Immer weiter dreht sich die Spirale mit haarsträubenden Neuigkeiten rund um die Ermittlungen des (inzwischen ehemaligen) Generalbundesanwalts Range gegen zwei Journalisten des Politblogs Netzpolitik.org und ihre bisher unbekannte Quelle wegen Landesverrats. Landesverrat – die dickste und härteste Keule, die es gegen Journalisten gibt – Mindeststrafe: Ein Jahr Gefängnis.
Aktuell am irritierendsten ist der Umstand, dass vollständig intransparent ist, wann welche Behörden (und wer darin) was erfahren hat, wie und wann darauf reagiert wurde. Es gibt dazu ein verwirrendes Geflecht sich widersprechender Aussagen – mal aus der gleichen Behörde, mal von Behörden, die sich gegenseitig widersprechen. Als Bürger*in verliert man da sehr schnell den Überblick – so wie ihn längst alle Berichterstatter*innen auch verloren haben (eine Chronologie der Ereignisse findet sich auf Tagesschau.de). Die neueste Drehung der Spirale: nachdem das BMI erst öffentlich erklärte, nicht gewusst zu haben, dass sich die Landesverratsermittlungen gegen zwei Journalisten richteten, meldete die Tagesschau am 6.8.2015, das BMI hätte doch frühzeitig gewusst, gegen wen sich das Verfahren richtete. Wenige Stunden später das Dementi: Nein, so sei es doch nicht, nie hätte man verlautbart, keine Ahnung gehabt zu haben. Darin steckt die Aussage: ja, wir haben alles ganz genau gewusst, wochenlang, aber haben nichts dagegen getan, diesen Angriff auf die Pressefreiheit zu stoppen.
Nachdem der Generalbundesanwalt Range durch diese Affäre bereits seinen Job verlor, richtet sich nun folgerichtig das Augenmerk auf die anderen Beteiligten. Die Vermutung liegt nahe, dass er nur ein Bauernopfer war (67 Jahre alt, ein paar Monate vor dem Ruhestand ein verschmerzbares Opfer), von dem sich die Regierungskoalition erhofft, dass es reicht, die aufgebrachte Medienlandschaft zu beruhigen und die Grundrechtsaktivisten wieder von der Straße zu bringen.
Aber das sollte ihr hoffentlich nicht gelingen, denn viel zu offensichtlich trägt Harald Range nur einen Teil der Verantwortung, vermutlich nicht einmal den größten. Da steht an erster Stelle der Präsident des Amtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der die Ermittlungen anstieß. Er steuerte auch gleich noch ein Gutachten bei, in dem wenig überraschenderweise stand, dass die Veröffentlichung des Haushaltes des Verfassungsschutzes auf der Plattform Netzpolitik.org sehr wohl der Verrat eines Staatsgeheimnisses sei, geeignet dem Staat schweren Schaden zuzufügen.
Ihm folgt der Innenminister Thomas de Maizière,
Wie viele andere wüsste ich gern, was da genau gelaufen ist und ob unser Justizminister die Pressefreiheit auch dann vehement verteidigt hat, als noch nicht jeder dabei zuschaute. Ich habe deshalb über www.fragdenstaat.de eine Anfrage an das Bundesjustizministerium gestellt, mit der Bitte um Herausgabe der Kommunikation zwischen dem GBA und Heiko Maas (siehe: https://fragdenstaat.de/anfrage/kommunikation-zwischen-heiko-maas-bjm-und-gba-runge-zu-landesverrat-ermittlungen-gg-netzpolitik/). Ich bin gespannt auf die Antwort, die offenbar auf anderen Wegen nicht erhältlich ist.
Aber neben einer Aufklärung des gesamten Sachverhaltes, sehe ich noch eine ganze Menge weiteren Handlungsbedarf:
1) Die Ermittlungen gegen Netzpolitik müssen endlich eingestellt werden!
Immer noch stehen zwei Journalisten in einem Ermittlungsverfahren wegen Landesverrat, sie gelten mithin als potenzielle Landesverräter. Dieser Zustand ist schnellstmöglich zu beenden und zwar begleitet von einer unmissverständlichen Entschuldigung der Bundesregierung wegen dieses falschen Verdachtes.
2) Jede Überwachung von Netzpolitik.org und seinen Mitarbeiter*innen ist einzustellen, vorhandenes Material ist zu löschen.
Journalist*innen können ihrer Arbeit nicht frei nachgehen, wenn sie überwacht werden. Die Überwachung von Journalist*innen führt zu einem nachgewiesenen “Chilling Effekt”. Sie stellt einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dar – einen Eingriff, der nicht in eine Demokratie gehört. Ergebnisse eventueller Überwachung von Netzpolitik Mitarbeiter*innen sind sofort zu löschen.
