Teil 3: Aus meinem Tagebuch – vor 25 Jahren – Herbst 1989 DDR (15.10.1989)

„Von Leuten, die stundenlang nackt an eine Wand gestellt verhört wurden, von Frauen, die man auf LKW lud und raus fuhr, nachts auf einem Acker aussetzte“

Meine Tagebuchnotizen vom 15. Oktober 1989.
Dies ist Teil 3 aus der Reihe „Aus meinem Tagebuch – vor 25 Jahren – Herbst 1989“, Teil 1 ist ein Tagebucheintrag vom 04.Oktober 1989, er findet sich HIER. Dort gibt es auch eine kleine Einleitung zu dieser Reihe. Teil 2 sind Tagebucheinträge vom 6. und 9.10.1989 (LINK). Auf meiner Homepage gibt es auch noch mehr Dokumente aus der Wendezeit (LINK) und persönliche Bilder von 1989 (LINK) sowie Informationen zu meinem Buch „Mauern einreißen!“ (LINK).
Kürzungen (private Inhalte) sind erkennbar an „(…)“, Erklärungen gibt es in Klammern: (ADB: Erklärung) oder so: (=blabla)

Montag, 15.10.1989
Heute ist Dietel (=Schulrektor) wieder da, ich bin hier – Mbg. (=Müncheberg), Eli auch, Anka Goll ist schon weg. Müde, 22:00, geschafft, Politik nervt und reibt auf, aber positiv! Wir sind so viele! VBK Frankfurt (=Verband Bildender Künstler) -> Resolution. Vom VBK Berlin schon 3 neue, alle. Unsere (ADB: gemeint ist die Resolution vom 9.10.1989) ist wohl über D. schon in Berlin angekommen, hörte heute in Tagesschau über Stud., die unabhängige Studentenvertretungen vorschlugen – kann sich nur auf unseren gleichlautenden Satz in der Resolution handeln. Hatte sie oft abgetippt. Habe von Golls neuen, konkreten Forum-Text bekommen. Bin noch beim tippen. Zu müde für heute. Morgen vielleicht? (…)

Ausschnitt-15-10-1989-HoneckerIn Berlin gestern Rockkonzert für Demokratie, Karat, Pudys, Pankow, Silly – alle dabei. Hurra! In Leipzig 10.000 draußen heute, gestern 15.000 friedliche Demonstranten in Plauen. Hurra. Prozess nicht aufzuhalten. Volkswitz: Honecker wurde doch an der Galle operiert. Entließ dann den Chirurgen, da dieser sich in seine inneren Angelegenheiten (ein)gemischt hätte. Entließ dann auch den Internisten, dieser hatte eine Reformdiät verschrieben. “Früher hieß es Volk ohne Raum, heute Raum ohne Volk”. Ungarn ist jetzt ganz zu, wegen Ferienverkehr sind am Wochenende 4.000 (!) rüber. In Warschau schon wieder 1.400, man rechnet mit 150.000 Ausgereisten bis Jahresende. Schlimm. ZK (=Zentralkommittee der SED): “Denen weinen wir keine Träne nach, auf Verräter können wir verzichten” – schlimm.

Ausschnitt-Kuno-15101989

Kuno hat man gesagt, sein Problem würde noch dieses Jahr gelöst werden… Sehe ich ihn noch mal wieder? (ADB: Mein Bruder hatte einen Ausreiseantrag gestellt) Er glaubt nicht an eine Änderung. Anka G. hat viel Gutes erzählt, das Forum hat ganze Belegschaften, Betriebe einschließlich Leiter gewonnen, Massen. So viele, Idee, die die Massen ergreift! Da ist die Wahrheit, und dann  kommt Hager (=Kurt Hager, Mitglied des ZK der SED und des Politbüros) und sagt, wir haben soviele Plattformen und Foren, da haben wir sozialismusfeindliche neue gar nicht nötig, Geschichte des Soz(ialismus) sei doch Geschichte von Reformen schon immer gewesen… Ironisch, lenkt ein, um von den Machtpositionen nicht gehen zu müssen. Nichts da, ihr habt Eure Unfähigkeit lange genug bewiesen!
Von den Behandlungen der Gefangenen am 7.10. gibt es schreckliche Berichte. (ADB: siehe dazu mein Tagebucheintrag vom 09.10.1989 – LINK) Von Leuten, die stundenlang nackt an eine Wand gestellt verhört wurden, von Frauen, die man auf LKW lud und raus fuhr, nachts auf einem Acker aussetzte, sie trampten (die ersten) und ein informierter Kommissar hat wütend alle anderen per Taxi holen lassen. Rest-mensch gibt es also auch noch. Jedenfalls hat die Schule das Argument mit dem Antisozialismus für das Forum nicht mehr. In der neuen Erklärung ist es genau fixiert, im Sozialismus, und für Sozialismus und ohne Wiedervereinigung die DDR bessern und reformieren.

Auszug-Stasiakte-Sputnik

Ausschnitt aus meiner Stasi-Akte mit Bezug auf eine Eingabe gegen das Verbot der russ. Monatszeitung „Der Sputnik“ vom November 1988

Müde. Von Eli (=Studienfreundin meiner Mutter aus der BRD) der Super – Phillips – Doppeldeckerrecorder, sicher sehr teuer. Mein Geld hat sie nicht genommen. (…) Er ist supergestylt, abgerundet überall, schwarz, leicht, schön, superklang. Karsten wird staunen. Freue mich, Ananas und Nutella mit ihm zu verzehren. Auch feine Kassetten habe ich jetzt 5 Stück. Alexej (=russischer Brieffreund) hat zwei Sputniks losgeschickt, hoffentlich kommen sie an, hoffentlich sind es deutsche! Müßte ja bald sein. (1)
Die Stasi läßt mich sicher bald in Ruhe, wo die doch merken, dass ich Schädling geworden bin.(2) (…) Sebastians (=Name geändert) Besuch am Sonntag fiel aus, seine Mutter bekam am Vorabend ein Telegramm – “aus strafvollzugstechnischen Gründen kein Besuch möglich”, voll, was? (3)

Erläuterungen der Fußnoten:
(1) Der Sputnik war ein russisches Monatsjournal, im dem sich früh der Geist von Glasnost abzeichnete. So kritisch und offen, wie im Sputnik geschrieben wurde, kannten wir das noch gar nicht in der DDR. Daher war der Sputnik ein begehrtes Heft geworden. Aber im Herbst 1988 (also ein Jahr vor dem Mauerfall) wurde der Sputnik verboten. Ich schrieb damals eine Eingabe an das Postministerium, die knapp 2 Monate später vom Ministerium belanglos beantwortet wurde. Schneller ging der Eintrag in meine Stasiakte, die aus diesem Anlass angelegt worden war.

(2) Die Stasi lockte mich im September 1989 mit einem fingierten Brief in ein Jugendreisebüro, wo man versuchte mich zur Mitarbeit als IM zu erpressen. Ich sollte über die Aktivitäten an der Kunstschule berichten und dafür eine Genehmigung bekommen, ein Stipendium einer französischen Kunstschule annehmen zu dürfen, das ich gewonnen hatte. Zusätzlich wurde mir angedroht, dass mein Vater seine Arbeit als städtischer Arzt verlieren würde, wenn ich die Kooperation verweigerte. Meine Parisreise fiel aufgrund meiner Verweigerung ins Wasser, aber wenigstens behielt mein Vater seinen Job.
(3) Sebastian heißt eigentlich anders, er ist ein Freund aus Kindertagen, der in Halle im Gefängnis saß. Ich hatte mich als seine Verlobte ausgegeben, um Besuchsrecht zu haben und damit er mir schreiben darf. Von ihm wird später noch mehr die Rede sein.

