Und so war es: 24 Stunden unter Beobachtung im Gläsernen Mobil

Gestern fuhr das Gläserne Mobil weiter nach Schwedt – 24 Stunden lang hatte es zuvor in Fürstenberg/Havel auf dem Marktplatz gestanden und ich habe darin gewohnt – von drei Seiten einsehbar für alle (siehe Ankündigungstext HIER).
Bauzaunplane GLM Montage
Am 04.09.2013 um 17:00 ging es los – das Mobil wurde aufgestellt, unsere „Stoppt den Überwachungsstaat“ Bauzaunplane an der Rückseite befestigt (dabei mußte ich klettern), die Möbel darin hergerichtet, Teekanne, Lesestoff und eine Schale Tomaten aus dem Garten kamen auf den Tisch. Anfangs waren wir zu dritt – neben mir waren mein Mann Daniel dabei und Friedrich Schumann, beide engagiert für das Thema Überwachung, beide Piraten – sogar im Landesvorstand. Schon bald bekam das Gläserne Mobil viel Besuch, die Sonne schien auf den Marktplatz von Fürstenberg – der leer und übersichtlich war und auf dem unser Gläsernes Mobil ein Hingucker war.
Gläsernes Mobil bei NachtVor allem junge Fürstenberger aber auch Besucher aus Polen (Austauschschüler am Carolinum in Neustrelitz, die in Fürstenberg ein Gastzuhause gefunden haben) kamen mit uns ins Gespräch. Richtig voll wurde es nach 20:00 als Verstärkung von Berliner Piraten dazustieß. Darunter Mirco und Flow, die ein Interview mit mir für die Reihe PirateTaxiTV (Folge 6) im Gläsernen Mobil gedreht haben.

