede Minute für die inhaltliche, politische Arbeit; Ihr werdet immer zu viele Akten auf Eurem Tisch liegen haben
- Erarbeitet Euch die Historie von Anträgen/Akten, die Ihr auf den Tisch bekommt, oft vermittelt die mehrjährige Entwicklungsgeschichte bestimmter Proposals ein besseres Verständnis, auch dazu, wie man die Inhalte entsprechend der eigenen politischen Schwerpunkte beeinflussen kann – und wie man das am besten anstellt.
- Es gibt kaum MEPs, die ein Transparency Log pflegen – es ist aufwändig und die Grauzonen sind groß. Laßt Euch beraten von NGOs, die Expertise haben – von Transparency oder Lobby Control, wie man das am besten macht.
Illusionen hatten wir bestimmt alle keine, aber trotzdem war es nicht besonders ermutigend, vor allem Warnungen zu erhalten. Ich bin froh, dass wir mit einem guten Team einziehen werden – gemeinsam sind wir stärker.
Am Abend des 20.03.2014 begann die Internet Governance Konferenz der European Pirateparty – die Rede, die ich dort für meinen Mann Daniel und für Peter Sunde, den Gründer der Piratebay und Spitzenkandidat der finnischen Piratenpartei für die EU Wahlen gehalten habe, habe ich bereits HIER veröffentlicht. In meinem 3. und letzten Bericht zum Besuch im Europäischen Parlament werde ich über die Fortsetzung der Internet Governance Konferenz am 21.3.2014 und die am gleichen Tag stattfindende Gründung der European Pirateparty schreiben.
Den ersten Teil meines Berichts zum Besuch im EU Parlament, der sich vor allem mit Lobbyismus und der Urheberrechtsreform befaßt, gibt es HIER.
Teil 3 meines Berichts zum Besuch im EU Parlament zu Gesprächen mit Abgeordneten und vielen Eindrücken vor Ort gibt es HIER.