***

Dies war der 3. Teil einer kleinen Reihe von Tagebucheinträgen aus dem Herbst 1989. Weitere folgen in den nächsten Tagen.
Wer mehr als Tagebücher von mir zu dieser Zeit lesen möchte, dem sei mein Buch ans Herz gelegt 🙂
Weitere Informationen rund um die Wende ’89:

Vor 25 Jahren – Spiegelschrift-Brief zu den Geschehnissen in der Wende vom 9.10.1989

Manchmal waren Vorlesungen auch in der DDR langweilig und dann schrieb ich Briefe. Wenn es dabei in der Wendezeit um brisante Inhalte ging und ich nicht riskieren wollte, dass jemand Falsches beim Über-die-Schulter-Schauen mitliest, schrieb ich in Spiegelschrift – eine Art minimaler Selbstschutz. Einen solchen Brief hatte ich nicht fertiggeschrieben, deshalb überlebte er in meinen Unterlagen. Er entstand am 9.10.1989 und richtete sich an eine Freundin.

Ausschnitt Spiegelschrift-Brief

Ausschnitt Spiegelschrift-Brief vom 09.10.1989

Hier der Brief im Wortlaut:

Liebe XXXX,                                                                                                      09.10.89
Ich habe wieder mal WS (=Wissenschaftlicher Sozialismus), da bleibt mir nichts Anderes übrig, als so rum zu schreiben. Da wirst Du Dich wieder ärgern. Ach C., sag nicht, Du hättest noch den geringsten Durchblick…Ich habe keinen mehr. unsere Studenten erzählen alle von den Ereignissen in ihren Heimatkreisen. In Dresden war es besonders schlimm. Ich vertrag es nicht, DDR und Schlagstöcke, Schilder, Hunde, etc. … paßt denn das zusammen? In Halle soll ja heute was passieren. Bist Du dabei? Bist Du noch Genosse? Ich wüßte nicht, was ich als Genosse tun würde. Ich habe am Wochenende getippt. Ich schicke Dir doch ein Forumexemplar, wer weiß, wann wir uns wiedersehen und Information war nie notwendiger als heute. Vielleicht habe ich Glück und es kommt glücklich in Deine Hände. Schreib bitte sofort, wenn Du es erhalten hast. Ich muss das wissen, weil ich doch schon überwacht werde. Ein komisches Gefühl. In WS höre ich gerade, Schuld an den blutigen Zwischenfällen wäre das Neue Forum. Makaber…

An dieser Stelle brach der Brief ab.
Weitere Informationen rund um die Wende ’89:
umfangreiche Sammlung von Originaldokumenten aus der Wendezeit
Tagebucheintrag 4.10.1989
Tagebucheinträge 6. und 9.10.1989
Resolutionen der Fachschule für Angewandte Kunst vom 9. und 10.Oktober 1989
mein Buch – Mauern einreißen
Fotos aus der Wendezeit

Vor 25 Jahren – Resolutionen der FS für Angewandte Kunst Schneeberg vom 9. u. 10.10.1989

Ausschnitt aus der Resolution der Student*innen der FAK Schneeberg vom 09.10.1989

Vor 25 Jahren war ich FDJ-Sekretärin an der Fachschule für Angewandte Kunst, Schneeberg (Erzgebirge), wo ich Textilkunst studierte. Wir Student*innen haben diesen heißen Herbst 1989 mit vielen Debatten verbracht, viele von uns haben sich am Widerstand beteiligt, unter anderem haben wir Dokumente der Opposition weiterverbreitet. Nacht für Nacht saß ich selbst an der Schreibmaschine meines Großvaters und schrieb v.a. Dokumente des Neuen Forums ab, Aufrufe (z.B. „Aufbruch 1989“ vom 10.09.1989) und Mitgliederlisten ab, sowie Dokumente anderer oppositioneller Gruppen (siehe auf meiner Dokumentenseite für mehr). Aber ich schrieb auch für uns Student*innen Resolutionen, die wir nach Debatte als unsere Stellungnahme verteilten.

Die erste Resolution entstand am 09.10.1989, nachfolgend der Text im Wortlaut (Bildausschnitt siehe oben, Datei als pdf HIER):

Resolution der Studenten der FAK Schneeberg

Wir Studenten sind tief besorgt und beunruhigt über die gegenwärtige Krisensituation unserer Gesellschaft. Unser Land kann seine Jugend nicht halten, es gefährdet seine Zukunft. Wir können uns unsere Hoffnungen für unsere Zukunft nicht zerstören lassen. Die Verharmlosung und Leugnung der Ernsthaftigkeit der Sitaution, die Gewaltausübungen seitens der Staatsführung machen einen Dialog von vornherein unmöglich. Es muss eine Basis für ein Vertrauensverhältnis zwischen Staatsführung und Volk geschaffen werden.

Wir wollen nicht weiter passiv bleiben und damit mitschuldig an der Deformierung unserer sozialistischen Ideale sein.

Wir werden uns bei der Gestaltung unserer Zukunft mit all unseren Fähigkeiten einbringen. Mut macht uns die wachsende Bereitschaft breiter Bevölkerungskreise, sich an der Erneuerung der Gesellschaft zu beteiligen. Ein Zeichen dafür sind die vielfachen Resolutionen aus allen Teilen der DDR (VBK, Kulturbund Berlin, Komitee für Unterhaltungskunst, Schriftstellerverband, VEB Bergmann Borsig, Evangelische Kirche, Verband der Theaterschaffenden, Neues Forum, Demokratischer Aufbruch, Demokratie Jetzt, SDP).

Wir solidarisieren uns mit dem Aufruf der Schauspielstudenten Berlin.

Schneeberg, den 9.10.1989

Diese Resolution entstand unter dem Eindruck der neuesten Berichte zu Übergriffen und Aufständen insbesondere rund um den 40. Geburtstag der DDR. In meinem Tagebuch habe ich darüber geschrieben (meine alten Tagebuchnotizen dazu gibt es HIER – Tagebuch vom 4.10.89 –  und HIER – Tagebuch vom 6. und 9.10.1989). Innerhalb von 24 Stunden habe ich die Resolution noch einmal überarbeitet, am 10.10.1989 war das neue Exemplar fertig. Ich stellte ihr ein Zitat von meinem Lieblingsautor Tschingis Aitmatow voran.

Resolution der Student*innen der FAK Schneeberg vom 10.10.1989

Ausschnitt aus der Resolution der Student*innen der FAK Schneeberg vom 10.10.1989

Der vollständige Text dieser Resolution vom 10.10.1989 im Wortlaut:

Nicht mehr ganz fünftausend Tage trennen uns vom Jahrtausendende… Die Menschen sind von einem Gefühl der Verzweiflung erfüllt. Die traditionellen Institutionen haben sich überlebt. Wir alle müssen uns an der Suche nach neuen Lösungen beteiligen.
Tschingis Aitmatow
Resolution der Studenten der Fachschule für Angewandte Kunst Schneeberg vom 10.10.1989
Die dramatische Zuspitzung der Krisensituation in unserem Lande zwingt uns Studenten zur öffentlichen Äußerung.

  • Die Ignoranz der Partei- und Staatsführung gegenüber den bestehenden Widersprüchen,
  • Die Kriminalisierung der Reformbemühungen,
  • Das starre Festhalten am überholten Kurs,
  • Identitätskrise und Massenflucht,
  • sowie die wachsende Zerstörung der Umwelt bedrängen uns.