YT-PirateTaxiTV Folge 6 GLM

Natürlich ging es vor allem um das Thema Überwachung aber auch um das Gläserne Mobil selbst und die Bundestagswahl. Auch ein Journalist der Märkischen Allgemeinen Zeitung war schon einmal da, um sich das Gläserne Mobil bei Nacht anzuschauen, am kommenden Tag kam er noch einmal vorbei. Gegen Mitternacht wurde es ruhiger – aber nur was die Besucher anging. Der Rest der Nacht war laut, sehr laut, denn ununterbrochen bretterte ein LKW nach dem anderen durch die Nacht und ich vermute alle miteinander mit stark überhöhter Geschwindigkeit.
Die Nacht im Gläsernen Mobil war ja ohnehin nicht sehr bequem, ein Bett gibt es  nicht, nur einen Sessel und ein Zweisitzersofa. Mein Mann und ich haben versucht, uns irgendwie gemeinsam darauf auszustrecken und zu schlafen. Um vier Uhr früh gaben wir diesen Versuch auf. Ich habe mir dann ein provisorisches Lager aus Sofakissen auf dem Boden hergerichtet und einen Schlafsack über den Kopf gezogen, damit das Licht der Straßenlaterne und der Lärm der LKW wenigstens gefiltert werden. Mein Mann legte sich als „L“ über Sofa und Sessel. Diese Variante hat funktioniert und wir konnten 2 Stunden schlafen.
Frühstück im GLMBei Frühstück von Tee und Croissant vom Markt-Bäcker diskutierten wir darüber, wie man diese verdammte Bundesstrasse leiser bekommt. Es stört uns ja schon lange, dass mitten durch eine Kleinstadt jeden Tag der Verkehr Tausender Autos rauscht, aber dieses Nachterlebnis hat uns wirklich erschüttert. Mir war nicht bewußt, dass es nachts noch so viel schlimmer ist, weil die Schwertransporter dann so ungebremst durch die Stadt rasen können, was den Verkehrslärm noch einmal penetranter macht. Wir haben es gut, wir hatten nur eine solche Nacht, aber es gibt in Fürstenberg viele Menschen, die diesen gleichen Lärm jede Nacht aushalten müssen. Nachts um vier bekamen wir Visionen von Tempo 30 Zonen für die ganze Innenstadt mit Blitzern, die den Nachtfahrern die Lust am Rasen nehmen. Der B96 wendete das Gläserne Mobil den Rücken zu – direkt an einer Ampel, wo immer wieder Autos halten mußten. Dabei hatten sie einen prima Ausblick auf den „Merkelator“, der als Plane die Rückseite des GLM schmückte.Gläsernes Mobil am Morgen
Am frühen Morgen waberten Nebel über den Marktplatz, es war kalt und der Himmel schlohweiß. Kurz vor 08:00 Uhr kamen die ersten Lieferanten, um ihre Stände für den Wochenmarkt aufzubauen, die Nebel lichteten sich und bald strahlte die Sonne warm über einem belebten Marktplatz. Unser Gläsernes Mobil stand an der Straßenseite mit der Glasfront zum Markt, wir konnten dem Markttreiben von drinnen zuschauen und von draußen konnte man uns sehen. Natürlich hatten wir auch einen Infostand mit Material zum Programm der Piratenpartei dabei, das mehr nachgefragt wurde, als wir gedacht hatten – schon am frühen Nachmittag gingen uns die Wahlprogramme aus. Mit vielen Bürgerinnen und Bürgern debattierten wir über alle möglichen Themen. Das Gläserne Mobil erreichte sein wichtigstes Ziel: mit Menschen über die allgegenwärtige Überwachung ins Gespräch zu kommen, gegen die verbreitete Meinung „ich hab nichts zu verbergen, mir ist das doch egal“ oder „ich benutze das Internet nicht, das geht mich nichts an“ zu argumentieren und über Vergleiche mit unerwünschter permanenter Beobachtung im eigenen Wohnraum das Bewußtsein für den eklatanten Einbruch in die Privatsphäre und die freiheitlichen Grundrechte zu schärfen.
Daniel kameraüberwachtWie sehr allein das Bewußtsein permanenter Überwachung Menschen beeinträchtigen kann, hat auch mein Mann Daniel Domscheit-Berg gespürt, auf den im Sessel sitzend die nachgebaute und keineswegs funktionstüchtige Kamera gerichtet war, die an unserem Piratensonnenschirm vor dem GLM hing. Obwohl er wußte, dass diese Kamera nur ein Fake war, fühlte er sich unangenehm beobachtet und unwohl. Dieses Gefühl können wir bald alle überall haben, denn der Trend geht zur flächendeckenden Kameraüberwachung im öffentlichen Raum.
Piraten-GLM am Fürstenberger WahrzeichenAber es ging in den Gesprächen auch um mehr. Etwa um generelle Informationen zur Piratenpartei, unsere Vorstellungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen (hier eine Empfehlung eines Klasse Erklärbärvideos zum BGE von Marina Weisband), zur Bildung, zu Bürgerbeteiligung oder auch um die Geschichte und den Ursprung des Namens „Piratenpartei“. Im Laufe des Vormittags trudelte dann auch die SPD mit einem kleinen Stand links neben uns und die CDU mit einem großen Wahlkampfauto rechts von uns auf. Mein Gegenspieler Herr Feiler von der CDU bekam Unterstützung von Herrn Wichmann aus der gleichen Partei, man verteilte Waffeln und Marmelade – auf Inhalte kam es wohl nicht so an.
Beide Parteien verzogen sich allerdings auch frühzeitig wieder, ab 12:30 Uhr waren wir wieder allein, um 14:00 Uhr war auch das Marktgeschehen vorbei und es wurde ruhiger. Die Nacht steckte uns noch in den Knochen, da stieg am Nachmittag der Kaffee- und Teekonsum. Mein Mann war ein paar Stunden in Berlin, aber Cornelia Bürger war stattdessen schon früh am Morgen zu uns gestoßen, so dass wir wieder zu dritt vor Ort waren. Am Nachmittag bekamen wir Besuch von etlichen Spaziergängern, die sich über das komische transparente Mobil wunderten oder darüber eine Ankündigung in der Zeitung gelesen  hatten und die Gelegenheit für spezifische Fragen nutzten, z.B. über unsere Haltung zu Netzsperren.
2013-09-05-MAZ-GLM24 Stunden nachdem wir das Gläserne Mobil auf dem Marktplatz in Fürstenberg aufstellten, bauten wir es wieder ab. Wir waren müde nach dieser Aktion aber gingen mit dem guten Gefühl nachhause, mit vielen Menschen gesprochen zu haben, die sich nun ein besseres Bild über die Problematik und Gefahr anlassloser Überwachung machen konnten und auch über die Positionen, für die ich und die Piratenpartei stehen. Das schönste waren natürlich immer die Momente, wo Wählerinnen oder Wähler einem erklärten, dass sie bei dieser Wahl auf jeden Fall für die Piraten stimmen werden :-).
Am Tag danach berichteten sowohl die Granseezeitung als auch die Märkische Allgemeine Zeitung ausführlich und mit vielen Bildern über die Aktion (eine Seite weiter gab es auch noch ein langes Portrait über mich). Ein ungewöhnlicherer Wahlkampf ist einfach spannender als der 100.000ste Stand zur Flyerverteilung. Das fand die Presse – wir als Beteiligte aber auch. Ohne viele Helfer hätte diese kurzfristig geplante Aktion nicht geklappt. Danke an @MarcSchoeppi für den Transfer des Mobils von Potsdam nach Fürstenberg, an @Goldfisch007 und @CoBuerger für das Mitmachen vor Ort, an meinen Mann für Hilfe bei der Orga und an @bastianbb für die Pflege und Koordination des grandiosen Gläsernen Mobils, die Organisation der Brandenburger Wahlkampftournee des #GLM und für den Abtransport von Fürstenberg nach Schwedt. Last but not least, Danke auch an das Dokumentationsteam aus Berlin – mit @FlowLightning und @idova01!