3) Endlich her damit: Whistleblowerschutzgesetz
Mehrfach gab es schon Anläufe für ein Whistleblowerschutzgesetz im Bundestag, jedes Mal erfolglos. Aber in Zeiten, in denen es mehr denn je offensichtlich ist, dass die Öffentlichkeit und selbst das Parlament wichtige Informationen über Fehlentwicklungen in einer Demokratie über Whistleblower erfahren haben, muss ihre Kriminalisierung ein Ende haben. Nicht Einschüchterung von Whistleblowern, wie es dieses unsägliche Verfahren darstellt, sondern ihre Ermutigung und rechtliche Absicherung ist durch ein demokratisches Rechtssystem umzusetzen. Leider geht der Trend bisher in die falsche Richtung. So enthält der Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung einen Passus zur “Datenhehlerei”, der sich prima für die Kriminalisierung von Whistleblowern eignet. Sehr lesenswert zum Thema ist dabei der Text “Whistleblowing und ziviler Ungehorsam im demokratischen Verfassungsstaat” des ehemaligen Bundesrichters Dieter Deiseroth aus Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 1-2/2014, S.4-9.
4) Diskurs über Überwachungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes
Erinnern wir uns daran, worum es im Fall “Landesverrat” eigentlich ging: Netzpolitik.org hatte den Haushalt des Amtes für Verfassungsschutz veröffentlicht, aus dem hervorging, dass mehrere Millionen Euro in die massenhafte Überwachung sozialer Netze investiert werden sollen (siehe: https://netzpolitik.org/2015/geheimer-geldregen-verfassungsschutz-arbeitet-an-massendatenauswertung-von-internetinhalten/ und https://netzpolitik.org/2015/geheime-referatsgruppe-wir-praesentieren-die-neue-verfassungsschutz-einheit-zum-ausbau-der-internet-ueberwachung/). An der Verfassungsmäßigkeit dieser Art von Überwachung durch einen Inlandsgeheimdienst bestehen jedoch große Zweifel, da sie ebenfalls einen enormen Eingriff in demokratische Grundrechte bedeutet. Gerade solche Entscheidungen bedürfen daher eines intensiven Diskurses – einer parlamentarischen und einer breiten gesellschaftlichen Debatte. Erst jetzt, wo wir diese Informationen haben, können wir überhaupt eine solche Debatte führen – ohne Whistleblower, ohne die Quelle von Netzpolitik.org hätte es nie dazu kommen können, auch deshalb ist Forderung 3 so wichtig. Aber bei aller Diskussion um den Vorgang der Landesverratsermittlung sollten wir den Auslöser inhaltlich nicht aus den Augen verlieren. Wir sollten uns immer dessen bewusst sein, dass die Kombination von Massenüberwachung mit einer Einschränkung der Pressefreiheit eine geradezu archetypische Charakteristik eines undemokratischen Staatssystems ist. Wir müssen beide dieser gefährlichen Medaillenseiten gleichermaßen bekämpfen, wenn wir unsere Demokratie behalten wollen.
5) Verfolgung des Spionageverdachts gegen ausländische Geheimdienste durch Generalbundesanwalt
Der neu eingesetzte Generalbundesanwalt sollte seine Energie – anders als sein Vorgänger im Amt – nicht zur Verfolgung von Whistleblowern und Journalisten einsetzen sondern endlich in der Sache Spionageaufklärung aktiv werden. Range hat dazu immer wieder erklärt, ihm fehlten die Beweise für Ermittlungen nach Anfangsverdacht, selbst die Hinweise auf die Überwachung des Handys der Bundeskanzlerinnen fand er nicht ausreichend. Dieses eklatante Ungleichgewicht in der Behandlung von Verdachtsfällen, diese unerträgliche Unterpriorisierung der Massenüberwachung eines ganzen Landes durch einen fremden Geheimdienst sowie der offensichtliche Einsatz von Wirtschaftsspionage, muss endlich einer selbstbewussten Aufklärung weichen. Diese überfällige Ermittlung muss auch die Verwicklung deutscher Behörden und Geheimdienste in den NSA Skandal aufdecken.
6) Reform der Rechtsnormen rund um den “Landesverrat”
Der Strafbestand “Landesverrat” ist ein Relikt des Kalten Krieges, in der Form hat er sich heute überlebt. Diesbezügliche Rechtsnormen sind daher dahingehend zu überarbeiten, dass sie keine Handhabe mehr darstellen, die Pressefreiheit einzuschränken. Ein Fall wie die Ermittlung gegen Netzpolitik.org darf sich nicht wiederholen.
Kurz gefasst: es gibt noch viel zu tun. Verteidigen wir gemeinsam die hohen Ansprüche an die gelebte Demokratie in unserem Land und wiederholen unsere Forderungen, solange bis sie umgesetzt sind.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von Demokratie Plus.
Nachträgliche Konkretisierung: Bundesinnenminister de Maizière ließ erklären, dass er selbst tatsächlich erst aus der Presse von den Ermittlungen erfahren hätte. Insofern konnte er das Ermittlungsverfahren auch nicht persönlich billigen. Etliche Beamte seines Hauses hatten jedoch wochenlang Kenntnis und auch keinerlei Probleme mit den Ermittlungen gegen die beiden Journalisten. Der Bundesminister trägt natürlich trotzdem die Verantwortung für seine Behörde, für ihre Fehlentscheidungen als auch dafür, dass ihre Mitarbeiter*innen nicht in der Lage waren, Prioritäten zu erkennen und ihn über so wichtige Vorkommnisse zu informieren.