Wir Studenten können uns unsere Hoffnung auf unsere Zukunft nicht zerstören lassen. Wir wollen nicht weiter passiv bleiben und damit mitschuldig an der Deformierung unserer sozialistischen Ideale sein. Wir wollen eine Gesellschaft, die einen Sozialismus möglich macht und die die Hoffnung auf eine sinnvolle Zukunft, für die es sich lohnt zu studieren, zu arbeiten, zu leben und sich mit aller Kraft und Kreativität zu engagieren, zuläßt. Dazu brauchen wir in erster Linie das Vertrauen der Partei- und Staatsführung. Wir fordern den öffentlichen Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften, auch mit den neue entstandenen alternativen Gruppen. Die Vorstellungen der Initiativen entsprechen unseren Gefühlen, unserem Denken und müssen öffentlich zur Diskussion stehen. Wir stellen den absoluten Wahrheitsanspruch der Partei- und Staatsführung in Frage. Ebenso können wir uns nicht mit der alleinigen Vertretung unserer Interessen durch die staatliche Massenorganisation FDJ identifizieren. Wir schlagen die Bildung unabhängiger Studentenvertretungen vor. Wir werden uns den Widersprüchen stellen und fordern Gleiches von der Partei- und Staatsführung. Nur so ist eine Lösung, ein Ausweg aus dieser Krise und der Bestand der sozialistischen Gesellschaft möglich. Mut macht uns die wachsende Bereitschaft breiter Bevölkerungskreise, sich an der Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft zu beteiligen. Ein Zeichen dafür sind die vielfachen Resolutionen.
Wir haben erfahren, dass an der Fachschule für Angewandte Kunst Heiligendamm 14 Studenten die Exmatrikulation angedroht wurde aufgrund ihres politischen Engagements. Wir protestieren entschieden dagegen und solidarisieren uns hiermit mit den Studenten der FAK Heiligendamm.
Im Auftrag der gesamten Studentenschaft durch die FDJ-GO der FAK Schneeberg
FDJ-GO Sekretär
Anke Domscheit-Berg  (zu diesem Edit siehe Kommentar vom 16.8.2016 und meine Antwort darauf!)

Ich schickte diese, unsere wichtigste Resolution, vom 10.10.1989, an eine ganze Reihe Adressaten. Ich erinnere mich nicht mehr an wen genau, aber von einigen habe ich Antworten erhalten, die ich im Original aufbewahrt habe. Dies sind Antworten vom Staatsrat der DDR, vom Zentralrat der FDJ und von der nationalen Presseagentur der DDR, dem ADN. Interessant der Hinweis in der Antwort des Staatsrates, dass unsere Resolution an das Ministerium des Inneren weitergeleitet wurde. Dem MdI war die Staatssicherheit unterstellt… überrascht hat uns der offene Hinweis darauf,  nicht der Umstand der Weiterleitung.

Antwort des Staatsrates der DDR auf unsere Studentenresolution vom 10.10.1989

Antwort des Staatsrates der DDR auf unsere Studentenresolution vom 10.10.1989

Noch mehr Informationen:
Weitere Informationen rund um die Wende ’89:

 

English Version Part 2: My Diary from Autumn 1989 – around the Fall of the Berlin Wall – 6.+ 9.Oct.1989

This is the English Version, the German version is HERE.
My diary entries of 6th and 9th October 1989
This is part 2 of my series „My diary – 25 years ago – Autumn 1989“. Part 1 is a diary entry of 4th October 1989, the English version is HERE, the German version is HERE. There, you will find also a little introduction to this series. On my homepage there are many more documents from the time when the Wall fell (LINK) and some pictures of 1989 (LINK) as well as information about my book „Mauern einreißen!“ („Tearing down walls“ LINK). However, all these pages are in German…
I took out some parts which are private, you will recognise this at „(…)“, explanations come in brackets with my initials: „(ADB: explanation)“
6th Oct. 89, Schneeberg – History of Art, Friday

K. (ADB: teacher for history of art) taught on Futurism. Friday afternoon is particularly unsuited for this. Am tired, slept in today. (…) Called home yesterday. (…) Mum said that Kuno wanted to go on a job trip with colleages to Czechoslovakia, but visa were declined. Here you dont even get an application. Only travelagency – tourists are allowed… (ADB: those agencies sold very limited amounts of trips, usually not short term and to selected citizens only). How fucked up. (…) Read a book about „German as male language“ (Pusch), very interesting. I observe my words and those of others. (…) Why do you adress a group in sports as „8 men“ when actually 7 were women! Why say „everybody“ (ADB: german „everyman“), when only females are meant? So many linguistic injustices and oppressions. (…)

Ausschnitt-1989-10-06

Gundi was in Plauen yesterday, much happened there, because of passing through refugee trains from Prague and Warsaw. They stood on the tracks and the batons cleaned the station platforms. In the Marcus Church there was a (2) big event, camouflaged as peace service. It was indeed peaceful but also very up to date. Tomorrow, Gorbi (ADB: Gorbatschov) will be in Berlin… I am curious, should I go there? Who knows, dangerous area and all these flags and Stasi-guys are surely disgusting and unbearable. I might better stay in Muencheberg and scrub the tapistry. History of Art is not ending. Those artificial sentences: „so Boccioni, who there said…“, bah, no normal German he can speak. Mum says they are all like this, the history-of-art-guys. (…)

09.10.1989 – Schlema, 7pm, WH d. FAK, Monday
Tagebuch 09.10.1989

 The anniversary of the republic is over now. Expectations exceeded. So much happened. Today again assembly of students. Goal: exchange of experiences. Now its happening. Everywhere batons, dogs, helmets, shields, water canons, casualties, just in Berlin 700 arrested. U’s friend amongst them. 24 hours arrested, 2 hours of those driving from prison to prison – they all were already full. 18 hours sitting on a chair, registered like hardened criminals, no food, toilet only with 4 men chaperonage. In Leipzig, in one church = 150 people, shouting „we stay here“ – simply loaded all but 12 onto trucks and off into a train towards West Germany… U. was with her friend simply coming from a youth club. Streets blocked by Greens (ADB= police, because of their greenish uniforms). Fighting Groups (ADB: paramilitary groups called „Kampfgruppen“) everywhere, they got everyone on the streets, no information, everybody. At Alexanderplatz several Thousands chanting „Democracy here“, „We stay here“, „Stasi away“, „Gorbi help us“, „no violence“ etc.

Ausschnitt Freie Presse 9.10.1989, Berichterstattung zum 7.10.89 (40. Republikgeburtstag) in Berlin
Snippit of Freie Presse 9.10.1989, official news on the 7.10.89 (40. anniversary of the GDR) in Berlin

The police was picking randomly people. The ND (ADB= Neues Deutschland, official paper of the SED party) today – a thick paper, full of jubilation, agitation, about how western police attacked an anti-fascist manifestation, somewhere a 5 lines long note about the thwarted provocation – disruption of the festivities at the Alexanderplatz, arrest of the gang leader – everything but no Leipzig, no Potsdam – where B. saw only cops and ambulances, in Leipzig a canon with rubber bullets, in Dresden several Thousands, fought against with violence. Public declaration: wo wants to emigrate should report to the district government, delt with in 2 days, applicable only to Dresden inhabitants, in Plauen: 20.000 people demonstrating, shattered windows, Ronny took pictures, nearly lost his camera, he had to sacrifice his film. A friend secretely took pics with a small camera. Lets see whether it gets through. Gundi wanted to go there, she surely comes only tomorrow. Its getting criminal. D. wrote that the borders towards Poland and Czechoslovakia have been secured, because still so many people flee. Falk said that at his place, near the border, Greens would swarm around in masses. From where do they take so many security personnell all of a sudden! (…)

Freie Presse, 09.10.1989 zu Protestaktionen am Republiksgeburtstag
Freie Presse, 09th Oct.1989 on P´protests at the GDR anniversary

The included news paper articles where all from the back part of the paper. You can see HERE how the first page of that same paper looked like (a rejoicing on the 40th anniversary of the German Democratic Republic).