24 Stunden im Gläsernen Mobil am Marktplatz von Fürstenberg/Havel

Überwachung kann man sich schlecht vorstellen, man kann sie nicht spüren, man kann sie nur ahnen aber viele Menschen verdrängen diese Ahnung. Weil das so ist, regen sich immer noch nicht genug Menschen auf gegen den Überwachungswahn in unserem Land – und bei unseren „Freunden“ und nehmen passiv die Erosion unserer demokratischen Freiheitsrechte hin.
Gläsernes MobilIch möchte das Phänomen Überwachung erlebbarer machen und beteilige mich daher an der Tour des Gläsernen Mobils der Piratenpartei in Brandenburg. Dieser durch Seitenverglasung einsehbare, bewohnbare Anhänger ist mit einer gemütlichen Sitzgruppe ausgestattet, auf der mein Mann und ich ab heute abend offen für alle miteinander reden, am Laptop arbeiten oder Fragen von Bürgern beantworten werden, die uns dort besuchen möchten. Natürlich haben wir auch jede Menge Informationsmaterial zum Wahlprogramm der Piratenpartei dabei – nicht nur zum Thema Überwachung und Datenschutz.
Abends schieben wir die Sitzecke dann an die Seite und versuchen, es uns im Gläsernen Mobil bequem zu machen, denn wir werden auch die Nacht gemeinsam und von jedem einsehbar dort verbringen. Ich hoffe, uns leuchtet nicht jeder Kneipenheimgänger mit der Taschenlampe in die Augen – wir wollen ja schlafen. Wie gut das geht, weiß ich nicht, denn das Gefühl, von jedem Spaziergänger beim schlafen beobachtet zu werden ist kein schönes. Vielleicht debattieren wir auch lieber die halbe Nacht oder gucken Filme am Laptop. Jeder kann jedenfalls alles sehen, was wir da machen – NSA, BND, Verfassungsschutz, und all die anderen „lieben Geheimdienste“ haben es diesmal gaaaaaanz einfach.
Aber unsere Botschaft mit dieser Aktion ist:

So einfach haben es die Dienste in virtuellen Räumen fast überall und immer. Nichts ist mehr geheim, wir sind längst gläserne Bürger geworden.