This was the 2nd part of a small series of diary notes I took in autumn 1989. More will follow in the next days. If you want to read more than diary entries from me about this time, then read my my book „Tearing down Walls“ (original title „Mauern einreißen!“(however, its only in German).
UPDATE 4.10.2014: At 9th and 10th October 1989, still under the impression of the above described events in East Germany in the previous days, I wrote and published two declarations together with the students of the Art school at which I studied at this time. Today, I published a blogpost on these declarations, however, so far only in German (if somebody has time to help me translate it, I would be happy! – please let me know via the contact page). This German blogpost with original documents is here: LINK.
Further Information around the Fall of the Berlin Wall ’89:

English Version Part 1: My diary from Autumn 1989 – around the Fall of the Berlin Wall (4th Oct. 1989)

This is the English version of my diary entries from autumn 1989 in East Germany. The German version is HERE.
Tagebuch Nr. 24, Oktober - November 1989
I wrote in my diary since I was age 14 and I also did so during the „hot“ autumn 1989 during my studies at an Art School in Schneeberg, when I was 21 and engaged in the East German opposition. Even today, I get goose bumps when I read these old lines and those weeks come alive again. Not only memories come back but also emotions. This was a phase of very intense emotions, of fear and panic, euphoria and hope, of despair but also of feelings of invincibility and the experience of courage which one had not thought to be possible to have.
Since these very personal notes may give others an insight into this time, I want to publish them here. In my book „Mauern einreißen“  (tearing down walls) I have published some of these texts abreviated. In this book I also tell, what this time meant to me altogether and why it became a source of unlimited energy for me. Why because of these experiences I believe today that even impossible and big societal change are actually possible. More documents – manifestos and lists of the New Forum mentioned in my diary – but also lots of other original documents of the „Time of the Change“ are published on this Website (LINK). Some more pics of 1989 can be found too (LINK).
Below is a transcript of my diary. I only cut out private content, you recognize it at „(…)“. Explanations of abbreviations etc. are in italic in brackets. Some names are only as initials. This is my first blog post about my diary notes in autumn 1989, more will follow.
04.10.2014, 23:15 Uhr, Schlema, WH FAK DSF 3
(Student home, Fachschule für Angewandte Kunst, Strasse der DSF 3)

„Inapprehensible, why I did not write for such a long time. Maybe I just couldn’t start? Horror Vacui because there is so much to write? Often done in thoughts. Oh my, so much politics, politics, politics. It never occupied me as much, filled up my life and guided me.

My diary – a page from the entry made at 4th October 1989

A hot time, dangerous, finally active and interesting. Nobody gets away without taking up a position.

A hot time, dangerous, finally active and interesting. The situation has come, where decisions have to be taken, where something significant happens. Historic events and opportunities, which never existed before. It can degenerate in any direction, even neo-stalinism as to the practices applied or a military dictatorship are possible. A counter revolution is in the air. Things are bubbling beneath the surface, its boiling, its burning. Everywhere. Nobody gets away without taking up a position. Eventually, one has to confess. Say what you think. Its high time.

Self portrait, 1989, in my student home

Selbstportrait, 1989, im Studentenwohnheim

What happened? The whole summer already, Thousands emigrated via Hungary. Now, in September, last weekend a total of 6.800 citizens (with small children!) occupied the West-German embassy in Prague and several 100 the one in Warsaw. On canvas and in tents and under undignified conditions some of them spent weeks. 1 medical doctor for all, who a long time ago refused to assume  responsibility. Of 50 kids, 40 had diarrhea. Genscher himself anounced the solution on Saturday – emigration – passing through the GDR with East German Railways. An unimaginable rejoicing. Strange pictures, just like Emigrations of Nations after a war. Like flight from barbarism. Hugging, tears.
In Dresden and on the way, more and more people jumped (onto the trains). A guy from Müncheberg (my home town), B – brother of Achim – was in TV, thanking the polish government and the Solidarnosc for their help. What a view! The embassies were to be closed. But West Germany did not stick with it and today in the morning it had been 11.000 people (!) again around the embassy. Yesterday, the news that the visa free travel to Czechoslovakia has been abolished until further notice. One shock after another. Now only Rostock and Suhl are possible without a visa. Hurray. No more surprise visits at Gustavs! 11.000, and Kuno (my brother) had thought about travelling to Prague. Had he known how fast things are happening, he would have left long ago.

Something has to happen, eventually!

Its getting hotter in the school too. Bertram brought me a NF-Info-paper (NF= New Forum, major oppositional group) and a members list as well as a broshure about neofascism in the GDR. The Info paper we copied by type writer several times (in the atelier office) and distributed it amongst people. Here I recruited Sylvia and Gundula only. After the last events (Karsten is being tailed and his room has been entered too) he decided to sign too, and Annett and some others will follow. First I have to get hold of the list again, stupid me, I left it at home. I can be proud of my family. Father, mother, sister, her husband, my boyfriend – they all signed. My mum after overcoming hesitation. Her experience with the Stasi (East German secret service) was not without effect. Where they had told her: „you are lucky if you can see your kids again… My father was convinced easier. Something has to happen, eventually! (…)

Aus der Wendezeit - mein Schreibtisch im Wohnheim - hier schrieb ich mein Tagebuch
During the time of the change – my desk in my student home – here I wrote in my diary

We refuelled courage.

We went to Anka Goll, it turned out that she wanted to visit us too because of the Forum. She also had the info paper and the list. We refuelled courage. On 16th October, they will come over, when E. is visiting too. Here we have nearly daily meetings. It was about the question: party – yes or no, if yes, then how. With party we mean the Keilberg-Festival on 8th October. It already was announced everywhere and published in the press, and a lot had been organised. In vein. Our students fought courageously. We debated long and many times. Only on Tuesday – after the news regarding Czechoslovakia we called for a boycott.

Honesty is needed, not to celebrate now doesn’t mean to ignore 40 years, but to recognize them.

We weighed all, but then came unanimously to the conclusion that we have to disobey. That in the current situation, which shows an unforseen flight movement, it is impossible to celebrate with a festival the 40th anniversary of the GDR. Even if we had come with posters or dressed in black. Honesty is needed and not to celebrate now does not mean to ignore 40 years but to recognize them. These last weeks are the consequence of these 40 years, impossible without the latter. Celebrating? Never.

Everyone expects grave events, and that it „will get much worse“

In Leipzig, on Monday, the biggest manifestation since 1953, 20.000, the Stasi „loaded“ some on trucks, taken by hands and feet. Horrible, its starting. At the talks with the professors it was made clear that it could anytime come to a situation either comparable to 1953 or unprecendented. Everyone expects grave events, and that it „will get much worse“. Oh my. But finally something is happening and a birth comes always with pain.

Of late, my mail is arriving opened in Müncheberg. Nice, how fast they react.

IMG_2524Of late, my mail is arriving opened at Müncheberg. Nice how fast they react. Adieu, France, it will come to nothing. They can hardly send there a forbidden NF-member. And they find out everything. In the papers there is nothing or bullshit. Bad in any case. Hairraising. The Thousands are „some citizens, amongst them anti-socials“, the Hungary refugees had been „drugged and dragged over the Western border“, the „slave trade“ into the imperialism is florishing… you could vomit. Disgusting bullshit. I received an invitation, to take part in a torchlight procession in Aue, „commitment to the fatherland“, „trust in the politics of the home country“, „for a life in happiness and peace, for us and our children“, what a mockery. The train station at Dresden had been occupied by more than 3.000 cititzens, who wanted to jump on the traings which passed through the GDR, coming from Prague. First, a woman was talking nicely into a loud speaker, than the measures had been aggravated step by step and finally, the police intervented. The people were laying themselves on the tracks to stop the trains.

One is suprised by the big friendship to China, remembers the June rebellion and its so bloody end. Would our soldiers take part in something like this?

One is surprised by the big friendship to China – remembers the June rebellion and its so bloody end. Would our soldiers take part in something like this? What will I do at 7th Oct.? Go to Berlin? Something will be happening, for sure. Has to. The tension calls for discharging. The letter from Gabriele (Italian pen friend) disappeared. Meanness. Simply confiscated. The one from Melissa (American pen friend) arrived opened. She wrote really friendly, which made me happy. Florence (French pen friend) offered me a stay, should I need one, she would be always there for me and I could stay as long as I needed to. From Gabriele, at least the parcel arrived, but it took 5 weeks, despite express delivery. (…)


This was the start of a little series of postings on my diary of autumn 1989 in East Germany. Further posts will follow in the next days. Should you want to read more from me about my time in East Germany, you can read my book „Tearing down Walls“ (which only exists in German so far :-().
Further Information around the Fall of the Berlin Wall ’89:

Teil 2: Aus meinem Tagebuch – vor 25 Jahren – Herbst 1989 DDR (6.+9.10.1989)

Meine Tagebuchnotizen vom 6. und vom 9. Oktober 1989.
Dies ist Teil 2 aus der Reihe „Aus meinem Tagebuch – vor 25 Jahren – Herbst 1989“, Teil 1 ist ein Tagebucheintrag vom 04.Oktober 1989, er findet sich HIER. Dort gibt es auch eine kleine Einleitung zu dieser Reihe. Auf meiner Homepage gibt es auch noch mehr Dokumente aus der Wendezeit (LINK) und persönliche Bilder von 1989 (LINK) sowie Informationen zu meinem Buch „Mauern einreißen!“ (LINK).
Kürzungen (private Inhalte) sind erkennbar an „(…)“, Erklärungen gibt es in Klammern: (ADB: Erklärung)
Den 6.10. 89 – Schneeberg – Kunstgeschichte, Freitag

K. (ADB: Lehrer für Kunsterziehung) erzählt vom Futurismus. Freitag Nachmittag ist dafür denkbar ungeeignet. Bin müde, habe heute verschlafen. (…) Habe gestern zuhause angerufen. (…) Die Meuder (ADB: meine Mutter) hat erzählt, daß Kuno mit Kollegen eine Betriebsfahrt in die CSSR machen wollte, Visum abgelehnt. Hier bekommt man nicht mal mehr einen Antrag. Nur Reisebüro-reisende dürfen noch… Schweinerei. (…) Habe ein Buch über “Deutsch als Männersprache” gelesen (Pusch), sehr interessant. Ich beobachte meine Worte und die Anderer. (…). Warum sagt man in Sport zu einer Gruppe “8 Mann”, wo doch 7 Frauen dabei waren! Warum “jedermann” sagen, wenn nur weibliche Menschen gemeint sind? So viele sprachliche Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen. (…)

Ausschnitt-1989-10-06

Gundi war gestern in Plauen, dort war viel los, wegen der durchfahrenden Flüchtlingszüge aus Prag und Warschau. Man stand auf den Gleisen und die Gummiknüppel räumten die Bahnsteige. In der Markuskirche war eine (2) Großveranstaltung als Friedensgottesdienst getarnt. Da ging es auch friedlich aber sehr aktuell zu. Morgen ist Gorbi in Berlin…bin gespannt, ob ich doch mal reinfahre? Wer weiß, heißes Pflaster und die Fahnen und Stasimänner sind gewiß widerlich und unerträglich. Da werde ich wohl in Müncheberg bleiben und Teppich schrubben. Kunstgeschichte nimmt kein Ende. Diese geschraubten Sätze: “so Boccioni, der da sagte ‘…’” pfui, kein normales Deutsch kriegt der raus. Meuderchen sagt, alle sind so, die kunstgeschichteten Männer. (…)

09.10.1989 – Schlema, 19°°, WH d. FAK, Montag

Tagebuch 09.10.1989

Tagebuch 09.10.1989

Ist der Republikgeburtstag also vorbei. Erwartungen übererfüllt. Soviel passiert, heute wieder Versammlung der Studenten. Ziel= Erfahrungsaustausch. Jetzt kommt es. Überall Schlagstöcke, Hunde, Helme, Schilder, Wasserwerfer, Verletzte, allein in Berlin 700 Gefangene. U.’s Freund darunter. 24 Stunden gefangen, davon 2 Std. von Gefängnis zu Gefängnis gefahren – alle schon voll. 18 Stunden auf dem Stuhl sitzend, registriert wie Schwerverbrecher, kein Essen, Klo in 4-Mann-Begleitung. In Leipzig in einer Kirche = 150 Leute, Rufe “Wir bleiben hier” – einfach alle bis auf 12 in LKW geladen und rein in einen Westzug… U. war mit Freund nur vom Jugendclub gekommen. Straße mit Grünen abgeriegelt. Kampftruppen (gemeint waren die paramilitärischen Kampfgruppen) überall, jeden auf der Straße eingeladen, ohne Auskunft, jeden. Auf dem Alex einige Tausend mit Chören wie “Demokratie hier”, “Wir bleiben hier”, “Stasi raus” “Gorbi hilf uns”, “Keine Gewalt” etc.

Ausschnitt Freie Presse 9.10.1989, Berichterstattung zum 7.10.89 (40. Republikgeburtstag) in Berlin

Ausschnitt Freie Presse 9.10.1989, Berichterstattung zum 7.10.89 (40. Republikgeburtstag) in Berlin

Polizei holte wieder wahllos Leute. Im ND (ADB: Neues Deutschland) heute – eine dicke Zeitung voll Jubel, Hetze, über Vorgehen der Westbullen gegen Antifa-Demo, irgendwo eine 5 Zeilen Notiz über die vereitelte Provokation – Störung der der Feierlichkeiten auf dem Alex, Festnahme der Rädelsführer der Randalierer – alles, kein Leipzig, kein Potsdam – wo B. nur noch Bullen und Krankenwagen sah, in Leipzig eine Kanone mit Gummigeschossen, in Dresden etliche Tausende, auch mit Gewalt bekämpft. Öffentliche Bekanntmachung: Wer Ausreise will bei dem zuständigen Stadtbezirksvorstand melden – erledigt in 2 Tagen, gültig nur für Dresdner, in Plauen: 20.000 Demonstranten, eingeschlagene Scheiben, Ronny hat geknipst, beinahe den Apparat dafür lassen müssen, der Film mußte geopfert werden. Ein Freund hat heimlich mit kleiner Kamera geknipst. Mal sehen, ob das durchkommt. Gundi wollte auch hin, kommt sicher erst morgen. Es wird kriminell. D. schreibt, die Grenzen nach Polen und CSSR werden gesichert, weil noch so viele flüchten. Falk hat erzählt bei ihm in Grenznähe wimmele es nur so von “Grünen”. Wo die soviel Sicherheit aufeinmal herhaben! (…)

Freie Presse, 09.10.1989 zu Protestaktionen am Republiksgeburtstag

Freie Presse, 09.10.1989 zu Protestaktionen am Republiksgeburtstag

Die eingefügten Zeitungsartikel waren im hinteren Zeitungsteil zu finden. Wie die erste Seite der gleichen Zeitung aussah (ein Jubeln zum 40. Republiksgeburtstag) kann man sich HIER anschauen.
Dies war der 2. Teil einer kleinen Reihe von Tagebucheinträgen aus dem Herbst 1989. Weitere folgen in den nächsten Tagen. Wer mehr als Tagebücher von mir zu dieser Zeit lesen möchte, dem sei mein Buch ans Herz gelegt 🙂
UPDATE 4.10.2014: Am 09. und am 10.10.1989 habe ich unter dem Eindruck der oben beschriebenen Erlebnisse gemeinsam mit Student*innen der Fachschule für Angewandte Kunst Schneeberg, an der ich seinerzeit studierte, zwei Resolutionen veröffentlicht. Dazu gibt es jetzt auch einen Blogpost (LINK).
UPDATE 21.10.2014: In den Tagen nach dem 7. Oktober 1989 haben wir Student*innen untereinander Berichte aus den Heimatregionen ausgetauscht, auf Zetteln habe ich die Fakten notiert. Ein solcher Zettel hat die Zeit überlebt, man kann ihn sich HIER ansehen.