Ohne dass wir es merken, können unsere Handydaten in eine Funkzellenabfrage geraten, nur weil ein paar hundert Meter weiter ein Taschendieb sein Unwesen trieb. Unsere Bewegungen im Internet können deutsche Behörden verfolgen, selbst wenn wir nur eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Ordnungswidrigkeit? Dazu gehört schon Falschparken. Dieser Datenabruf heißt Bestandsdatenauskunft, das Gesetz dazu wurde von der Regierungskoalition noch schnell vor der Sommerpause durchgewunken. Das gleiche Gesetz räumt Behörden weitreichende Befugnisse ein, auch an die PIN von Mobiltelefonen oder an Passwörter für alle möglichen Dienste, die wir nutzen, heranzukommen. Passwörter, mit denen man online Banking macht oder Bilderdatenbanken vor Zugriff schützt. Passwörter, die Zugang  zu Emailkonten, Facebookprofilen, Amazon und eBay ermöglichen. Ich finde diese Vorstellung gruselig. Wir alle sollten das gruselig finden und etwas dagegen tun. Selbst 80-jährige, die das Internet links liegen lassen, sollten sich im Namen ihrer Kinder und Enkel aufregen, denn diese Jugend ist die erste Generation, die es je gab, deren Privatleben, pubertäres Verhalten und persönliche Beziehungen so überwachbar und einsehbar sind, wie die Sitzgruppe im Gläsernen Mobil.
Wir freuen uns auf Besucher und Diskutanten am Gläsernen Mobil – ab heute, 04. September ca. 16/17:00 bis morgen früher abend werden wir am Marktplatz in Fürstenberg/Havel im Norden Brandenburgs sein.
Von Berlin ist das in 55 Min ohne Umsteigen prima zu erreichen, der Bahnhof ist nur 4 Min Fußweg vom Marktplatz entfernt. Am 5. September ist übrigens auch Wochenmarkt – auf dem gleichen Marktplatz 🙂 (wir müssen also wenigstens nicht verhungern).
Für Twitterfans: der Hashtag ist #GLMfbg
Stoff zum Nachlesen und ein Demoaufruf
Und weil es so gut in den Kontext paßt, mein Mann und ich haben in den letzten Tagen beide für englischsprachige Medien zum NSA Skandal geschrieben, hier sind die Links dazu:

FSA Aufruf
Der kommende Samstag ist übrigens der 07. September – „Freiheit statt Angst“ Tag – der Tag, an dem wir Berlin erschüttern werden durch eine Massendemonstration, die diesen Namen verdient hat! Um 13:00 Uhr geht es am Alexanderplatz los. Kommt alle, nehmt Eltern, Onkel und Enkel, Tanten und Cousinen, Brüder und Schwestern, Freunde und Bekannte, Nachbarn und Kolleginnen und Kollegen mit! Es ist kurz vor der Bundestagswahl, NIE innerhalb einer Legislaturperiode sind Politiker so aufmerksam und hören so gut zu – laßt uns diese Gelegenheit gut nutzen. Laßt uns laut genug sein, dass man sich auch nach der Wahl noch unseren Protest erinnert!  Nehmt Trillerpfeifen mit und Eure Aluhüte, bastelt Euch Pappkameras zum Überwachen der Überwacher, malt Euren Frust auf Transparente! Seid viele! Ich freue mich darauf! Für die Romantiker unter meinen Leserinnen und Lesern verrate ich noch etwas: Bei der FSA Demo 2009 habe ich meinen Mann fotografiert – nur kannte ich ihn damals noch gar nicht, ich habe das viel später erst durch Zufall entdeckt :-).
Link zum Demoaufruf Freiheit statt Angst: http://blog.freiheitstattangst.de/about/
Link zu Demo-Orga-Informationen: http://blog.freiheitstattangst.de/
Link zum Demo-Video: https://www.youtube.com/watch?v=2A3Nw9_ZZ6c
Wer sich ein altes Video von der Freiheit statt Angst Demo 2009 (ja, genau die Demo, wo mir zum ersten Mal unerkannt mein Mann begegnete) anschaut, kann auch das Gläserne Mobil in Aktion sehen!
FSA 2009 Video