Notiz-Zettel mit Informationen Dritter zu Vorfällen am 7.10.1989

Notiz-Zettel mit Informationen Dritter zu Vorfällen am 7.10.1989

UPDATE 7.10.2014:
Weitere Informationen rund um die Wende ’89 im Überblick:

Teil 1: Aus meinem Tagebuch – vor 25 Jahren – Herbst 1989 DDR (4.10.1989)

Tagebuch Nr. 24, Oktober - November 1989

Tagebuch Nr. 24, Oktober – November 1989

English version HERE.
Auch im heißen Herbst 1989, während meines Studiums an der Fachschule für Angewandte Kunst, Schneeberg, als ich 21 Jahre alt und in der Opposition engagiert war, schrieb ich über das was mich bewegte, in mein Tagebuch, wie schon seit meinem 14. Lebensjahr. Ich bekomme noch heute Gänsehaut, wenn mir beim Lesen der alten Zeilen diese Wochen wieder lebendig werden. Nicht nur Erinnerungen werden dabei wieder wach sondern gerade auch Emotionen. Es war eine Phase intensivster Gefühle, von Angst und Panik, Euphorie und Hoffnung, von Verzweiflung bis zum Gefühl der eigenen Unbesiegbarkeit und dem Erleben von Mut, den man sich gar nicht zugetraut hatte.
Weil diese sehr persönlichen Notizen vielleicht auch für Andere einen Einblick geben können, in diese Zeit, möchte ich sie hier veröffentlichen. In meinem Buch „Mauern einreißen“ sind Ausschnitte dieser Texte gekürzt  veröffentlicht. In dem Buch erzähle ich auch, was diese Zeit insgesamt für mich bedeutete und warum sie mir ein Quell unbegrenzter Energie geworden ist. Warum ich wegen dieser Erfahrungen heute noch glaube, dass selbst unmögliche und große gesellschaftliche Veränderungen möglich sind. Mehr Dokumente – die im Tagebuch erwähnten Aufrufe und Listen des Neuen Forums – aber auch viele weitere Originaldokumente der Wendezeit habe ich auf dieser Website bereitgestellt (LINK).  Ein paar mehr Fotos von 1989 gibt es dort auch (LINK).
Nachfolgend ein Transkript aus meinem Tagebuch, ich habe nur private Inhalte gekürzt, erkennbar an „(…)“. Erklärungen von Abkürzungen o.ä. habe ich in Klammern kursiv gesetzt. Einige Namen habe ich nur als Initialen erwähnt. Dies ist mein erster Blogpost zu meinen Tagebuchnotizen vom Herbst 1989, es werden weitere folgen.
04.10.2014, 23:15 Uhr, Schlema, WH FAK DSF 3
(Wohnheim, Fachschule für Angewandte Kunst, Strasse der DSF 3)

„Unbegreiflich, warum ich so lange nicht geschrieben habe. Vielleicht konnte ich einfach nicht beginnen? Horror Vacui bei so viel zu Schreibendem? In Gedanken oft getan. Herrje, so viel Politik, Politik, Politik. Nie hat sie mich so beherrscht, so mein Leben ausgefüllt (und) angeleitet.

Tagebuch, 4.10.1989

Eine heiße Zeit, gefährlich, endlich aktiv und interessant. Niemand kommt ohne Standpunkt davon.

Eine heiße Zeit, gefährlich, endlich aktiv und interessant. Die Situation ist gekommen, wo Entscheidungen getroffen werden müssen, wo Bedeutendes geschieht. Historische Ereignisse und Möglichkeiten, die es vorher nicht gab. Es kann ausarten in jede Richtung, selbst Neo-Stalinismus, was die Praktiken angeht oder eine Militärdiktatur sind möglich. Eine Konterrevolution ist ahnbar. Es brodelt, es kocht, es brennt. Überall. Niemand kommt ohne Standpunkt davon. Man muss sich endlich bekennen. Sagen, was man denkt. Es ist höchste Zeit.

Selbstportrait, 1989, im Studentenwohnheim

Was ist passiert? Den ganzen Sommer schon sind Tausende über Ungarn ausgewandert. Jetzt im September haben sich letztes Wochenende insgesamt 6.800 Bürger (mit kleinen Kindern!) in und um die BRD-Botschaft in Prag und einige 100 in Warschau festgesetzt. Auf Planen und in Zelten unter unwürdigen Bedingungen haben einige davon Wochen so zugebracht. 1 Arzt für alle, der schon längst jede Verantwortung abgelehnt hat. Von 50 Kindern hatten 40 Durchfall. Genscher selbst hat am Samstag die Lösung – Ausreise – durch die DDR mit Reichsbahn verkündet. Ein unvorstellbarer Jubel. Komische Bilder, wie Völkerwanderungen nach dem Kriege. Wie Flucht aus der Barbarei. Umarmen, Tränen.
In Dresden und unterwegs sprangen immer mehr Leute auf. Ein Drama. Ein Müncheberger, B. – Achims Bruder – bedankte sich im Fernsehen für die Hilfe von Seiten der polnischen Regierung und der Solidarnosc… Ein Anblick! Die Botschaften sollten geschlossen werden. Aber die BRD hielt sich nicht dran und heute früh waren es schon wieder 11.000 Leute (!) um die Botschaft. Gestern die Nachricht, dass der visafreie Reiseverkehr in die CSSR bis auf Weiteres aufgehoben ist. Ein Hammer nach dem Anderen. Jetzt geht also nur noch Rostock und Suhl ohne Visum. Hurra. Keine Überfallbesuche bei Gustav mehr! 11.000, und Kuno (mein Bruder) hatte auch überlegt, ob er nach Prag fährt. Hätte er geahnt, wie flink das geht, er wäre schon längst weg.

Es muss doch endlich was passieren!

In der Schule wurde es auch immer heißer. Bertram hatte mir ein NF-Info-blatt (NF=Neues Forum) und eine Mitgliederliste sowie eine Broschüre über den Neofaschismus in der DDR mitgebracht. Das Infoblatt haben wir gleich mehrfach abgetippt (im Werkstattsekretariat) und unter Leute gebracht. Hier habe ich erst Sylvia und Gundula geworben. Nach den letzten Ereignissen (Karsten wird wohl beschattet und sein Zimmer ist ebenfalls betreten worden) hat auch er sich entschlossen, zu unterschreiben und Annett und einige Andere folgen noch. Erstmal muss ich irgendwie an die Liste rankommen, ich  habe sie blöderweise zuhause liegenlassen. Auf meine Familie kann ich stolz sein. Vater, Mutter, Schwester, Schwager, Freund – alle unterschrieben. Auch wenn z.B. meine Mutter Hemmungen hatte. Ihr Stasierlebnis war nicht wirkungslos. Wo man damals zu ihr sagte: Seien Sie froh, wenn Sie Ihre Kinder wieder sehen dürfen… Der Vater war eher überzeugt. Es muss doch endlich was passieren! (…)

Aus der Wendezeit - mein Schreibtisch im Wohnheim - hier schrieb ich mein Tagebuch

Aus der Wendezeit – mein Schreibtisch im Wohnheim – hier schrieb ich mein Tagebuch

Wir haben Mut getankt.

Zu Anka Goll sind wir gefahren, es stellte sich heraus, dass sie selbst uns des Forums wegen besuchen wollten. Sie hatten auch das Blatt und eine Liste dort. Wir haben Mut getankt. Am 16.10. kommen sie zu uns, wenn die E. auch da ist. Hier gab es fast täglich Versammlungen. Es ging um die Frage Fete – ja oder nein, wen ja, dann wie. Mit Fete ist das Keilbergfest am 8.10. gemeint. Es war schon überall ausgehängt und in der Presse stands und eine Menge war organisiert. Umsonst. Unsere Studentenschaft hat sich tapfer geschlagen. Wir haben lange und viel dikutiert. Erst am Dienstag – nach der CSSR-Mitteilung haben wir aufgefordert, zum Boykott.

Ehrlichkeit ist von Nöten, jetzt nicht zu feiern heißt nicht, 40 Jahre zu ignorieren, sondern zu sehen.

Wir haben alles abgewogen, kamen dann einstimmig zu dem Schluss, dass wir uns verweigern müssen. Dass es in der gegenwärtigen Situation, die eine nie geahnte Fluchtbewegung aufzeigt, unmöglich ist , ein Fest zum 40. DDR Geburtstag zu veranstalten. Auch wenn wir mit Plaketten und in schwarz erschienen wären. Ehrlichkeit ist von Nöten und jetzt nicht zu feiern heißt nicht, 40 Jahre zu ignorieren, sondern zu sehen. Diese letzten Wochen sind das Ergebnis dieser 40 Jahre, ohne letztere also auch nicht möglich. Feiern? Nie.

Schwere Ereignisse erwarten alle, und “dass es noch viel schlimmer” kommt.

In Leipzig am Montag die größte Demo seit 1953, 20.000, die Stasi “lud” einige auf LKW, an Händen und Füßen gepackt. Furchtbar, es geht los. Bei den Dozentengesprächen wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es jederzeit zu einer Situation kommen kann, wie sie ’53 oder noch nie da war. Schwere Ereignisse erwarten alle, und “dass es noch viel schlimmer” kommt. Oh weh. Aber endlich tut sich was und eine Geburt ist immer mit Schmerz verbunden.

Meine Post wird neuerdings offen nach Müncheberg geschickt. Schön, wie schnell die reagieren.

Meine Post wird neuerdings offen nach Müncheberg geschickt. Schön, wie schnell die reagieren. Adieu, Frankreich, das wird wohl nichts werden. Die können ja kein verbotenes NF-Mitglied dahin schicken. Und raus kriegen die alles. In den Zeitungen steht entweder nichts oder nur Mist. Schlimm in jedem Falle. Haarsträubend. Die Tausenden sind “einige Bürger, darunter Asoziale”, die Ungarnflüchtlinge sind mit “Drogen betäubt worden und über die Westgrenze verschleppt” worden, der “Sklavenhandel” in den Imperialismus blüht… da kommt einer das Kotzen. Widerlicher Mist. Ich habe ein Einladung bekommen, zum Fackelzug nach Aue zu fahren, “Bekenntnis zum Vaterland”, “Vertrauen in die Politik der Heimat”, “Für ein Leben in Glück und Frieden, uns und unseren Kindern”, welch Hohn. Im Dresdener Bahnhof haben sich mehr als 3000 Bürger verschanzt, die auf die Züge aufspringen wollen, die durch die DDR fahren, von Prag kommend. Erst hat eine nette Frau durchs Mikro geredet, dann wurden die Maßnahmen schrittweise verschärft und am Ende griff die Polizei ein. Die Menschen legten sich auf die Schienen, um die Züge zu stoppen.
Kleine Ergänzung vom 4.10.2014: gestern gab es auf Twitter eine zum vorhergehenden Absatz passende Kopie eines Stasi-Dokumentes, die ich hier nachträglich einfügen möchte:

Man wundert sich über die große Freundschaft zu China – denke an den Juniaufstand und sein so blutiges Ende. Ob die Soldaten so etwas mitmachen würden?

Man wundert sich über die große Freundschaft zu China – denke an den Juniaufstand und sein so blutiges Ende. Ob die Soldaten so etwas mitmachen würden? Was mache ich nun am 07.10.? Nach Berlin fahren? Es passiert garantiert irgendetwas. Muß ja. Die Spannung schreit nach Entladung. Von Gabriele (italienischer Briefreund) der Brief ist verschwunden. Gemeinheit. Einfach konfisziert. Der von Melissa (amerikanische Brieffreundin) kam offen. Sie hat sehr lieb geeschrieben, hat mich so gefreut. Florence (französische Brieffreundin) hat mir angeboten, wenn ich eine Bleibe suchen sollte, sie wäre immer da und ich könnte bleiben, so lange es Not täte. Von Gabriele kam wenigstens das Päckchen, auch das, trotz Eilpost, war 5 Wochen unterwegs. (…)

Dies war der Auftakt zu einer kleinen Reihe von Tagebucheinträgen aus dem Herbst 1989. Weitere folgen in den nächsten Tagen. Wer mehr als Tagebücher von mir zu dieser Zeit lesen möchte, dem sei mein Buch  „Mauern einreißen!“ ans Herz gelegt 🙂
Weitere Informationen rund um die Wende ’89:

Der letzte Tropfen war zu viel. Tschüss, Piratenpartei.

Vor 2,5 Jahren wurde ich Mitglied der Piratenpartei, weil ich glaubte, innerhalb der Partei effektiver für meine Überzeugungen kämpfen zu können. Ich trete nun aus, weil ich glaube, dass inzwischen das Gegenteil der Fall ist.
Ich bin es leid, wichtige Themen als sekundär zu erleben, weil das drölfzigste Gate wichtiger ist. Mitten im EU-Wahlkampf mit #keinHandschlag konfrontiert zu werden, war vor allem ein Schlag ins Gesicht unserer politischen Anliegen. Der Mißbrauch der technischen Infrastruktur der Partei durch den #orgastreik, um den ehemaligen Bundesvorstand unter Druck zu setzen, war für mich vorsätzliche Behinderung politischer Arbeit. Wenn dann unerwünschte Personen abgeschossen sind und ein Buvo nach sozialliberaler Fasson installiert ist, sind plötzlich #1000Hände bereit. Da waren die EU Wahlen aber leider schon vorbei.
Wo ist das Visionäre, Progressive, Mutige, das Neue und das Andere geblieben? Was ist das für eine „Netzpartei“, die einen vom Parteitag beschlossenen BEO (Basisentscheid ONLINE) als Briefwahl umsetzt? Das konnten SPD und Grüne schon viel früher. Wo sind unsere Antworten auf die Fragen, die die digitale Revolution aufwirft? Wo sind unsere originellen Wahlkampfaktionen? Wo sprengen wir den Parlamentsbetrieb durch disruptives Verhalten, das das System auch mal von innen in Frage stellt? Openantrag.de ist eine großartige und innovative Sache. Aber sie reicht mir nicht. Die visionärsten Pirat*innen waren sogenannte progressive, sie verlassen gerade reihenweise die Partei, sind schon längst weg oder werden nach wie vor von Parteiführung und sozialliberal-Flügel angegriffen. Es gibt Piraten, die halten Naziblockaden schon für Gewalt, sie reden von „freiheitlich-demokratischer Grundordnung“ (#FDGO), wenn sie eigentlich Angst vor Veränderung haben. Obrigkeitshörige, buchstaben-gesetzestreue Angsthasen, während in Schweden ein Peter Sunde im Gefängnis sitzt. Mit denen hätte man in der DDR keine Mauer eingerissen. Ich nehme den sozialliberalen Flügel als Flügel der Verhinderung wahr, als konservativ, vergangenheitsgerichtet, ängstlich und spaltend. Wenn mich jemand nach einem sozialliberalen Mitglied fragt, das was innovatives oder mutiges geschafft hat, fällt mir einfach niemand ein.
Ich habe nichts mehr verloren in einer Partei, deren „sozialliberale“ Mitglieder mehrheitlich die Zusammenhänge in einer digitalen Gesellschaft nicht verstanden haben und glauben, eine Konzentration auf 1, 2 Netzthemen sei ausreichend. Es gibt so viele Verbindungen zwischen all den Themen im Parteiprogramm – BGE und Asylrecht explizit eingeschlossen – und es tut mir weh zu sehen, dass das kein Konsens (mehr) zu sein scheint. Mit #reclaimyournetzpartei kann ich nichts anfangen. Ein Verein kann das tun, eine Partei braucht breitere Positionen und den großen Blick für Zusammenhänge und genau das wäre die Verantwortung dieser Partei gewesen.
Ich kann nicht mehr ertragen, dass rechte Gefahren verharmlost und linke herbeigeredet werden. Wenn selbst nach den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg noch Piraten der Meinung sind, Linksextremismus ist eine Bedrohung in Deutschland oder Piraten waren doch leider nur zu links und sollte man nicht bei der AfD ein paar Erfolgsrezepte abgucken? – ja, dann fällt mir dazu nichts mehr ein.
Ich bin es überdrüssig, als Feministin angegriffen und beleidigt zu werden, oder solche Angriffe gegen andere mitzuerleben. Ich habe keine Lust mehr, #feminazi, #genderistin und #karrieregeil genannt und für den Niedergang der Partei verantwortlich gemacht zu werden. Das immer wieder kehrende Störfeuer, ich würde mich sogar an der Partei bereichern, ist absurd lächerlich, da offenbar diejenigen, die so reden keine Ahnung davon haben, wieviel eigene Zeit und privates Geld wir eingesetzt haben. Ich finde es jedes Mal unfassbar, dass es immer wieder Piraten gibt, die den Begriff „Piratin“ als satzungswidrig bezeichnen, die von #postgender reden, Diskriminierung leugnen und eine erschütternde Toleranz gegenüber Sexismus an den Tag legen.
Eine Partei, in der neuerdings Ordnungsmaßnahmen vom Buvo eingesetzt werden (sollen), um Flügelgegner auszuschalten, oder wo sie ausbleiben, weil sich Aggressionen offenbar „nur“ gegen den unliebsamen Flügel richten (#zusecrew) wo gejubelt wird, weil ein Flügelgegner die Partei verläßt oder von einer Kandidatur zurücktritt oder der halbe Saal laut buht, wenn aus dem „falschen“ Flügel eine kritische Wortmeldung erfolgt (#aBPT), hat ein Problem mit innerparteilicher Demokratie. Ich habe mich dazu auf eben jenem aBPT im Juni mit einer Rede geäußert, das kann man HIER nachhören. Damals hatte ich noch einen Rest Hoffnung. Nun nicht mehr.
Die gute Nachricht: an meinen Überzeugungen hat sich vor, während und nach meiner Mitgliedschaft nichts geändert. Ich werde weiterhin dafür kämpfen, die Welt zu verbessern – als kleines Zahnrad in einem großen Getriebe, weil ich immer noch glaube, dass auch kleine Zahnräder dazu beitragen können. Ich bin immer noch links, feministisch, antifaschistisch, progressiv und immer noch Kämpferin für Freiheit in einer digitalen Gesellschaft. Ich bin dankbar für die vielen großartigen Menschen, die ich durch die Piratenpartei kennenlernen durfte. Unsere Wege werden sich weiter kreuzen.
PS: Früher hat es mir noch viel ausgemacht, mitzuerleben, wer (und wie) jubelt, wenn bestimmte Menschen die Piratenpartei verlassen. Es ist mir inzwischen egal, wer bei meinem Austritt Sektkorken knallen läßt oder Wetten gewinnt.

 

Terminhinweise: 11.9. – Maybrit Illner zu Shareconomy, 12.9. Dresden zu Zivilgesellschaft

Kurzfristig 2 Terminhinweise:
Am 11.09.2014  werde ich Gast sein in der Talkshow von Maybrit Illner, das Thema ist „Bieten, mieten, tauschen – Macht das Internet unsere Jobs kaputt?“.
Die weiteren Gäste:
Jeremy Rifkin – Visionär, Ökonom, Bestsellerautor u.a. Das Ende der Arbeit, Die Empathische Gesellschaft, Die Dritte Industrielle Revolution, Die Nullgrenzkosten-Gesellschaft
Peter Altmaier – Kanzleramtsminister
Leni Breymaier – ver.di-Landesbezirksleiterin Baden-Württemberg
Gunnar Froh – Gründer der Online-Mitfahrzentrale WunderCar, ehemaliger Deutschland-Chef der Internetvermittlungsplattform Airbnb

An der Leer-Stelle war eine Graphik. Da ich wegen einem vergleichbaren Screenshot abgemahnt wurde, habe ich sie diesmal ausgeschnitten

Die Leer-Stelle war eine Graphik, da ich wegen einem vergleichbaren Screenshot abgemahnt wurde, habe ich sie diesmal ausgeschnitten


Es wird um Zukunft und Nutzen der Shareconomy gehen, um die Gefahren von Raubtierkapitalismus im Internet, um positive Visionen und bedrohliche Szenarien. Es geht auch – endlich mal wieder – um den Elefanten im Raum, nämlich die Frage nach unserem Gesellschaftssystem. Ist der Kapitalismus die bestmögliche Lösung? Hat er sich überlebt? Wird Rifkin mit seiner Behauptung, die digitale Gesellschaft ist das Grab des Kapitalismus (so wie wir ihn kennen) Recht behalten? Wenn ja, was kommt danach? Ich sehe zum ersten Mal seit der Wende in der DDR ein Zeitfenster für einen Dritten Weg, für eine bessere, sozialere, gerechtere und vor allem auch für eine nachhaltigere Gesellschaftsordnung, denn alles das ist der Kapitalismus nicht. Er spaltet uns immer mehr in arm und reich, er schafft Profite auf Basis der Ausbeutung und damit des Elends anderer, er treibt Raubbau an den Ressourcen dieser Erde und wird unweigerlich ihr bzw. unser Ende bedeuten, WENN wir keine alternative Gesellschaftsordnung für die Menschheit finden.
Die Shareconomy – eine Gesellschaft der Commons und des Teilens – kann eine solche Gesellschaft sein, die uns freier macht, sozialer und gerechter ist und die vor allem nachhaltiger sein wird. Sie kann die Grundlage dafür schaffen, den Lebenssstandard überall auf der Welt anzuheben, Lösungen für schwerwiegende Probleme zu entwickeln und zu verbreiten. Wir brauchen eine neue, eine klarere Vision, von dem was möglich ist und was besser ist, als das, was wir gerade haben. Ohne Vision ist der Kampf dafür schwierig. Deshalb sind solche Grundsatzdebatten so wichtig. Es wird bestimmt eine spannende Debatte. Ich freue mich darauf, v.a. weil ich Jeremy Rifkin großartig finde und es mir eine Ehre ist, mit ihm zu debattieren.
Ein Zitat von Jeremy Rifkin möchte ich hier noch gern beisteuern:

If there is an underlying theme to the emerging cultural conflict, it is the „monopolization vs. democratization of everything.

Es stammt aus einem sehr lesenswerten Artikel, den er selbst für die Huffpost (global) geschrieben hat.
Am Freitag, 12.09.2014, bin ich in Dresden bei der Tagung „Aufbrüche der Zivilgesellschaft“  und werde dort einen Vortrag halten und  anschließend zu „Zivilgesellschaft in der digitalen Welt“ debattieren.
Mitdiskutant ist Hansjürgen Garstka, Politikwissenschaftler und ehem. Berliner Datenschutzbeauftragter, die Moderation macht Kerstin Harzendorf. Ich werde in meinem Vortrag vor allem auf die Chancen für zivilgesellschaftliches Engagement in einer digitalen Gesellschaft eingehen, H. Garstka wird sich auf die Risiken und Ambivalenzen konzentrieren, in der anschließenden Debatte werden wir uns beide insgesamt austauschen. Mir fallen natürlich auch gewisse Risiken ein, z.B. die Gefahr, dass ein Überwachungsstaat zivilgesellschaftliches Engagement einschränkt, da es auch auf Freiheit und Privatsphäre aufbaut.
Die Veranstaltung trägt den Untertitel: „Wege, Positionen und Wirkungen der DDR-Bürgerbewegungen 1987 – 2014, Historische Entwicklungen und aktuelle Implikationen“ und wird unterstützt von der Stiftung Weiterdenken der Heinrich Böll Stiftung, von der Bundesstiftung Aufarbeitung und von der Robert Havemann Gesellschaft. Viele Namen, die mindestens uns ex-DDR-Bürgern aus Wendezeiten noch ein guter Begriff sind, tauchen dort unter den Redner*innen auf, z.B. Ulrike Poppe und Dr. Sebastian Pflugbeil.

"Manchmal habe ich schon Angst" – Erinnerungen an die ersten freien Wahlen der DDR 1990

Von infratest dimap gab es am 21.08.2014 die Ergebnisse einer Sonntagsfrage zu den am 31.8.2014 stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen. Das Schockierendste daran sind die Prognosen für die rechten Parteien, 7 Prozent für die AfD und 5 Prozent für die NPD. Das wäre ein offensichtlicher Rechtsruck in Sachsen im Vergleich zu den letzten Landtagswahlen.
Erinnerungen an die ersten freien Wahlen in der DDR werden wach.
Umschlag-vorn-klein
Ich erinnere mich in letzter Zeit bedingt durch den 25. Jahrestag des Mauerfalles oft an die letzten 12 Monate der DDR, den Wendesommer 1989, den heißen Herbst mitsamt Mauerfall aber auch die Monate der Ernüchterung im Frühjahr 1990, als es zum ersten Mal freie Wahlen gab in der DDR. Ich studierte damals im Erzgebirge in Schneeberg. Gestern fiel mir ein Brief in die Hände, den ich 24.02.1990 einer westdeutschen Freundin schrieb und den mir diese Freundin Jahre später mit anderen „Wendezeitbriefen“ als Erinnerung an diese Zeiten zurückgab. Die Angst von der ich damals schrieb, ist auch heute wieder da. So habe ich sie vor fast 25 Jahren ausgedrückt: Continue reading